Wenn die Blase wieder drückt oder …

… warum gibt es in Deutschland so wenig öffentliche (und hygienische!) Toiletten? Kleine WC-Kolumne von Henning Hirsch.

Bild von Falkenpost auf Pixabay

Die Linke kritisiert hohe Toilettengebühren entlang der Autobahnen. Abhilfe soll die Verstaatlichung bringen.

Die Linke hat gefordert, Autobahnraststätten wieder in staatliche Hand zu überführen. Wie der „Stern“ berichtet, kritisiert die Partei insbesondere die aus ihrer Sicht überhöhten Gebühren für Toilettenanlagen entlang deutscher Autobahnen.
© t-online: Linke will Raststätten verstaatlichen

Ich überlege noch, ob ich diesen Text so beginne: Im August müssen ebenfalls Toiletten herhalten, um das Sommerloch zu füllen … oder doch lieber so: Wenn mit zunehmenden Alter 3 Dinge nachlassen, dann das Gedächtnis, die Libido und die Blase. Als 63-jähriger Noch-nicht-ganz-Rentner weiß ich hier ausnahmsweise mal, wovon ich rede.

Losgelöst von der Widersprüchlichkeit, genug Geld für eine Reise mit dem Auto zu besitzen, um dann an der Raststätte plötzlich zu bemerken, dass der 1 Euro für die Urinalnutzung das Urlaubsbudget sprengt, soll’s in dieser Kolumne auch gar nicht um die angeblich fehlende Sozialverträglichkeit des WC-Obolus gehen, sondern wir wollen uns stattdessen mit dem traurigen Zustand des öffentlichen Toilettenwesens in unserem Land beschäftigen.

Mit leerer Blase shoppt es sich besser

Wie sieht die Realität für einen bspw. 63-jährigen Noch-nicht-ganz-Rentner aus dem Bonner Süden aus, sobald er beabsichtigt, die eigenen 4 Wände für einen Halbtagestrip nach Köln zu verlassen? Einfach ins Auto setzen und munter losfahren, ist in diesem Alter nicht mehr. So ein Ausflug muss schon minutiös geplant werden. Der Noch-nicht-ganz-Rentner sollte zum einen darauf achten, dass seine Blase komplett entleert ist, in etwa hochrechnen, wie viele Toilettengänge innerhalb der nächsten Stunden bevorstehen und sich klugerweise vorab darüber Gewissheit verschaffen, welche Anlaufstellen er im Bedarfsfall ansteuern kann.

Denn, wenn eines in diesem Land sicher ist, dann die Tatsache, dass aushäusiges Urinieren ein Abenteuer darstellt. Fangen wir mit dem angenehmsten Fall an: Sie sind in Köln zum Essen verabredet. Mittelpreisiges Restaurant, mediterrane Küche, nach 1 Flasche Mineralwasser, 1 Viertelliter Valpolicella classico plus 2 Espressi drückt die Blase mittlerweile sehr, Sie entschuldigen sich kurz bei Ihrem Gegenüber, fragen die nette Bedienung nach dem Weg (häufig geht’s ne enge Treppe runter in den Keller), öffnen die Tür mit dem zu Ihnen passenden Identitäts-Symbol, zwängen sich am Waschbecken vorbei und hoffen, dass der Gast vor Ihnen den Ort in einem halbwegs akzeptablen Zustand zurückgelassen hat. Im Anschluss setzen Sie sich entweder auf die nicht mehr ganz taufrische Klobrille (der Lack blättert an zwei Dutzend Stellen ab) oder verrichten Ihr (kleines) Geschäft im Stehen. Dann zurück ans Waschbecken, wo Sie zwar ein paar Tropfen aus einem verrosteten Seifenspender rausquetschen können, jedoch am Handtuch scheitern, weil das so aussieht, als sei es das letzte Mal vor 14 Tagen gewechselt worden. Also die Finger an der Hose abstreifen, die Treppe zurück nach oben, zahlen (Trinkgeld für die nette Bedienung nicht vergessen. Die kann ja nichts fürs 14 Tage alte Handtuch), sich vom Gegenüber verabschieden (mit trockenen Händen, dafür jedoch leicht nassen Hosenbeinen), ins Auto setzen und während der Rückfahrt aufs eigene Badezimmer freuen.

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Wenn das der angenehme Fall war – was bedeutet dann unangenehm, fragen Sie mich nun nicht ganz zu Unrecht? Der unangenehme Fall – und das ist der weitaus häufigere – besteht im normalen Einkaufsbummel. Wenn man eben nicht mal schnell die Treppe in einem mittelpreisigen Restaurant runterlaufen kann, sondern bei Harndrang vor folgender Überlegung steht: Schaffe ich es rechtzeitig zurück nach Hause (dagegen sprechen einige Faktoren: von der Kölner Innenstadt bis in den Bonner Süden dauert es Minimum 1 Stunde – wahrscheinlich wg. des gleich einsetzenden Feierabendverkehrs länger –, das, was ich besorgen wollte, habe ich noch nicht gefunden – Mission also vorzeitig abbrechen?, u.v.a. die 63-jährige Blase hält nicht mehr das, was sie mit 40 noch locker hielt), oder muss ich mich gezwungenermaßen nach Alternativen zum heimischen Klo umsehen? Die Ausweich-WCs können sein/liegen:
(1) beim Herrenbekleider (nicht: -bestatter): sind zumeist nur fürs Personal vorgesehen
(2) im McDonald’s: Hunger auf ein BigMac-Menü verspüre ich leider keinen
(3) in den Systembäckereien: hier reicht zumeist 1 Tasse Kaffee, um den Schlüssel für die Toilette zu erhalten.

Gute Nerven von Vorteil beim Besuch öffentlicher Toiletten

Egal, ob man seinem Harndrang in (2) oder (3) nachgibt: angenehm ist das, was einen hinter der Tür erwartet, zumeist nicht. Defekte und übergelaufene Urinale bestimmen das Bild, die Boxen mit den Einzeltoiletten betritt man tunlichst nur dann, wenn es überhaupt nicht mehr anders geht, Seife ist Glückssache, und die Papierhandtücher sind zumeist alle, weil irgendein Bekloppter 100 Stück auf einmal aus dem Spender rausgezerrt hat (und das Personal nur 1x/täglich auffüllt). Türgriff anfassen verboten, weil man sich das vorherige Händewaschen dann auch hätte sparen können. Wieder draußen auf der Treppe kann von Flach- auf Normalatmung umgestellt werden. Beim Verlassen des Lokals gehen einem Sachen durch den Kopf wie: Hoffentlich sieht es in der Küche hygienischer als auf dem Gäste-WC aus, u/o ich hätte das belegte Brötchen eben besser nicht gegessen. Vorausschauende Menschen haben Sagrotan im Handschuhfach des Autos deponiert, mit dem sie sich vor der Rückfahrt bis zum Ellenbogengelenk desinfizieren.

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Okay, dass Toilettenbesuche bei McDonald’s und in Systembäckereien nicht ohne sind, wissen wir jetzt; aber was ist mit (4) der guten alten, von der Kommune betriebenen, öffentlichen Toilette? Wo ist die geblieben?

Ja, wo ist die geblieben? Das frage ich mich auch oft, wenn ich durch unsere Innenstädte schlendere. In Köln und Bonn ist es einfacher, einen Straßendealer ausfindig zu machen, als ein kommunales WC zu entdecken. Es gibt sie vereinzelt noch; allerdings sollte man tunlichst über 3 Eigenschaften verfügen, bevor man sie betritt:
(a) robuster Magen
(b) stabiles Immunsystem
(c) generell: gute Nerven.

Das, was wir in (2) und (3) als unangenehm empfanden, tritt bei (4) potenziert auf -> Augenlicht auf unscharf dimmen, Aufhören zu atmen, NICHTS anfassen, die Einzelboxen NICHT betreten (für Frauen natürlich schwierig), nicht länger als unbedingt nötig verweilen, Seife (eh nicht vorhanden) & Wasser (an den Hähnen nisten 1 Milliarden Bakterien & Viren) sind egal, Türklinke mit dem bedeckten Unterarm öffnen, SCHNELL zum Auto: dort die komplette Sagrotanflasche über die Hände geben und die Arme damit bis zum Schulteransatz einreiben. Zurück zu Hause 1 Viertelstunde unter die Dusche und prophylaktisch Vomex auf dem Nachttisch deponieren.

Höchste Zeit für mehr (saubere) Klos!

Das ist aber VIEL Aufwand, nur um mal eine öffentliche Toilette zu frequentieren, meinen Sie? Ja, das ist verdammt viel Aufwand, antworte ich; aber Sie hätten ja auch weniger trinken oder Ihren Einkaufsbummel virtuell durchführen können, statt mit prall gefüllter Blase durch die Kölner Innenstadt zu latschen.

Da ich jetzt selber gleich ins Bad muss (sitze seit 8h am Schreibtisch und habe 5 Tassen Kaffee intus), wollen wir so langsam ans Ende dieser Kolumne kommen und fürs Erste festhalten:
(A) Toilettengänge jenseits der eigenen 4 Wände sind ein Wagnis
(B) Das öffentliche WC-Netz ist schwächer ausgebildet als der ÖPNV im Bonner Süden zw. Mitternacht und 5h morgens
(C) Faustregel: je öffentlicher, desto verdreckter
(D) Das Risiko, sich irgendwas auf ner öffentlichen Toilette einzufangen, steigt mit zunehmendem Alter exponentiell an.

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Es wäre also ne Menge gewonnen, wenn unsere kommunalen Entscheider beim Stichwort „Infrastruktur“ nicht einzig an vierspurigen Straßenausbau & superschnelles DSL an jedem gottverdammten Winkel der Republik dächten, sondern ebenfalls Mittel für eine flächendeckende Grundversorgung mit schnell erreichbaren & hygienischen Toiletten bereitstellten. Speziell Wähler mit schwacher Blase würden ihnen danken (und die werden aufgrund der Demografie immer mehr).

Wer also möchte, dass sich auch Ältere in unsere Innenstädte trauen (und dort den lokalen Einzelhandel stützen), ohne dass gleichzeitig das Wildpinkeln in den Grünanlagen überhandnimmt, der muss folglich in das öffentliche WC-Wesen investieren.

Jetzt wird es höchste Zeit für mich, den Schlusspunkt zu setzen, sonst schaffe ich es nicht mehr bis aufs eigene Klo, sondern muss mich vom Balkon runter erleichtern.

Rubrik: Der öffentliche Toilettengang war immer schon ein Abenteuer. Aber früher gab’s definitiv mehr Möglichkeiten, es gratis zu tun.

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