Darf’s ein bisschen Tristesse sein? Deutschland lacht sich müde
ZDF-Satire, Rentenpossen, 85 Krankenkassen – und meine Mutter mittendrin: ein Land, das Pointen produziert, aber keine Lösungen.

Ich habe gegoogelt: Die ZDF-Kabarettsendung Die Anstalt erreicht zuweilen Spitzenwerte von über 3,6 Millionen Zuschauern. Das ist viel. So viele Leser:innen wünscht sich so manches Printmedium, das auf einem absteigenden Ast sitzt, weil die Leute für Journalismus nichts mehr bezahlen wollen oder auch können. Allerdings bei den jüngeren Zuschauern (14–49 Jahre) erzielt die Show deutlich geringere Marktanteile – was mich überhaupt nicht wundert. Ich finde die Sendung sehr, sehr langweilig, fast schon deprimierend.
Neulich bin ich aus Versehen reingestolpert, und es ging minutenlang um den sogenannten Bau-Turbo der Bundesregierung, der sich bei näherem Hinsehen mal wieder als groß angelegte Posse entpuppt. Ich habe verstanden: Es werden nicht Bauanträge schneller bearbeitet, sondern Land schneller als Bauland umgewidmet. Die Aufführung mit sicher sachdienlichen Hinweisen zu diesem Gesetz war ungefähr so unterhaltsam wie die Rede eines Politikers vor Immobilieninvestoren.
Fazit: Deutschland bleibt Großbaustelle. Aber ist die Sendung auch gefährlich? Bedient sie nicht auf bemüht augenzwinkernde Weise das Narrativ, dass in Deutschland alles Mist ist und schlimm bleiben wird? Ist es noch lustig, wenn einem selbst das Schmunzeln im Halse stecken bleibt? Wäre ein Politmagazin zur Prime-Time nicht zielführender für ein politisch interessiertes Publikum, das bald wieder sein Wahlkreuz irgendwo abliefern muss? War es politisch gesehen nicht fünf vor rechts in Deutschland?
Die Heute Show – meine Mutter, 84, schaut zu – ist da witziger, beziehungsweise immer wieder zum Schreien komisch, auch wenn man eigentlich weinen möchte. Neulich ein Sketch über die neue Rentenkommission, die nach womöglich langjähriger Tagung ihre Vorschläge einreicht – die, haha, natürlich die urältesten sind, zum Beispiel, dass alle einzahlen sollen, auch Beamte. Und wieder einmal wird die Rentendiskussion hoch und runter geführt, landauf, landab, während ein Elefant im Raum steht – die Riesterrente. Nur spricht niemand darüber.
Viele Menschen zahlen immer noch ein und hoffen, dass ihr privater Beitrag nicht der Flop ist; es gibt reichlich Indizien für diesen Verdacht. Dass die Aktivrente, also irgendein steuerfreier Zusatzverdienst, juristisch schwierig sein könnte und daher wohl nie kommt – auch darüber wird kaum gesprochen. Oder liege ich laienjuristisch falsch?
Wäre ich für die Mütterrente? Ja, auf jeden Fall. Meine Mutter hat vier Kinder großgezogen, einen Bauernhof jongliert und sich den Rücken krumm gearbeitet. Von ihrer Rente muss sie Grundsteuer für stillgelegte Gebäude zahlen, im Kuhstall steht seit Jahren keine Kuh. Sie besitzt Land, das nicht als Bauland umgewidmet wird, weil fadenscheinige Gründe dagegensprechen. So haben unsere Wiesen gerade einmal einen ideellen Wert.
Meine Mutter hat Anspruch auf Pflege; jedoch der Zugang zu einer Aushilfe wird ihr so schwer gemacht, dass man brüllen möchte – so unverschämt geht die Politik mit alten Leuten um. Sie bekommt ein paar Euro für eine Pflegekraft, die Hilfe selbst muss über einen offiziellen Träger arbeiten und erhält allenfalls den Mindestlohn, während die Kasse 40 Euro pro Stunde abrechnet. Im Land kümmern sich fast 85 Krankenkassen und zig Pflegeberater um Menschen wie meine Mutter – die Kosten steigen ständig, aber ganz sicher nicht wegen ihr. Ihr Nachbar hat einen anerkannten Schein, um solche Tätigkeiten auszuführen – aber er darf nur den Haushalt betreuen, Hecken schneiden ist verboten. Ein bürokratischer Irrsinn. Unsozial. Und nicht familiär. Wie einfach wäre es, Nachbarschaft zu stärken – stattdessen ist alles schikanös organisiert.
Jetzt schließt auch noch ihre Hausarztpraxis. Die nächstnähere nimmt keine neuen Patienten auf. Womit wir beim Ärztemangel auf dem Land wären. Wenn ich Bürgermeisterin von Deutschland wäre, gäbe es keinen. Mobile Hausärzte würden übers Land fahren, junge Leute fänden so einen Job toll. Aber 1,0-Abiturdurchschnitt ist eben nur für ein bestimmtes Klientel relevant. Mein Sohn kann zwar gut mit Menschen umgehen und ist handwerklich sowie technisch geschickt – in der Chirurgie heute fast wichtiger als das große Latinum. Zum Schluss mal eine Stanze wie vom Politiker: „Das System müsste vom Kopf auf die Füße gestellt werden!“ – es stimmt. Und ernsthaft verhandelt, nicht in einem müden, augepowerten Kabarett verwurstelt.
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