Gesetz oder Gewissen

Wenn das Gesetz gegen das Gewissen steht, dann muss man dem Gewissen folgen. Mag sein, man ist zu feige oder zu bequem. Das ist menschlich. Aber wer nach gewissenhafter Prüfung eine gesetzliche Vorschrift für falsch hält, ist gefordert, sie zu missachten. Eine Replik von Jörg Phil Friedrich auf Heinrich Schmitz.

Gehorche keinem. Gesetz oder Gewissen
Installation an der Universitätsbibliothek Münster Bild: Jörg Phil Friedrich

Vor etwas mehr als einem Monat hat sich der Kollege Heinrich Schmitz in seiner Kolumne mit den Begriffen Recht, Gesetz und Gewissen beschäftigt. Die Fragen, die er da aufgeworfen hat, haben mich seitdem nicht losgelassen. Heute will ich meine Sicht auf die Beziehung zwischen den Dingen, die mit diesen Begriffen bezeichnet werden, endlich ausformulieren.

Recht und Gesetz: Der Unterschied

Was Gesetz ist, scheint klar: es sind all die Gesetze, die ein Gesetzgeber beschließt, also jene verbindlichen Vorschriften, die in der Bundesrepublik vom Bundestag oder von Landtagen beschlossen und im Gesetzblatt veröffentlicht werden. Es ist sicherlich sinnvoll, nach der Herkunft dieses Begriffs zu fragen, zumal es, wenigstens im allgemeinen Sprachgebrauch, ja auch ungeschriebene Gesetze gibt, die sicherlich nicht vom Bundestag beschlossen werden. Dazu gleich mehr.

Was den Begriff Recht betrifft, möchte ich etwas von Heinrich Schmitz‘ Verständnis abweichen. Genauer gesagt, war er mir da etwas zu unpräzise unterwegs. Ich meine, dass das Wort eine doppelte Bedeutung hat. Einmal hat es diesen weiteren Sinn, den – wenn ich ihn richtig verstanden habe – der Kollege meinte. Es umfasst dann auch unsere Werte und Grundsätze, die zum Teil im Grundgesetz stehen, die aber auch in den Begriffen Rechtsempfinden und Gerechtigkeit Ausdruck finden.

Wenn man aber sagt, die Richter seien an Recht und Gesetz gebunden, dann sind nicht solche allgemeinen Vorstellungen gemeint, es sei denn, sie stehen eben im Grundgesetz. Und in diesem Grundgesetz findet man auch Hinweise, was mit Recht gemeint ist, wenn man von der Bindung an Recht und Gesetz spricht. Da ist z.B. vom Bundesrecht die Rede, das Landesrecht bricht. Das sind aber keinen großen, allgemeinen Vorstellungen von Rechtmäßigkeit, Gerechtigkeit und Rechtsempfinden. Zum Recht in diesem Sinne gehören eben neben den Gesetzen auch die ganzen Verwaltungsvorschriften, Verordnungen, auch die Rechtsprechung der obersten Gerichte selbst. Recht in diesem Sinne ist was ganz unspektakuläres, die ganze Menge Vorschriften und allgemeinen Festlegungen, die auf legale Weise, in Beachtung und zur Umsetzung der Gesetze von den Institutionen festgelegt wurden, die die Berechtigung dazu haben.

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Recht als Gerechtigkeit

Es gibt aber eben auch dieses andere Recht, das wir meinen, wenn wir sagen: Das kann doch nicht Rechtens sein. Das widerspricht meinem Rechtsempfinden, das ist ungerecht. Wenn man meint, dass ein Gesetz geändert werden müsse, abgeschafft oder auch neu eingeführt, dann liegt dem eben schon eine Vorstellung von Recht zu Grunde, das eigentlich gelten müsste.

Gesetze müssen sich an irgendetwas messen lassen, an den ungeschriebenen Gesetzen der Gerechtigkeit, am Rechtsempfinden. Aber andererseits wäre die Existenz von Gesetzen sinnlos, wenn ich ihnen nur folgen müsste, soweit sie meinem Rechtsempfinden auch entsprechen.

Einfach so zu sagen: dieser Paragraph dieses Gesetzes, diese Vorschrift, jene Verordnung, widerspricht meinem Rechtsempfinden, also muss ich mich auch nicht daran halten, scheint absurd.

Widerspruch zwischen Gesetz und Gewissen?

Man könnte einwenden: so absurd ist das gar nicht. Natürlich kann ich gegen ein Gesetz verstoßen, aber der Staat ist eben berechtigt, mich dafür zu bestrafen. Kein Gesetz kann mich dazu zwingen, etwas zu tun, was ich für Unrecht halte. Hier kommt das Gewissen ins Spiel. Wenn mein Gewissen mit dem Gesetz in Widerspruch gerät, dann soll ich dem Gewissen folgen – sagt das Gewissen. Es kann auch sein, dass ich ein Feigling bin, die Strafe vermeiden will und das Gewissen zum Schweigen bringe, um stattdessen zähneknirschend dem Gesetz zu folgen.

Ein weiterer Einwand kann lauten: Man sollte gute Gründe haben, wenn man sein Rechtsempfinden, also das, was man eigentlich für rechtens hält, über das Gesetz stellt. Denn das Gesetz, im besten Fall, ist nach Spielregeln zustande gekommen, die es eigentlich akzeptabel machen müssten. Ich sollte also nicht einfach meiner ersten Intuition folgen, wenn ich mich der Forderung eines Gesetzes widersetze, sondern gut abwägen, nachdenken, reflektieren. Was ich in einer ersten emotionalen Reaktion als unrechtes Gesetz empfinde, kann sich, bei weiterem Nachdenken, als ein vernünftiger Kompromiss herausstellen.

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Am Ende bleibt aber das bestehen, was Heinrich Schmitz die Spannung zwischen Gesetz und Gewissen nennt. Ich sehe da allerdings kein Gleichgewicht. Das Gewissen steht, wenn ich es genau bedenke, am höchsten. Wo ein Gesetz, oder eben das Recht mit all den Verordnungen und Vorschriften, etwas von mir fordert, was mein Gewissen für falsch hält, da bin ich – nach gewissenhafter Prüfung – auch verpflichtet, dem Gewissen zu folgen. Dass ich damit den demokratisch legitimierten Staat herausfordere, darf letztlich kein Argument sein. Es mag sein, dass ich zu feige bin, oder zu bequem, die Sanktionen zu ertragen, die meine Gesetzesverletzung provoziert. Damit muss ich dann leben. Aber das Gewissen wird sich davon nicht beruhigen lassen.

Um Probleme der Wahl von Bundesverfassungsrichtern durch Bundestag und Regierung ging es in der vorigen Kolumne von Jörg Phil Friedrich.

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