Mein erster Schultag

Unser Kolumnist erinnert sich an seinen ersten Schultag vor 60 Jahren. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz.

Erster Schultag Tafel

Für zwei meiner Enkel beginnt der sogenannte Ernst des Lebens in ein paar Wochen. Und da kommen zwangsläufig die Erinnerungen des Opas. Und das, obwohl mein erster Schultag  jetzt schon 60 Jahre zurückliegt.

Freiheit

Ich hatte gehörig Schiss vor der Schule. Schon im Kindergarten, der damals im Keller des Schulgebäudes lag, war ich nach kurzer Zeit ausgebüchst, weil ich nicht in einem abgschlossenen Raum bleiben wollte. In einem unbeobachteten Moment, als die Kindergärntnerin, die auf den Namen Tante Wilma hörte, nicht aufgepasst hatte, war ich auf einen Stuhl geklettert und durch das Kellerfentster in die Freiheit entflohen. Ab durch den kleinen Wald und nach Hause, wo ich schon ankam, bevor die überhaupt gemerkt hatten, dass ich weg war.

In der Schule konnte ich das schlecht wiederholen. Es war der 1.August 1965. Ich war schon sieben Jahre alt. Der Stichtag lag damals blöde, aber über das zusätzliche Jahr in Freiheit habe ich mich nie beschwert.

Clubjacke

Am Morgen musste ich erst mal recht ungewohnte Klamotten anziehen. Eine graue Stoffhose, ein am Hals kratzendes weißes Hemd und ein blaue Jacke, die meine Mutter Clubjacke nannte. Ich sah aus, wal wollte ich auf Sylt unanständige Lieder singen. Dann ging es erst mal zum Gottesdienst in das alte Franziskanerkloster auf der Münstereifelerstraße in Euskirchen. Danach dann zur rund 500 Meter entfernten Franziskusschule. Die Eltern warteten brav vor der Schule, während wir auf die Klassen verteilt wurden.

Lehrer Bauer

Der erste Klassenlehrer war Lehrer Bauer. Ein großer schlaksiger Mann mit schwarzer Brille, der nett, aber bestimmt war. Eine natürliche Autorität ohne viel Theater. Ruhig und klar. Später wurde er Dierektor. Und da saßen wir nun. Ich kannte keine/n von meinen Mitschülern und Mitschülerinnen. Hockte da mehr oder weniger angstvoll und harrte der Dinge, die da kommen würden. Als „Heinrich“ aufgerufen wurde, wusste ich erst einmal gar nicht, dass ich gemeint war. Zuhause hatte man mich immer nur Heinz gerufen, obwohl ich tatsächlich ein Heinrich war, so wie mein Opa einer gewesen war. Und wie alle meine Großvettern es waren, die sich nur durch den Zusatz eines Dorfnamens, „Kuchemer Heinz“, „Kastenholzer Heinz“ und ich halt „Öskercher Heinz“ unterschieden. Okay, das war schnell geklärt.

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Schulweg

In der ersten Stunde mussten wir unseren Schulweg auf ein Blatt Papier malen. Das war einfach, weil ich nur 3 Blocks nach rechts und 2 Blocks nach links gehen musste. 500 Meter, rund 10 Minuten. Jedenfalls auf dem Weg zur Schule. Auf dem Rückweg ging ich gerne Umwege, durch das Wäldchen am Mittbach, manchmal auch direkt durch den Bach, durch den Schillerpark oder noch mit einem Schulfreund irgendwohin. Wenn ich dann erst nach einer Stunde zuhause war, war meine Mutter sauer, und es gab keinen Nachtisch. Mehr passierte nicht.

Kopfnuss

Nach ein paar Tagen hatte ich mich an die Schule gewöhnt und ging da meistens gerne hin. Außer, wenn es „Schönschreiben“ gab. Davor hatte ich panische Angst, weil der Sadist, der das, und nur das, unterrichtete, bei jeder Abweichung von der Linie eine Kopfnuss verpasste. Das tat richtig weh und kam meistens völlig überraschend, weil es sich von hinten anschlich. Ich wünsche mir, dass dieser Drecksack immer noch in der Lehrerhölle schmort und täglich vom Schönschreibteufel tausend Kopfnüsse bekommt. Wenn das eine Erziehungsmethode gewesen sein sollte, sie hat das Gegenteil bewirkt und stattdessen viele Kinder traumatisiert. Meine Klaue war immer unleserlich. Später musste ich häufig meine Sekretärin fragen, was ich da vor ein paar Tagen geschrieben haben könnte. Und die wusste das fast immer.

Tornister

Mein Schulranzen war aus hartem Leder und wurde Tornister genannt. Da war nichts ergonomisch und man musste auch nicht vorher zur Beratung,, wie das heute üblich ist. An der Seite hing an einer Schnur der Putzlappen für die Schiefertafel. Das war vermutlich unsere wichtigste Grundimmunisierung, denn dieser Dreckslappen enthielt alle im Jahr 1965 bekannten Bakterienstämme, Pilze und Feinstaub. Den Geruch werde ich nie vergessen. Getoppt wurde das nur noch vom Schwamm an der großen Schultafel, mit dem man sich bei Tafeldienst weiter immunisieren konnte.

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Die Zeiten ändern sich

Ich denke ganz gerne an die Zeit zurück, ohne sie zu verklären. Ob meine Enkel das ebenso werden, weiß ich nicht, hoffe es aber. Jede Zeit hat ihre Vor- und Nachteile. Heute ist der Ranzen sozusagen maßgeschneidert und kostet ein Vermögen, Kopfnüsse gibt es nicht mehr, und die GrundschullehrerInnen geben sich große Mühe, alle Kinder zu fördern. Ich weiß das, weil meine Tochter eine von ihnen ist. Inklusion ist heute ein Thema, das richtig ausgestattet ein Segen wäre, bei unzureichender Ausstattung aber zur unfairen Belastung der nicht gehandicapten SchülerInnnen und der Lehrenden werden kann. Die Zeiten ändern sich ständig und mit ihnen der erste Schultag.

In meiner Schultüte war nichts Gesundes, aber auch nichts Teures, Ein paar Plätzchen, Schokolade und ein ige Stifte. Toll fand ich es trotzdem. Und ich wünsche allen Idötzchen einen guten Start in ihr Schulleben.

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