Wer darf seine eigenen Richter wählen?

Das Auswahlverfahren für die Richter am Bundesverfassungsgericht begünstigt ein Gericht, das die Entscheidungen von Regierung und Parlament eher bestätigt als kritisch überprüft. Aber eine Änderung scheint fast unmöglich. Denn dafür würden wieder die gebraucht, die von der aktuellen Regelung profitieren.

Wahlen zum Bundesverfassungsgericht

Das deutsche Grundgesetz ist eine wunderbare Erfindung und bewährt sich seit Jahrzehnten, und dennoch enthält es ein paar Baufehler, die sich heute kaum korrigieren lassen. Die Auswirkungen eines dieser Fehler kann man in diesen Monaten angesichts der Wahlen neuer Mitglieder zum Bundesverfassungsgericht erleben.

Anspruch Gewaltenteilung

Das Problem ist, dass die Verfassungsorgane, die sich die Macht teilen sollen, nicht unabhängig voneinander zustande kommen. Das ist schon problematisch bei der Wahl der Exekutive, der Regierung, durch das Parlament, die inzwischen eher umgekehrt zur Disziplinierung des Parlaments gegenüber den Partei- und Fraktionsführungen genutzt wird. Noch gravierender ist es bei der Wahl der Angehörigen des höchsten Gerichts. Die Wahlen zum Bundesverfassungsgericht, so bestimmt es das Grundgesetz in Artikel 93, erfolgen je zur Hälfte durch Bundestag und Bundesrat.

Das führt natürlich dazu, dass diese Verfassungsorgane versuchen, in das Gericht solche Personen zu wählen, die ihnen politisch genehm sind. Man könnte meinen, dass eine ausreichende Durchmischung verfassungsrechtlicher Positionen allein schon dadurch gewährleistet werden könnte, dass die Plätze im Gericht für 12 Jahre vergeben werden. So wäre die Hoffnung, dass in unterschiedlichen Zeiten, bei unterschiedlichen Mehrheitsverhältnissen im Bundestag und in den Ländern, die die Zusammensetzung des Bundesrats bestimmen, auch unterschiedliche Positionen zur Auslegung des Grundgesetzes im Gericht vertreten werden würden, mal konservative, mal liberale, mal progressive.

Das ist aber keineswegs der Fall. Einerseits führt der Zwang zum Konsens, den die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit hervorbringt, zu dem politischen Postengeschacher, das wir gegenwärtig erleben. Andererseits haben die Führungspersonen in den Partei- und Parlamentsgremien, die da tagen um Entscheidungen herbeizuführen, neben den unterschiedlichen politischen Positionen eben auch gemeinsame Interessen und Vorstellungen darüber, mit was für Personen das Gericht besetzt werden sollte. Nämlich mit solchen, die den Gesetzen und Vorschriften, die ihre Parteien erlassen wollen, eher nachsichtig gegenüber stehen, mit solchen, die Störenfrieden, die die Verfassungsmäßigkeit von Maßnahmen bestreiten, eher ablehnend gegenüberstehen. Grundsätzlich sind Parteipolitiker eher an einem Gericht interessiert, das die Ausweitung von Regelungen und die Begrenzung von Freiheiten, die jedes neue Gesetz mit sich bringt, unterstützen.

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Wer sollte die Wahlen zum Bundesverfassungsgericht durchführen?

Was wäre die Alternative? Die Besetzung des Bundesverfassungsgerichts könnte durch Organe der Rechtsprechung selbst geregelt werden, man könnte sich ein Wahlgremium vorstellen, das etwa aus allen Berufsrichtern an Bundes-, Oberlandes- und Landgerichten besteht, ergänzt womöglich um die einschlägigen Lehrstuhlinhaber. Dann wäre die Besetzung keine politische, sondern eine fachliche Entscheidung von Juristinnen und Juristen. Persönliche Gespräche etwa mit Verfassungsrechtlern während der Pandemie haben gezeigt, dass unter ihnen Rat- und zum Teil Fassungslosigkeit herrschte angesichts der Grundrechtseinschränkungen, während das zuständige Gericht damals bekanntlich alles bestätigt hat, was die Regierung und das Parlament diszipliniert beschlossen hat. Ein Gericht, das tatsächlich unabhängig von politischen Mandatsträgern besetzt werden würde, hätte damals vermutlich eher ins Grundgesetz als auf Infektionszahlen und die Bilder aus Bergamo geschaut.

Aber das sind wohl leider Wunschträume, jedenfalls ist es zu solchen Wahlen zum Bundesverfassungsgericht ein sehr weiter Weg. Das liegt an dem zweiten Baufehler unseres Grundgesetzes. Zu seiner Änderung müsste es immer eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag geben. Noch gravierender: Es gibt keinen Weg, die Verhandlung über eine Verfassungsänderung zwingend von außerhalb des politischen Systems her herbeizuführen. Warum aber sollte sich die politische Klasse das Instrument der Richterwahl freiwillig aus der Hand nehmen lassen?

Auf jeden Fall aber ist die aktuelle Situation der richtige Moment, nicht nur über die Eignung konkreter Personen für einen Platz auf der Richterbank zu diskutieren. Wir müssen auch über die Disziplinierungskraft der Partei- und Fraktionsführungen reden, allem aber darüber, wer über die Zusammensetzung des Gerichtes bestimmen soll, dessen Aufgabe es ist, die Einhaltung des Grundgesetzes vor allem durch die zu kontrollieren, die ihre Richter derzeit selbst wählen dürfen.

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