Carl Schmitt im Ferrari
Um Martin Heideggers oder Carl Schmitts NS-Verstrickung zu kritisieren muss man nicht selbst die Unschuld vom Lande sein. Dass einer selbst hätte Nazi werden können macht den Nationalsozialismus nicht besser.
Als 1997 Michael Schumacher dilettantisch versuchte, Jacques Villeneuve im letzten Rennen in Jerez zu torpedieren, um sich doch noch die Formel 1 Weltmeisterschaft zu sichern, war das nicht in Ordnung. Das kann man wissen: Es ist nicht in Ordnung, für den Gewinn eines Titels oder irgendeines anderen relativen Vorteils Gesundheit und Leben eines Anderen zu gefährden.
Hätte ich vielleicht genauso gehandelt? Möglich. In dem Videospiel Grand Prix Circuit (1988) haben meine damaligen Schulfreunde und ich die Option „Weltmeisterschaft durch Crash“ regelmäßig sogar dann gewählt, wenn es vergleichsweise einfacher gewesen wäre den Sieg auf der Strecke zu erringen. Und das war eigentlich immer so. Das Spiel war lächerlich leicht. Der Punkt ist: Im nicht virtuellen Leben bleibt dieser Handlung falsch, selbst wenn ich nicht ausschließen kann, dass ich ebenso reagieren würde. Ich wäre dann eben entweder ebenfalls ein Heißsporn, der sich nicht unter Kontrolle hat, oder bei systematischer Neigung: Ein Arschloch.
Muss jede Kritik bei mir anfangen?
Aber was schwätzt das Arschloch hier von der Formel 1? Soll es nicht um Carl Schmitt gehen? Ja. Auch.
Jede Kritik des Verhaltens und der schriftlich überlieferten Äußerungen früherer Denker, wie etwa Martin Heidegger und Carl Schmitt zur Zeit des Nationalsozialismus, muss mit der demütigen Frage beginnen: „Wo hätte ich gestanden, wenn mich der Zufall in die historische Situation geworfen hätte, in der diese Personen sich befanden?
Das findet der Kollege Jörg Friedrich. Nein, finde ich. Nicht „jede“.
Menschen, die in jeder Situation immer genau zu wissen glauben, wie sie anstelle eines Anderen gehandelt hätten, ist tatsächlich mit Vorsicht zu begegnen. Besonders solchen, die meinen genau zu wissen, wie sie sich 1929, ’33, ’37 oder ’41 zum NS verhalten hätten. Es ist anzunehmen, dass derartige Kritiker sich wenig Mühe geben, sich in die tatsächlich historische Situation einzudenken und stattdessen das gute Gewissen, darin die relative demokratische Stabilität heute es ihnen erlaubt sich gemütlich einzurichten, auf die Vergangenheit projizieren. Auch das könnte noch egal sein. Doch das fehlende Bewusstsein für die Brüchigkeit des zivilisatorischen Kit droht diesen Kit bereits zu beschädigen: Wer sich das eigene Potenzial zum Schlechten nicht bewusst macht, dürfte erst recht anfällig sein für derartige Bedrohungen.
Wer etwa möchte leugnen, dass der öffentliche Diskurs in den letzten Jahren sprachlich verroht? Und glauben Sie wirklich, die Antreiber und Mitläufer dieser Verrohung hielten sich für schlechte Menschen? Richtig ist also: Individuell moralisierende Kritik an Personen der Zeitgeschichte kann eine Spur projizierender Selbstkritik durchaus vertragen.
Was heißt „an der Stelle Schmitts“?
Aber: Ein paar Fallstricke offenbaren sich schon hier. Was etwa heißt
a) „wenn mich der Zufall“
und
b) „in die historische Situation geworfen hätte“?
Weder Heidegger noch Schmitt waren ja zufällig ab 1933 in der Position, den Nationalsozialismus zu verteidigen oder aktiv zu befördern. Sie haben auf ihre Position am rechten Rand der Gesellschaft zuvor hingearbeitet, waren entsprechend in Ämtern und Würden und eben nicht zufällig, sondern durch eigene Entscheidungen zum Beispiel keine Kommunisten, Sozialdemokraten, Schäfer auf Fehmarn usw/usf. Und auch die historische Situation wäre doch näher zu bestimmen: Hätte ich als antisemitischer autoritärer Politikwissenschaftler mich verhalten wie Schmitt? Gut möglich. Aber die Schlussfolgerung „Als Schmitt an Schmitts Stelle hätte ich gehandelt wie Schmitt“ ist relativ banal. Um an Schmitts Stelle zu gelangen muss man eben bereits vorher wie Schmitt gehandelt haben. Ein Sören Heim an Schmitts Stelle ist denkunmöglich.
Und: Dass man prinzipiell anders handeln konnte, davon erzählen unzählige historische Beispiele, weshalb die Selbstprojektion kaum die einzige, und sicher auch nicht die heuristisch wertvollste Variante der Kritik an Nazimitläuferern und Vordenkern ist.
Bisher verharren wir auf der von Friedrich vorgegebenen Ebene des Persönlichen. Für eine kritische Debatte in der Sache ist diese von minderer Bedeutung. Was kümmert es mich, dass möglicherweise ein Großteil der Nachgeborenen von heute damals selbst glühende Nazis gewesen wären? Das spricht nicht für den NS, das spricht gegen den Menschen. Der Einsicht, dass nazistische Betätigung falsch ist, steht die Einsicht, man hätte vielleicht selbst dazugehören können, nicht entgegen. Allein bei den Mitteln der Bekämpfung macht sie womöglich eine Neuausrichtung nötig. Es geht darum Bedingungen zu erhalten, in denen die menschliche Neigung zum Bestialischen sich nicht Bahn brechen kann.
Kritik der Wiederbetätigung
Kritik in der Sache aber interessiert der innere Zusammenhang des Denkens von Typen wie Heidegger, Schmitt und anderen. Und auch das nicht, um sich als Heutiger über Frühere zu erheben. Wer das will kann sich nach Plettenberg-Eiringhausen begeben, auf dem dortigen Friedhof hat er den Herrn Schmitt ganz sicher unter sich. Nein: Es geht um das Wiedererkennen relevanter Denkfiguren und manchmal auch nur unklarer Assoziationen, wie sie etwa in der Folge Heideggers in der französischen Postmoderne unter anderem bei Foucault und Derrida, später dann Butler und unter Wald-Und-Wiesen-Linken (und zunehmend Neuen Rechten) wieder auftauchen, es geht um das erneute Zusammengehen solchen Denkens mit der ganz praktischen Apologie von Diktatur und Massenmord, kurz: Es geht um Wiederbetätigung.
All das wiederum schließt nicht aus, dass man nicht auch Momente des Denkens der Genannten aufgreifen kann, ohne sich der Reaktion, anti-individualistischer Beliebigkeit oder schlimmerem hinzugeben. Aber: Dass jede Kritik früherer Verfehlungen mit der Kritik der eigenen Fehlbarkeit anzufangen habe ist vehement zu bestreiten. Das hieße jede Kritik unmöglich machen, denn wer wäre unfehlbar. Sage jetzt keiner „der Papst“.
Einen Fehler erkennen, das ist zum Glück etwas Anderes als selbst besser können. Es lebe die Arbeitsteilung!
Wenn aber nun jemand partout überzeugt sein will, es sei womöglich gar kein Fehler den Anderen in einer scharfen Auseinandersetzung mal eben mit dem Auto zu rammen (wir sind zurück bei den Herren Schumacher und Villeneuve), dann diskutiert man vielleicht besser nicht. Dann bringt man sich in Sicherheit.
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