Das Plastik in und um uns

Plastik ist überall und Trinkhalme sind nicht das Problem.


Letzte Woche waren die Medien besonders fleißig im Verbreiten der Ergebnisse einer vollkommen belanglosen Studie. Österreichische Forscher hatten Stuhlproben von acht Personen untersucht und sind bei allen acht fündig geworden: „Plastik im Stuhl“, lautete die Sensationsmeldung. Die taz schrieb:

Mikroplastik im Menschen. Schöne Scheiße mit dem Plastik. Seit heute ist klar, dass Menschen winzige Teilchen aus Kunststoff im Darm haben.

Die Welt berichtet in kindgerechter Sprache:

Wissenschaftler haben erstmals Mikroplastik in menschlichem Stuhl nachgewiesen. Das belegt: Wir nehmen es über unsere Nahrung auf. Nun wollen sie herausfinden, was das mit unserer Gesundheit macht.

In der Bunte lesen wir:

Schon länger ist Mikroplastik in aller Munde, nun folgt die Schocknachricht: In einer österreichischen Studie konnte das Plastik erstmals im menschlichen Kot nachgewiesen werden.

Hätte man sich das nicht schon vorher denken können, dass, was zuerst in aller Munde ist, wenig später auch in aller Kote zu finden sein dürfte?

Am nächsten Tag stimmte das Europäische Parlament einem Vorschlag der Kommission in erster Lesung zu, nach dem Trinkhalme, Einweggeschirr, Wattestäbchen und andere Wegwerfprodukte verboten werden sollen.

Über die Studie der Österreicher erfahren wir:

Alle Teilnehmer nahmen in dieser Zeit in Plastik verpackte Lebensmittel oder Getränke aus PET-Flaschen zu sich. Die Mehrzahl von ihnen aß auch Fisch oder Meeresfrüchte, niemand ernährte sich ausschließlich vegetarisch.

Auch daran erkennt man, was für eine tolle Studie das ist. Hätte man irgendetwas herausfinden wollen, so hätte man eine Gruppe genommen, die keinen Fisch gegessen hatte, eine, die keine Getränke aus Plastikflaschen getrunken hatte, und gerne auch eine Vegetariergruppe. Das hat man aber nicht gemacht, weil man sich ohnehin denken konnte, was dann herausgekommen wäre: Es wäre bei allen Mikroplastik gefunden worden. Denn Mikroplastik ist ubiquitär, man findet es überall, wenn man genau genug hinschaut. Und aus diesem Grund hätte man sich die klitzekleine Untersuchung mit der riesengroßen Resonanz sparen können. Vor allem die Resonanz hätte man sich sparen können.

Woher stammt das Mikroplastik?

Es ist also überall, aber woher stammt es? Das müsste doch eigentlich für die Europaparlamentarier interessant sein, wenn sie etwas dagegen tun wollen. Sollte man denken. In einer Studie des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT wurden 51 Quellen erfasst und quantifiziert. Der Auflistung folgt der Hinweis

Insgesamt 51 Quellen, zahlreiche weitere stehen noch aus.

Die Emissionsquellen sind also äußerst vielfältig und sie sind sehr unterschiedlich in ihrer Bedeutung. Ganz oben steht der Reifenabrieb mit ungefähr 30%. Es folgen Verluste bei der Abfallentsorgung mit 7,6%, Abrieb des Straßenbelags mit 5,7%, Verluste beim Rohmaterial (Kunststoffpellets) mit 4,6%, Verwehungen von Sport- und Spielplätzen mit 3,3%, Freisetzung auf Baustellen mit 2,9%, der Abrieb von Schuhsohlen mit 2,7%, von Kunststoffverpackungen mit 2,5%, von Fahrbahnmarkierungen mit 2,3%, von Textilwäsche mit 1,9%. Weit unten in der Liste findet man u.a. noch Mikroplastik in Kosmetik mit 0,5%, Inhaltsstoffe von Wasch-, Pflege- und Reinigungsmitteln mit 0,1% oder Pyrotechnik mit 0,02%.

Schaut man sich die Liste an, wird eines sofort klar: Bei Aldi keine Plastiktragetasche mehr zu bekommen, hat keinerlei Einfluss auf die Mikroplastikproblematik. Auch die Strohhalme machen keinen Unterschied. Man könnte Schuhsohlen verbieten. Das brächte schon mehr, aber wer will das? Oder eben Autos und Straßen abschaffen. Aber auch das sollte man sich gut überlegen. Sollten wir auf Autos und Straßen verzichten, um ein Drittel weniger Mikroplastik in der Umwelt zu haben?

Das Abfallmanagement könnte man optimieren. Eine Möglichkeit, den Eintrag in die Umwelt zu verringern, wäre es, die Biotonne und die Gelbe Tonne abzuschaffen und den ganzen Müll sauber zu verbrennen. Damit würde die Müllentsorgung sauberer und effizienter. Verzicht auf (mit Plastikteilen verunreinigten) Kompost brächte sogar etwas mehr als ein Schuhsohlenverbot und Verzicht auf Kunststoffrecycling würde auch mit etwa 2,5% zu Buche schlagen. Allerdings dürfte die Bereitschaft, die Mülltrennung als eine der Deutschen liebste Errungenschaft einzustellen, eher gering sein.

Ja, es ist alles nicht so einfach. Am Reifenabrieb kann man wenig machen. Da hilft auch kein Umstieg aufs Elektroauto, das wegen des höheren Gewichts und der schnelleren Beschleunigung eher mehr Abrieb verursacht als herkömmliche Autos. Und Abrieb ist übrigens im Gegensatz zu Dieselabgasen auch eine Hauptquelle des Feinstaubs in unseren Städten ist. (Der verkehrsbedingte Feinstaub der Partikelgröße PM10 (bis zehn Mikrometer Durchmesser) entsteht zu rund 85 Prozent durch Reifen-, Bremsen- und Straßenabrieb sowie durch die Aufwirbelung der Staubschicht auf den Fahrbahnen.)

Gut für das Europäische Parlament, dass es noch die symbolischen Handlungen gibt. Die gehen immer. Die gehen leicht von der Hand und man fühlt sich schon gleich etwas gesünder oder wenigstens moralisch erhabener. Weg mit Strohhalmen und Plastiktüten! Das ändert zwar nichts am  Mikroplastik in der Umwelt und auch nichts am Plastik im Meer, da Müll bei uns bekanntlich nicht im Meer entsorgt wird, demonstriert aber Handlungsbereitschaft und rechtschaffene Gesinnung.

Mikroplastik ist überall …

Das meiste Plastik, das wir aufnehmen, kommt nicht aus in Plastik verpackten Lebensmitteln oder Getränken und auch nicht aus Meerestieren, sondern einfach aus Staub. Britische Forscher verglichen die Mengen an Kunststofffasern in normalem Hausstaub mit den Mengen, die sie in Muscheln fanden, die vor der schottischen Küste gesammelt wurden. Die Ergebnisse zeigten, dass ein normaler britischer Verbraucher zwar 100 Kunststoffpartikel pro Jahr durch den Verzehr von Muscheln aufnehmen könnte, dass seine durchschnittliche Exposition gegenüber Kunststoffpartikeln während der Mahlzeiten aus Haushaltsstaub jedoch weit über 10.000 pro Jahr liegt.

Statt uns mitzuteilen, dass ihre acht Probanden alle Fisch oder Meeresfrüchte aßen (oder uns die rätselhafte Information zukommen zu lassen, dass sie „auf verschiedenen Kontinenten leben und sich nicht kennen“), hätten die Österreichischen Forscher besser darauf verwiesen, dass sie sich alle häufig in einer Wohnung aufhielten.

… aber vielleicht gar nicht so gefährlich

Fragt sich schließlich noch, wie wichtig die ganze Sache ist. Ist Mikroplastik eigentlich ein großes Problem für unsere Gesundheit oder für die von Tieren oder Pflanzen? Hier weiß man offensichtlich noch wenig, und diese Unkenntnis kann durchaus ein Hinweis darauf sein, dass es keine großen Gefahren gibt. Sonst hätten sie sich wahrscheinlich schon irgendwie gezeigt.

Die Fraunhofer-Forscher schreiben: „Die Wirkungen von Kunststoff in der Umwelt sind trotz seiner ubiquitären Verbreitung schwer zu fassen. Letztlich sind Polymere wenig reaktiv und die Toxizität im klassischen Sinne ist eher gering. Die bislang beobachteten Schadwirkungen sind vor allem physikalischer Natur. (…) Obwohl bereits über 200 Arten in Labor- und Feldstudien untersucht wurden, lassen sich bisher keine pauschalen Aussagen über die physikalischen oder chemischen Auswirkungen von Mikroplastik treffen.“

Eine mögliche Gefahr wird darin gesehen, dass sich Giftstoffe wie DDT an die Plastikpartikel anheften und mit ihnen in die Tiere gelangen. Doch die meisten Studien bisher haben gezeigt, dass die Konzentrationen entweder zu gering für eine Schadwirkung waren oder die Anhaftung so stabil, dass das Gift sich nicht vom Plastik löste und damit nicht ins Blut übergehen konnte. Eine norwegische Studie zeigte sogar bei Eissturmvögeln, die mit Plastik belastet waren, geringere Konzentrationen giftiger Substanzen – möglicherweise, weil das Plastik Substanzen, die anderweitig aufgenommen wurden, wieder aus dem Körper transportierte.

Auch die Verschärfung des Problems ist weniger klar, als es scheinen mag. Deutsche und dänische Forscher wollten wissen, wie sich die Belastung mit Mikroplastik bei Fischen in der Ostsee entwickelt hat. Deshalb untersuchten sie zwischen 1987 und 2015  gefangene und tiefgefrorene Sprotten und Heringe. Zu ihrem Erstaunen fanden sie in den alten Fischen nicht weniger Mikroplastik als in den erst kürzlich gefangenen. Das gleiche galt für ebenfalls untersuchte Wasserproben. Da heute dreimal so viel Plastik produziert wird wie Mitte der 1980er Jahre, hatten sie mit einem deutlichen Anstieg gerechnet. Offenbar gelangte dennoch nicht mehr in die Ostsee – oder zumindest nicht mehr in die Fische. Und es zeigte sich noch ein zweiter überraschender Befund: 97% aller Plastikpartikel, die sie in den Fischmägen fanden, waren Kunststofffasern, die vermutlich aus Fleecejacken und ähnlichen Kleidungsstücken stammten. Nicht aus Plastiktüten und nicht aus Strohhalmen. Ein Verbot von Fleece-Pullovern dürfte bei der Outdoor-Fraktion unter den anständigen Bürgern allerdings nicht besonders ankommen, obwohl besonders zahlungskräftige ja auch schon auf Merinowolle als Sportkleidung schwören.

Echte Fortschritte

Dass das Problem vielleicht weniger gravierend ist, als es dem Medienkonsumenten auf den ersten Blick scheint, heißt nicht, dass  man nicht versuchen sollte, die Einträge überall dort zu vermeiden, wo sie sich mit vertretbarem Aufwand vermeiden lassen. Fortschritt schadet nie, wenn es sich denn um wirklichen Fortschritt handelt. Zum Beispiel mit Filtern in der Waschmaschine, oder indem man Klärschlamm oder Gärreste aus Biogasanlagen verbrennt, statt sie auf die Felder auszubringen. Oder indem man abriebfestere Reifen entwickelt – aber möglichst ohne dass dabei die Bremswirkung leidet. Manches geht, aber es ist nicht so einfach, wie es sich manch Strohhalm- und Plastiktütenverbieter denken mag. Die Priorität müsste auf jeden Fall nicht bei McDonalds oder Lidl, sondern  im Bereich Gebäude, Verkehr und Infrastrukturen liegen,  wo sich die wichtigsten Quellen für Mikroplastik finden. Man sollte zudem versuchen, auf giftige Zusatzstoffe zu verzichten. Und wir brauchen Innovationen bei der Entwicklung neuer Kunststoffe oder alternativer Materialien, die bei besserer Abbaubarkeit einen vollwertigen und wettbewerbsfähigen Ersatz bieten können.

Thilo Spahl

Thilo Spahl ist Diplom-Psychologe und lebt in Berlin. Er ist freier Wissenschaftsautor, Mitgründer des Freiblickinstituts und Redakteur bei der Zeitschrift NovoArgumente.

More Posts

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert