Alien Earth – neuer Blickwinkel auf das Weltraummonster
Die Handlung von ‚Alien Earth‘ verknüpft geschickt die altbekannte Saga mit der Geschichte eines neuen Kunstmenschen und bietet dabei mehr Unterhaltung und Tiefgang als die meisten Filme aus dem gleichnamigen Franchise. Serienjunkie-Kolumne von Henning Hirsch.

Jeder hat ja in der Jugend ein paar Filme gesehen, die einen derart packten, dass man sie 5x im Kino u im Anschluss noch Minimum 3 Dutzend Mal auf Videocassette angeschaut hat, und von denen man noch im Seniorenstift den anderen Senioren erzählt. Bei mir waren das u.a. Blade Runner, Apocalypse now, Die durch die Hölle gehen, Shining UND Alien – Das unheimliche Wesen aus einer anderen Welt.
Qualität der Filme lässt seit Teil 2 zu wünschen übrig
Bei Alien 1 (1979) stimmte alles: der Mix zw. Scifi & Horror, die klaustrophobische Atmosphäre im Raumschiff, der allmähliche Spannungsaufbau, der in schier nicht enden wollenden Schrecken mündet, Innovationen wie das bisher so noch nie gesehene Monster u der Androide Ash und die hervorragend besetzte Crew, aus der Sigourney Weaver in ihrer Rolle als Zweiter Offizier Ellen Louise Ripley herausragt. 1 der 3 Meisterwerke (neben dem o.g. ‚Blade Runner‘ u ‚American Gangster‘) von Ridley Scott (ja ja, er hat noch mehr gute Filme als die 3 genannten gedreht. Schon klar). Bewertung = 10 Punkte.
Wie’s mit erfolgreichen Produktionen (leider) oft passiert -> es gibt Fortsetzungen. 1986 kam ‚Alien 2 – Die Rückkehr‘ ins Kino. Regie führte nun James Cameron, was man dem Film auch anmerkt: die Story wird schneller erzählt, Actionszenen bestimmen das Bild, die Handlung ist unterhaltsam, hinterlässt jedoch keinen bleibenden Eindruck beim Zuschauer (8 Punkte). Mit ‚Alien 3‘ (1992), der in einem am äußersten Ende des Universums gelegenen Strafgefangenlager spielt, fremdelte ich schon sehr, und bei ‚Die Wiedergeburt‘ (1997) war ich froh, dass die Reihe mit der nun zur Mutter aller Weltallmonster mutierten Ellen Ripley zum Ende kam. Mehr an Alien braucht kein Mensch.
Das sahen die Produzenten allerdings anders u verfielen 15 Jahre später auf die Idee, dem Franchise ein Prequel voranzustellen: ‚Prometheus‘ (2012), Regie führte erneut Scott. Trotz Riesenbudget, technisch vieler Gimmicks u einer Besetzung, die dem Who is who Hollywoods ähnelt, gelang es dem Streifen an keiner Stelle, cineastisch zu überzeugen. Der Versuch, das Ganze mit der (Prequel-) Fortsetzung ‚Covenant‘ (2017) zu retten, erwies sich als Griff ins Klo, weshalb die öde Vorgeschichte dann auch GSD eingestellt wurde.
2024 ein weiterer Versuch, nunmehr zeitlich angesiedelt zw. den alten Teilen 1 & 2: ‚Romulus‘. Ein Weltraummonster/Teenager-Lovestory-Hybrid. Technisch gut gemacht, ne Menge Baller- & Splatterszenen; aber weder stellt sich der Grusel des Originals ein, noch verleitet die Handlung dazu, im Gedächtnis haften zu bleiben oder gar im Nachgang über Fragen wie ‚Muss der Mensch alles erschaffen, was die Technik ermöglicht?‘ o ‚Ist das Monster eine allegorische Darstellung der von uns vergewaltigten Natur, die plötzlich zurückschlägt?‘ nachzudenken. Sobald der Abspann läuft, kann man die Geschichte getrost wieder vergessen. (Mit Mühe) 5 Punkte.
Die Serie kehrt an den Ursprung zurück
Seit diesem Sommer nun ein weiterer Versuch: Alien: Earth. Dieses Mal als Serie. Kann das gutgehen, ist über das Monster mittlerweile nicht ALLES erzählt worden, was es dazu zu erzählen gibt, grübelte ich und war einige Wochen lang unentschlossen, ob ich da reinschauen will. Vor ein paar Tagen entschloss ich mich spontan, es doch zu tun und wurde (bisher) angenehm überrascht.
Die Geschichte spielt im Jahr 2120: 5 Megakonzerne regieren die Welt, die wiederum von teils hyperkapitalistischen, teils spleenigen Milliardär-CEOs präsidiert werden. Weyland-Yutani(1 der 5; kennt man seit dem Auftaktfilm) hat vor 65 Jahren ein Forschungsschiff auf die Reise zu einer abgelegenen Galaxie entsandt, um dort nach außerirdischem Leben zu suchen. Die Crew ist fündig geworden und kehrt mit ein paar besonders gruseligen Spezies an Bord zurück zum Heimathafen. Ein paar Tage vor der Landung bricht Feuer aus, die (anfangs kleinen) Monster entkommen aus ihren Käfigen und das Unheil nimmt seinen Lauf. Bis hierher erinnert die Story an die nahezu gleichverlaufende Handlung von Teil 1. Auch die Charaktere sind ähnlich gezeichnet: Zaveri = Ripley (wobei die Zweitgenannte cooler war), Morrow = Ash, Bronski = Kane, Schmuel = Brett. Im Unterschied zum Film verliert sich das Schiff jedoch nicht führungslos in den Weiten des Alls, sondern strandet auf der Erde und zwar in einem Wolkenkratzer in New Siam (Bangkok). Diese Megalopolis gehört zum Einflussbereich von Prodigy (ein weiterer der 5 Konzerne).
An dieser Stelle betritt die Serie Neuland bzw. spinnt einen zweiten Handlungsfaden: Prodigy hat vor kurzem eine bahnbrechende humanoide Lebensform entwickelt – die sog. Hybriden: Hightech-Körper (Sleeves), in die menschliches Bewusstsein übertragen wird (die Spender sterben nach der Übertragung). Auf diese Weise entsteht die Protagonistin Wendy (im früheren Leben hieß sie: Marcy) = die Karosserie einer 20-jährigen, bestückt mit Erfahrungen & Emotionen eines Kindes. Die Hybriden lernen schnell, da sie nicht wie wir Menschen langweilige Bücher lesen müssen, um sich fortzubilden, sondern sich stattdessen per USB-Anschluss mit einer Datenbank verbinden u das gewünschte Wissen binnen Sekunden dort runterladen. Wendy u ein halbes Dutzend weiterer Superkinder leben in einem Forschungslabor auf einer Insel im südchinesischen Meer, zwei Flugstunden von der Absturzstelle entfernt. Ihre Mentoren sind eine Psychologin (Mensch) u ein Wissenschaftler (Synth = Hightech-Body kombiniert mit einem K.I.-Bewusstsein. Gut gespielt von Timothy Olyphant).
Die Truppe macht sich auf, das verunglückte Raumschiff zu inspizieren. Und trifft dabei (in dieser Reihenfolge) auf den einzigen Überlebenden Morrow (ein Cyborg = kybernetisch erweiterter Mensch), die extraterrestrischen Spezies (die jetzt schon nicht mehr so klein wie noch vor ein paar Tagen sind) u Wendys Bruder Joseph (als Sanitäter am Unglücksort), der seine Schwester Marcy tot glaubte. Zurück auf der Insel reklamiert der Prodigy-CEO (genannt ‚Der clevere Junge‘. Erinnert ein bisschen an Jesse Eisenbergs Darstellung des jungen Mark Zuckerberg in „The Social Network“)) die Alien-Fracht für sich, was natürlich der Präsidentin von Weyland-Yutani missfällt, die nun Morrow zzgl. einer Hundertschaft schwerbewaffneter Söldner losschickt, um die Aliens ihrem „rechtmäßigen“ Eigentümer zuzuführen. Mehr soll an dieser Stelle nicht gespoilert werden.
Humanoide: Maschinen oder doch Menschen?
Speziell der zweite Handlungsstrang ist es, was die Serie ausmacht; denn der erste im Raumschiff ist ja bloß ein Remake der Story von 1979. Die Geschichte mit der Erschaffung der Hybriden ist spannend, obwohl man Ähnliches schon woanders gesehen hat (bspw. „Altered carbon“). Was passiert, wenn man kindliches Bewusstsein in Chassis verpflanzt, die eher zu 20- o 30-jährigen passen? -> kleine Jungs & Mädchen in Erwachsenenkörpern, die weiterhin von kindlichen Ängsten geplagt werden und mit Puppen spielen. Einzig Marcy durchläuft schnell den Reifeprozess hin zur jungen Frau. Die anderen Hybriden stagnieren emotional. Ist ein Kunstmensch ein Mensch oder eine Maschine (-> eine Sache, die einem Dritten gehört, die man verkaufen u kaufen kann)? Alles nicht superneu: Hybride/Synths gab’s schon immer in den Alien-Filmen, bloß stand bisher noch nie deren Genese im Zentrum des Geschehens. Die Frage, ab welchem Punkt künstliche Intelligenz als dem Menschen ebenbürtig einzustufen ist, woraus dann wiederum individuelle Freiheitsrechte resultieren, wurde bereits in vielen Scifi-Produktionen gestellt. I.d.R. entscheidet der Stärkere der beiden über die Antwort: ist es der Mensch, bleibt die Maschine – egal, wie klug sie ist – auf ewig Maschine; ist es die K.I., tötet sie ihren Schöpfer u versklavt den Rest der Menschheit. Bleibt abzuwarten, wie sich dieses bereits in den ersten Episoden klar erkennbare Spannungsfeld in „Alien Earth“ weiterentwickelt.
Die Kunstmenschen haben den Vorteil, dass die extraterrestrischen Spezies kein Interesse an ihnen zeigen, sie sich Alien & Co gefahrlos nähern können, während für den normal sterblichen Homo Sapiens bei Kontakt akute Lebensgefahr droht. Diese „Immunität“ prädestiniert die Humanoiden für wissenschaftliche Versuche an den außerirdischen Arten. Wendy erlernt zudem in Rekordzeit die „Sprache“ des Xenomorphs (so wird das Weltraummonster in der Serie bezeichnet): eine Mischung aus Schnalzlauten à la Flipper u Grillenzirpen und kann ihm Befehle erteilen. Wird sie die biologische Superwaffe demnächst gegen ihre Erschaffer richten?
Mehr Tiefgang als die meisten Filme des Franchise
Innovativ an der Serie ist das zusätzliche Augenmerk auf die Entstehung der Kunstmenschen, bzw. die Geschichte wird dieses Mal vorrangig aus dem Blickwinkel einer Hybriden erzählt (das gab’s ansatzweise in ‚Alien 4 – die Wiedergeburt‘ mit Winona Ryder als Synth Call, wobei man da lange nicht wusste, dass Call ein Kunstwesen ist). Die düstere Enge des Raumschiffs ergänzt um die räumliche Begrenztheit einer Tropeninsel. Das Monster fühlt sich in beiden Habitaten sofort heimisch.
Durchgängig unterhaltsam, ohne in Popcorn-Action abzugleiten, bietet eine neue Perspektive auf die Alien-Saga, verfügt über mehr Tiefgang als die meisten der gleichnamigen Filme und ist speziell mit Wendy/Marcy (Sydney Chandler) u Chefwissenschaftler Kirsh (Timothy Olyphant) hervorragend besetzt.
8.5 Punkte (Staffel 1)
Auf Disney+
Nachtrag: bis gestern Abend dachte ich irrtümlich, Alien Earth wäre eine alternative Version des Originals von 1979. ISv. Alien landet auf der Erde, statt im All verschollen zu gehen. Seit heute Morgen weiß ich (ich recherchiere ja schon ein bisschen, wenn ich so nen Text schreibe), dass die Serie das Prequel zum Auftaktfilm sein soll -> das Monster im Raumschiff war gar nicht das erste, sondern sein „Bruder“ geisterte schon einige Jahre zuvor über eine Tropeninsel. Ob das eine gute Idee ist (nimmt nachträglich den Aha-Effekt aus dem Original raus) -> keine Ahnung. mMn wär’s besser gewesen, die neue Geschichte völlig eigenständig zu erzählen, anstatt die Story mühsam in eine Chronologie zu pressen. Aber ich bin eh kein Fan von Prequels.
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