„Wollen uns die Muslime unterwerfen?“

In einem Meinungsbeitrag in der österreichischen Wochenzeitung Profil stellt Redakteur Robert Treichler diese Frage und kommt zu dem Schluss, dass wir zwar wachsam bleiben müssen gegenüber manchen islamistischen Umtrieben, aber beruhigt sein können, da islamischen Parteien, die einschlägige Positionen vertreten, keine Wahlerfolge vergönnt sind. Sind für die Beantwortung der (polemischen) Eingangsfrage tatsächlich nur Wahlerfolge islamistischer Parteien maßgeblich? Die eigentliche Frage lautet denn auch: „Gibt es islamische Kräfte, die uns unterwerfen wollen?“ Eine Replik von Kolumnist Heiko Heinisch auf Robert Treichler:


Sehr geehrter Herr Treichler,

Ihr Kommentar „Wollen uns die Muslime unterwerfen“ im aktuellen Profil hat mich etwas ratlos zurückgelassen. Er erweckt den Eindruck, als hätten Sie sich bislang wenig bis gar nicht mit Ideologie und Strategie islamistischer Akteure sowie den gesellschaftspolitischen Einstellungen in den Hauptherkunftsländern muslimischer Migranten befasst. Ihr Verweis auf die italienische Einwanderung in die USA lässt ebenfalls nicht unbedingt auf eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Thema schließen.

Das Phänomen der Binnenintegration

Der Reihe nach: Allein aufgrund der unterschiedlichen Sozialsysteme war den italienischen Migranten, anders als im heutigen Europa, eine Einwanderung in Sozialsysteme nicht möglich. Sie mussten vom ersten Tag an eigenständig für ihren Unterhalt aufkommen. Das fördert die Integration in den USA bis heute maßgeblich. Dass die italienische Einwanderung zunächst eine Menge Probleme mit sich brachte, inklusiver krimineller Netzwetzwerke, ist ein Phänomen, das nicht nur diese Einwanderung betrifft, auch wenn es bei anderen Gruppen nicht mit so klingenden Namen wie „Mafia“ oder „Lucky Luciano“ verbunden war. Sehen Sie sich etwa die New Yorker Viertel Hell’s Kitchen oder Chinatown vor einigen Jahrzehnten an. Es handelt sich um ein Phänomen, das – und diesen Punkt übersehen Sie – immer dann auftritt, wenn in kurzer Zeit eine relativ große, ethnisch homogene Gruppe einwandert und sich in weitgehend ethnisch homogenen und sozial marginalisierten Vierteln wiederfindet.

Die Menschen in solchen Vierteln sind natürlich nicht aufgrund ihrer Herkunft krimineller als andere; es sind die parallelgesellschaftlichen Strukturen, die Räume schaffen, zu denen die Polizei meist nur schwer Zugang findet und die daher gewissermaßen natürliche Rückzugsräume und Rekrutierungsfelder für kriminelle Strukturen bieten.

Letzteres hängt wiederum mit dem Phänomen der Binnenintegration (Hartmut Esser) zusammen. Große und ethnisch geschlossene Communitys machen die Integration in die eigene ethnische Gruppe und den von dieser geschaffenen Arbeitsmarkt – inklusive krimineller Jobs – für ihre Mitglieder kurzfristig „billiger“ als die Integration in die Mehrheitsgesellschaft.

Es bedurfte allerdings nur zwei bis drei Generationen, um die italienische Einwanderung zu bewältigen. Little Italy in Manhattan ist heute nicht mehr als eine Touristenattraktion, die aktuell von chinesischen Einwanderern in Beschlag genommen wird. Die muslimische Migration nach Europa – auch das übersehen Sie – hält mittlerweile seit gut 60 Jahren an, und die dritte Generation ist, wie wir aus Befunden wissen, teilweise schlechter integriert als es die erste war. Wir erleben also, was die muslimische Migration betrifft, das Gegenteil dessen, was in Ihrem USA-Beispiel passierte.

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Kulturelle Hegemonie

Damit kommen wir zum Hauptpunkt Ihrer Ausführungen. Anders als Sie schreiben, geht es nicht darum, ob aktuell dezidiert islamische Parteien die Macht in Parlamenten erlangen oder auch nur Wahlerfolge aufweisen können, sondern darum, ob islamistische Akteure in der Lage sind, ihre Vorstellungen innerhalb muslimischer Communitys und langfristig in der gesamten Gesellschaft umzusetzen. Es geht, wie schon Antonio Gramci vor 100 Jahren erkannte, zunächst um kulturelle Hegemonie und erst danach um politische Macht. Vergessen Sie also das SÖZ und andere Islamparteien, die sich in der Regel bislang abseits der großen islamistischen Akteure in Europa bilden. Seit vielen Jahren beobachten wir, dass Muslimbruderschaft oder Milli Görüs nicht auf eigene Parteien setzen, sondern eine Strategie der gezielten Infiltration bestehender Parteien, Gewerkschaften und NGOs verfolgen, um dort „für die Sache des Islam“ zu arbeiten – und das recht erfolgreich. In Großbritannien und den USA hat die sogenannte „Muslim-Vote“, begünstigt durch die dortigen Wahlverfahren, regional mittlerweile große Bedeutung erlangt. In Gebieten mit hohem muslimischem Bevölkerungsanteil stellen die Parteien gerne muslimische Kandidaten auf, die nicht selten aus den genannten oder ähnlich verfassten Organisationen stammen.

Sie haben sicher von Hamtrack in Michigan gehört. Eine Gemeinde mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit, muslimischem Bürgermeister und Stadtrat, in der das Leben für Homosexuelle zunehmend schwierig wird. Dort weicht die viel beschworene Diversität allmählich einer islamischen Monokultur.

Es geht um Wählerstimmen

Der ehemalige dänische Muslimbruder Ahmed Akkari sagte bereits vor Jahren: „We understood that the West is short-sighted, and that it basically wants three things from us: money, votes, and not being Bin Laden.“ In Frankreich sind es die Linken rund um Mélenchon und La France Insoumise, die in jüngster Zeit versuchen, das muslimische Wählerpotential abzuschöpfen, indem sie die Anliegen islamistischer Organisationen übernehmen.

In Deutschland oder Österreich ist es in erster Linie, aber nicht allein (!), die Sozialdemokratie, die auf die muslimischen Wählerstimmen zielt. Das geht am einfachsten, indem mit den organisierten Strukturen des Islam kooperiert wird. Und es hat historische Ursachen, dass die am besten organisierten Gruppen jene des politischen Islam sind, namentlich die Muslimbruderschaft und die Milli Görüs. Diese beschaffen Wählerstimmen allerdings nicht ohne Gegenleistung. Das erhellt vielleicht auch den Umstand, dass der Wiener Bürgermeister seinen sozialdemokratischen türkischen Kollegen Imamoglu nach dessen Verhaftung im Stich lässt und sich lieber mit dem islamistischen Autokraten Erdogan an einen Tisch setzt.

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Der Intoleranteste gewinnt

Am Ende Ihres Kommentars liefern Sie dann selbst zwei Beispiele, wie islamistische Unterwanderung funktioniert, wie gesellschaftliche Regeln in kleinen Schritten verändert werden – und es sind nur zwei Beispiele unter einer sich häufenden Menge ähnlich gelagerter Vorfälle. Erinnert sei nur an eine Demonstration „Für die Menschen in Aleppo“ im Dezember 2016 in Bregenz, zu der mehrere islamische Organisationen aufgerufen hatten, darunter die zur Milli Görüs gehörende Islamische Föderation, aus der der aktuelle Präsident der IGGÖ stammt. Die Organisatoren versuchten auf dieser Demo, mittels Absperrbändern eine Trennung der Geschlechter für alle Teilnehmer durchzusetzen, was damals Proteste der Grünen hervorrief.

Entsprechende Phänomene, sowie die Entstehung parallelgesellschaftlicher Strukturen werden seit 2015 durch eine Masseneinwanderung vor allem sunnitischer Muslime verstärkt, die aus Ländern stammen, in denen fundamentalistische Islamvorstellungen – also jene der Islamisten – zum Mainstream zählen.

Nein, nicht alle Menschen muslimischen Glaubens sind Islamisten, nicht alle teilen diese Islamvorstellungen, und nicht alle wollen in einer Gesellschaft leben, die islamischen Regeln folgt – aber wenn wir den Umfragen der letzten Jahre folgen, dann sind entsprechende Einstellungen unter Muslimen weit verbreitet. Religiöse Unduldsamkeit, Ablehnung von Homosexualität, Antisemitismus und die Abwertung von Frauen zeigen sich unter Muslimen signifikant häufiger als in jeder anderen Bevölkerungsgruppe. Mit anderen Worten: Durch die Zuwanderung wird unsere Gesellschaft zwangsläufig frauenfeindlicher, antisemitischer und homophober.

All das spielt Islamisten, die sich in Europa seit den 1950er Jahren sukzessive organisiert haben, in die Hände. Das ist das Potential, auf dem sie aufbauen und aus dem sie rekrutieren können mit dem Ziel, unsere Gesellschaft in ihrem Sinne zu transformieren. Dafür braucht es keine politischen Mehrheiten, es bedarf, wie Nassim Nicholas Taleb in seinem lesenswerten Essay „Der Intoleranteste gewinnt: Die Tyrannei der kleinen Minderheit“ zeigt, nur einer toleranten Mehrheit und einer intoleranten Minderheit, damit sich Regeln und Konventionen verschieben und islamische Regeln sich ausbreiten können. Und das tun sie bereits sichtbar. Um nur das augenscheinlichste, aber dennoch oft vergessene Beispiel zu erwähnen: Jesus-Karikaturen sind kein Problem, aber welches Medium traut sich noch, eine Mohammed-Karikatur abzudrucken? Das Profil?

Civilization Jihad

Der gedankliche Fehler besteht darin, ausschließlich politische Parteien als politische Kräfte zu identifizieren. Es existiert bisher keine maßgebliche islamische Partei, die islamistische Ziele vertritt, da haben Sie Recht – aber es existiert dennoch eine wachsende politische Kraft oder besser gesagt eine Bewegung, die diese Ziele verfolgt. Ihre Akteure haben sich in unser politisches System integriert und arbeiten konsequent an der Erreichung ihrer Ziele, zu deren kurzfristigen zählen – wie die französische Regierung, die ein Verbot der Muslimbruderschaft auf den Weg bringen will, erst jüngst feststellte – die Infiltration der Gesellschaft und die Untergrabung des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Und sie denken dabei nicht in Wahlperioden, sondern in Dekaden und Centennien. Florence Bergeaud-Blackler spricht von einer Bewegung mit einer Vision, einer Identität und einem Plan. Es existieren zahlreiche Dokumente aus islamistischen Kreisen wie etwa der Muslimbruderschaft, in denen sie ihre Pläne einer Islamisierung der Welt und ihre Strategie einer Infiltration nicht-muslimischer Gesellschaften offenbaren. Sie nennen es „Civilization Jihad“. Wir sollten ihnen zuhören, denn Ideologen tun in der Regel, was sie sagen.

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Die Beantwortung der Frage im Titel Ihres Kommentars erfolgte leider sehr leichtfertig und undifferenziert. Wenn wir der Frage nachgehen, ob Muslime unsere Gesellschaft verändern wollen, ist eine wesentlich tiefere und differenziertere Analyse notwendig.

Mit besten Grüßen,

Heiko Heinisch

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