Nichtwähler: Die stillen Rebellen der Demokratie
Bei der letzten Bundestagswahl 2021 gaben 23,4% der Wahlberechtigten ihre Stimme nicht ab. Warum eigentlich? Eine Kolumne von Heinrich Schmitz.

Alle paar Jahre, wenn die Wahlbenachrichtigung ins Haus flattert, regt sich in der einen oder anderen Ecke des Landes ein tiefer, beinahe philosophischer Gedanke: „Ach nee, lass mal.“
Nichtwählerinnen und Nichtwähler – diese mysteriöse Spezies in der Demokratie – tragen eine tiefe, wortlose Überzeugung in sich:
Die da oben machen doch eh, was sie wollen.
Und so bleiben sie am Wahlsonntag konsequent dort, wo sie sich am wohlsten fühlen: auf der Couch, in der Kneipe, im Schrebergarten oder in der endlosen YouTube-Spirale zwischen Katzenvideos, Pornos und Verschwörungstheorien.
Warum?
Doch was treibt diese tapferen Demokratieverweigerer an? Ist es Politikverdrossenheit? Ist es Protest? Oder einfach die schlichte Erkenntnis, dass das Wahllokal leider nicht mit einer Couch, Snacks und Netflix ausgestattet ist? Vermutlich eine Mischung aus allem.
Interessanterweise gibt es unter Nichtwählern eine faszinierende Bandbreite von Typen. Jede Jeck is anders, wie man hier sagt. Da ist zum Beispiel der „Ist-mir-egal-Nichtwähler“. Er könnte theoretisch wählen, interessiert sich aber für Politik in etwa so sehr wie für die aktuellen Wasserstandsmeldungen des Rheins; ielleicht gar nicht so schlecht, wenn der die Füße still hält, ehe er noch meint, irgendwas Komisches wählen zu müssen.
Alle doof!
Dann gibt es den „Ich-würde-ja-wählen-aber-alle-sind-doof“-Nichtwähler, der es geschafft hat, in 40 Jahren kein einziges Parteiprogramm zu lesen, aber trotzdem genau weiß, dass alle Parteien unfähig sind. Auch bei dem ist Nichtwählen eine gute Alternative.
Und schließlich der „Protest-Nichtwähler“, der glaubt, dass seine Abwesenheit die Politiker zutiefst verletzt und in Panik versetzt. (Spoiler: Tut sie nicht.)
Die große Ironie ist, dass genau diese Menschen am lautesten über „die da oben“ schimpfen. Wahlprogramme lesen? Zu anstrengend. Kreuze machen? Zu kompliziert. Den Wahl-O-Mat befragen? Och nö, lass mal. Sich nach der Wahl lautstark aufregen? Kein Problem!
Genial
Denn wer nicht wählt, bleibt herrlich unangreifbar – man kann alles kritisieren, ohne jemals Verantwortung für eine Entscheidung übernehmen zu müssen. Ein genialer Schachzug!
Doch, liebe Nichtwähler, vielleicht wäre es an der Zeit, die Strategie zu überdenken. Denn wer nicht wählt, überlässt anderen die Entscheidung – und meckert dann über die Ergebnisse. Die Demokratie ist eine Wundertüte, ja. Man weiß nie so genau, was am Ende herauskommt. Aber Nichtwählen ist, als würde man bei einer Familienfeier nicht mitbestimmen wollen, was es zu essen gibt,obwohl man ausdrücklich gefragt wurde, um sich dann lautstark über den Rosenkohl zu beschweren.
Also, vielleicht dieses Mal doch ins Wahllokal? Keine Angst, es gibt weder Rosenkohl noch Prüfungsklausuren – nur ein paar Kreuze, die am Ende mehr Einfluss haben, als man denkt. Und wem es da zu sehr nach Schule riecht, der kann auch von der Couch aus Briefwahl machen.