Die laszive Katharsis – Eine Blues-Kolumne
In der aktuellen Hörmalkolumne von Ulf Kubanke regiert der Blues.
„Blues is easy to play but hard to feel.“ sagte einst Jimi Hendrix. Er hatte verdammt Recht. Wenn man den Blues hat, ist man hinüber, total fertig, absolut im Eimer. Was immer der Grund sein mag – Trennung,Verlust, Trauer, Krankheit, Machtlosigkeit gegen Wilkür, Ungerechtigkeit etc. Alles, was uns zu Boden schmettert, das Fleisch von den Knochen nagt und das Leben zur klaffenden Wunde macht, fließt in diese Musik ein. Doch wer den alten Schmerzensmann singt, spielt oder bloss hört, verbannt die Qual aus dem Schädel. Bitternis wandelt sich in Bittersüße, Depression in Melancholie. Man nimmt den Kelch der Verzweiflung entgegen und leert diesen Bluteimer bis auf den letzten Tropfen. Sobald alles Fieber umarmt, bis zur Neige ausgekostet ist und der Blues im Herzen lebt, ja, dann kann man sich die Pein aus dem Hirn reißen. Katharsis, Baby, Katharsis!
Im Blues war und ist es stets vollkommen unerheblich, ob man 19 oder 91 Lenze zählt. Komplett egal, ob man als jungbrunniger Mister Universum auf die Bühne hechtet oder als physische Resterampe gen Mikro geschoben werden muss. Entweder man hat es – come on in, mate – oder man ist lediglich ein trittbretternder Möchtegern und fühlt es nicht – „Then fuck off!“, um es mit den unverblümten Worten des großen Miles Davis zu sagen.
Desweiteren führen die Lieder des Blues stets ein Eigenleben. Sie sind nicht an einen bestimmten Musiker oder ihren Komponisten gebunden. Sie leben vom zeitlosen Gefühl, zehren Tränen auf, schenken Schmunzeln, Erotik, Liebe und pure Leidenschaft jeglicher Farbe. Deshalb ist es das Weitergeben, was sie unsterblich macht. Diese Gefühle, sind womöglich das Einzige auf der Welt, was sich vermehrt, je mehr man es teilt. Man behält den Blues nicht für sich, wie ’ne olle Karosse. Man schenkt einander voll ein, berauscht sich, lässt ihn wandern – von Lippe zu Lippe; von Lende zu Lende.
Ein paar Anspieltipps? Gern!
Howlin‘ Wolf und Muddy Waters – Zwei glorreiche Giganten:
„I’m gonna leave you woman before I commit a crime.“ Der heulende Wolf alias Chester Arthur Burnett ist (m)ein ewiger Lieblingsblueser. Seine fletschende, ungezähmte Wildheit ist – besonders aus der Zeit heraus betrachtet – einmalig. Er war der große, böse Wolf unter unter den Pionieren. Doch nicht nur musikalisch betrachtet war er ein Unikat. Auch die gelegentlich derbe Selbstverständlichkeit, mit welcher der Wolf in einer durch Rassismus geteilten US-Gesellschaft seine Position als afroamerikanischer Musiker den Weißen Manne gleichstellte, nötigt bis heute verdienten Respekt ab. Tom Waits, Captain Beefheart und Keith Richards lernten viel von ihm. Muddy Waters hingegen war seines Zeichens der erste unter den relevanten Urvätern, der dem Blues den Strom verzerrter E-Gitarren schenkte. Beide flirteten Ende der 60er mit dem damals taufrischen Genre des Psychedelic Rock. Ihr harsches Naturell samt rohen Sounds ergänzte sich vorzüglich mit dem leicht wabernden Groove Marke Cream, Jefferson Airplane, Grateful Dead und Co. Heraus sprangen zwei vorzügliche Alben – Waters “Electric Mud“ und Wolfs „The Howlin‘ Wolf Album“ – die Einsteigern wie alten Hasen gleichermaßen gefallen werden.
Jimmy Reed – Vom Regen in die Traufe:
Der Mississippi-Bluesman Jimmy Reed war eine dieser schillernden wie tragischen Figuren, deren Biografie ebenso spannend ist wie ihr Talent. Als Musiker kann man seinen Einfluss auf die keimende Rockszene nicht hoch genug schätzen. Egal ob Elvis Presley, The Animals, Grateful Dead, ZZ-Top oder Van Morrison: Reed ist der Grundstein auf den all weißer Rock zurückgreift. Zwischen 1964 und 69 coverten die Stones u.A. „Shame Shame Shame“ und machten ihn dadurch auch in Europa berühmt. Deutlich ausdrucksvoller ist jedoch das hypnotische „Little Rain“ mit eigentümlich perkussivem Charakter. Und geregnet hat es in Reeds Leben eigentlich durchgehend. Eine über Jahrzehnte unentdeckt gebliebene Eplilepsie und einhergehender Alkoholismus ruinierten ihm trotz zahlloser Charterfolge die Karriere. Ausgezehrt und verarmt starb er mit 50 Jahren.
Little Walter – Der Badboy:
Der Blues war seit 50 und mehr Jahren stets sehr „Sex & Drugs & Violence“. Voll Gangsta, voll Badboy, voll Straße! Es verhält sich ein wenig wie heute it dem Hiphop. Little Walter ist ein ewiges Paradebeispiel hierfür. So gesegnet seine musikalischen Fähigkeiten waren, so sehr stand er sich selbst zeitlebens im Weg. Aller Erfolg, alles Pushen durch Willie Dixon, Muddy Waters oder dem Kultlabel Chess-Records konnte ihn nicht vom Highway in den Abgrund fernhalten. Er war streitsüchtig, leicht erregbar, agressiv, gewalttätig, eifersüchtig und extrem launisch. Zahllose Schlägereien und Dauerkonfrontation mit der ohnehin rassistischen Polizei waren die Folge. Kurz nach einer recht erfolgreichen Tour durch Europa gerät er 1968 einmal zu oft in ein Handgemenge. Während der Pause eines Gigs begibt er sich in der South Side von Chicago vor die Tür, wo es zur blutigen Auseinandersetzung kommt. Folgende Nacht verstirbt der 37 Jährige schlafend im Appartement seiner Freundin in der 209 E. 54th Street.
Willie Dixon – Tausendsassa im Hintergrund:
Dixon darf man mit Fug und Recht als den womöglich einflussreichsten Bluessongwriter aller Zeiten betrachten. Er verkörpert nicht weniger als das absolute Bindeglied zwischen Blues und Rock. Die wichtigsten Muddy Waters-Tracks stammen allesamt aus seiner Feder. Ebenso zahllose Nummern für Chuck Berry oder Bo Diddley und eetliche andere.
Ganz besonders herausragend klingt die Atmosphäre seines „I Can’t Quit You Baby“.
Viele haben sich an diesem unschlagbar intensiven Nachtblues versucht. Neben Gary Moore oder John Mayall kennt man besonders die Led Zeppelin-Version. Ungeschlagen bleibt trotz allem die Dixon-Fassung. Er schrieb das Stück bereits 1956 und ließ es Otis Rush singen. Seine eigene Version aus dem Jahr 1969 haut sie allesamt weg.
Bei Auftritten gab es eine Besonderheit. Dixons Kontrabass war deutlich größer als er selbst. Deshalb stellte er oft einen Hocker neben das Instrument und sprang zwischendurch darauf, sobald er tiefe Lagen zu greifen hatte.
Ein Schritt ins Heute – Von Burnside bis Ofenbach:
Wer nun aber glauben würde, dem Genre hafte trotz all dieser zeitlosen Tracks und Künstler eine gewisse Antiquiertheit an, irrte sich nicht unbeträchtlich. Es ist wie mit Rom: Blues ist in der kleinsten Hütte! Die Musik ist oft gerade dort gegenwärtig, wo man sie kaum vermutet. Düstermänner a la Nick Cave verpassten ihren ebenso schroffen wie zerklüfteten Klangbildern oft und gern einen Hauch pechschwarzen Blues. Noch deutlicher wird des Stils unbegrenzte Kompatibilität beim Blick auf moderne Elektronika und Clubmusic. Da wäre zunächst der Veteran R.L. Burnside. Den weitaus größten Teil seines Lebens verbrachte jener als Geheimtipp, immer ein wenig abseits der schillernden Pfade. Ausgerechnet dieser Mann eroberte eine junge Generation, indem er ein paar seiner Klassiker – wie „Rollin‘ Tumblin“ – mit modernen Dancesounds kreuzte. Ein Weltpublikum erntete besonders das unwiderstehliche „It’s Bad You Know“; nicht zuletzt durch den häufigen Einsatz in der Serie „Die Sopranos“.
Wer es gern noch moderner hätte, greife zum hippen französischen Duo Ofenbach bzw. zu deren Visitenkarte „Be Mine“. Einerseits handelt es sich bei den Parisern um einen brandaktuellen Deephouse-Act. Andererseits lieben beide Bluesmelodien wie Rockriffs und vermählen beides mit ihrem Club-Ansatz. Gegenwart trifft Tradition auf dem Dancefloor.
Buddy Guy – Der Last Man Standing:
Zu guter Letzt kann der Artikel nur mit einer Person schließen. Buddy Guy ist der Last Man Standing unter den Urgesteinen. Auch weit jenseits der 80 tritt er häufig in seinem eigenen Chicagoer Bluesclub auf, tourt durch die Welt und veröffentlicht grandiose Spätwerke wie das 2018er Album „The Blues Is Alive And Well“. Sobald er ruft, eilen gestandene Superstars wie Mick Jagger, Keith Richards oder U2 herbei, um dem Meister als willige Erfüllungsgehilfen zu dienen. Es ist schier unglaublich, welch kraftvoll laszive Frische Guy auch in hohem Alter über seinen Gesang transportiert und wie lässig er sich dazu auf der Gitarre begleitet. Als einer der einflussreichsten Gitarristen überhaupt erfährt er von sämtlichen Ikonen a la Eric Clapton oder Jeff Beck tiefe Bewunderung. So liegt nichts näher, als ihm das zutreffende Schlusswort zu überlassen: „As far as I can tell, the blues is alive and well.“
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