Die Sache mit dem Essen

Uwe Fischer kolumniert über Absturzschuppen und Kadaveresser.


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Immer so pingelig

Mit dem Essen ist es ja so eine Sache bei mir. Früher war ich eine Strafe für meine kochende Mutter, total pingelig und viele heute geschätzte Dinge verweigernd. Gab es den zu Feiern obligatorischen Nudel- oder Kartoffelsalat – diese meistens von der Oma zubereitet – brauchte ich stets 2 Teller: einen Teller für das Essen, einen Teller für das Bäh. Der Haufen auf dem Bäh-Teller war immer größer.

Pilze, Spargel, Tomaten, Gurken, Käse, Zwiebeln landeten auf dem Teller mit dem Bäh, Nudeln, Erbsen, Möhren blieben auf dem guten Teller.
Kräuterbutter, Kräuterquark, Magerquark, Honig, Rübenkraut, Mupfeln, Paprika, Radieschen, Rettich und jede Menge mehr – alles war ekelhaft. Das hielt viele Jahre so an und für mich war das normal. Es war für mich als Kind sogar normal, Spinat, Rosenkohl und Rote Beete zu mögen. Über meine Liebe, fast schon meine Sucht zu Pommes lasse ich mich an dieser Stelle lieber nicht aus, sonst müsste aus dem Stoff eine eigene Kolumne werden.

Übrigens: Mupfeln kennt Ihr doch, oder:

Erstmals stutzig wurde ich, als wir im jungen Erwachsenenalter mit ein paar Freunden in einem Frühstückscafé waren und ich mein belegtes Baguette von der Karte mit allen Ausschlüssen von Bäh bestellte. Mit der Reaktion der Bedienung hatte meine damalige Clique noch lange Spaß:
„Darf es denn wenigstens ein kleines Blättchen Salat sein?“
Ja, durfte es, an der Stelle wurden mir meine Essgewohnheiten erstmals etwas peinlich. Heimlich in den Müll geworfen hatte ich das Blättchen trotzdem.

Absturzschuppen

Ungefähr zu dieser Zeit, in einem unserer liebsten Absturzschuppen, den wir alten Menschen noch unter dem Namen „Disco“ kennen. Es gab da eine Ecke, in der man ein paar warme Kleinigkeiten bestellen konnte, mein Baguette Hawaii musste natürlich ohne Käse sein. Wieder ein Spruch einer Bedienung, jetzt zu Ihrer Kollegin:
„Die Leute werden auch von Wochenende zu Wochenende bekloppter!“
Als mir dann Ananas und Schinken, nicht von der Masse zerlaufenen Käses mit dem Brot verklebt, nach und nach erst auf die Hose, dann auf den Boden fielen wurde mir bewusst: der Bekloppte dieses Wochenendes war ich. Aber gut, auch ein warmes Baguette fast ohne alles kann eine Grundlage für die nächsten Biere sein und ein noch Bekloppterer würde mir demnächst meinen Status streitig machen. Vielleicht würde der ja ein Baguette Hawaii ohne Baguette bestellen.

Dann kam ich mit meiner späteren und längst wieder ehemaligen Frau zusammen und wie es sich für einen Mann gehört, veränderte ich mich nach und nach. Bekloppt blieb ich, aber meine Essgewohnheiten waren andere. Vieles von dem, was ich zuvor noch verschmäht hatte, fand nun den Weg auf meinen Teller. Spargel, Paprika, Pilze, Kräuterbutter und noch viel mehr wurden zum festen Bestandteil meines Speiseplans, neue Gerichte mit neuen Zutaten auszuprobieren war mir eine Freude. Geblieben sind nur ein paar wenige Abneigungen: rohe Tomaten (zerkocht oder als Ketchup gerne, selbst Tomatensuppe esse ich, nur der Glibber in den roten Dingern ist mir suspekt), Käse geht nur in geringen Mengen zum Überbacken, in anderem Zustand ist er für mich die Hölle aus der Küche.

Traumatischer Käse

Ein regelrechtes Trauma habe ich mir eingehandelt, als wir mit einer großen Reisegruppe mit dem Bus unterwegs waren. Es war Zeit für eine Pause mit der Einkehr in einen Gasthof. Wir gingen in einen riesigen Speisesaal, der voll belegt war und ich freute mich auf die angekündigten Spaghetti Bolognese, eines meiner damaligen Lieblingsgerichte. Doch dann öffneten sich für mich die Pforten der Hölle und die Kellnerinnen brachten große Schüsseln, mit denen ich nicht gerechnet hatte, an jeden Tisch. Parmesan!!! Parmesan für ungefähr 80 Personen in einem geschlossenen Raum und ich mittendrin!!!

Ein weiteres Trauma war der versuch meiner Mutter, mich zu überrumpeln, da muss ich so vier oder fünf Jahre alt gewesen sein. „Mach mal schnell den Mund auf!“ und schon hatte ich ein Stück Gouda im Mund. Für mich wie Folter. Noch ein paar Brocken und ich würde alles gestehen, die Vernichtung von Pompeji würde ich mir anlasten, den Mord an Julius Cäsar und den Raub des Bernsteinzimmers. Selbst ein Duett mit Naidoo und dem Wendler würde ich mir lieber anhören, mich von Gunnar Lindemann bekochen lassen oder eine Woche Alexander Gaulands Hundekrawatte tragen – nur nie wieder in einem Raum mit Schüsseln voller Parmesan. Bei dem Geruch weiß ich immer, wo die Podologen ihre Hobelabfälle entsorgen, warum sollte ich das essen?

Dann gibt es noch Mupfeln und anderes Meeresgeschlabber, Schnecken, Innereien und ein paar Sachen, bei denen ich mir die Abneigung mit etlichen anderen Menschen teile. Ich habe mich diesbezüglich also weitestgehend normalisiert.

Frauenversteher

Als notorischer Frauenversteher war es mir damals wie heute wichtig, die kulinarischen Bedürfnisse einer Partnerin zu berücksichtigen. So führte mein Weg beim Einkauf auch konsequent an die Käsetheke. Allerdings nur in den Läden, in denen ich dieses Abenteuer mit flacher Atmung bewältigen konnte: Riecht es zu intensiv, reagieren irgendwelche Synapsen heftig und ich muss den Laden verlassen, bevor ich rückwärts esse. Ich fragte dann nach diesem und jenem Käse, fachsimpelte schon fast wie ein ausgewiesener Käseexperte. Leider blieb mir – so vermute ich – das Image des Bekloppten in Essensangelegenheiten treu, wurde mir nämlich ein Häppchen zum Probieren angeboten, guckte ich entsetzt und erklärte, dass ich doch keinen Käse mag. Diese Blicke: unbezahlbar. Für alles andere gibt es MasterCard (die Älteren werden sich erinnern).

Fleisch und so

Dann war da ja noch die Sache mit der unbemerkt blutenden Wunde, nachdem mir ein vereiterter Zahn gezogen wurde und ich tapfer an der Fleischtheke meine Bestellung aufgab, mit aus dem Mund tropfenden Blut (guckst Du hier: https://diekolumnisten.de/2021/03/30/herr-fischers-angst-vorm-zahnarzt/). Dass man mich da für normal hielt, würde ich nicht beschwören.

Allerdings gab es dann eine weitere Phase, in der sich mein Geschmack wandelte. Seit vielen Jahren ist es mir nicht mehr möglich, in einigen Supermärkten an der „Frisch“fleischtheke vorbei zu laufen, der Geruch ekelt mich an. Die Konsequenz hätte da ja schon sein müssen, den Verzehr tierischer Produkte, zumindest den von Fleisch, komplett zu verweigern. Aber wenn man ein Leben lang gerne Fleisch isst, kann das ein längerer Prozess werden. Zunächst habe ich selbst fast nie mehr Fleisch an einer solchen Theke gekauft sondern durch meine Freundin kaufen lassen, im Laufe der Zeit immer weniger Fleisch (Braten, Kotelett, Frikadellen etc.) selbst gekocht und irgendwann dann gar nicht mehr. Aber der Mensch neigt zum Selbstbetrug und so war Fleisch, was nicht nach zerhackten Tierkadavern aussah, eigentlich kein Fleisch sondern ein x-beliebiges Essen. Das konsumierte ich erst später aufgrund eines unangenehmes Gefühl fast gar nicht mehr (seltene Ausnahmen gab es durchaus).

Es gibt etwas, was viele Kritiker von Vegetariern oder Veganern nicht verstehen: das Bedürfnis nach Fleischersatzprodukten. Natürlich kann ich nicht für andere Menschen sprechen, aber i.d.R. ist der Verzicht auf Fleisch und Wurst nicht dem Geschmack geschuldet sondern dem Bedürfnis, sich nicht an der Qual durch die Tierhaltung zu beteiligen (Fleisch wird ja produziert wie ein Maschinenteil in einer Fabrik, alleine das sagt alles) oder gänzlich darauf zu verzichten, dass Tiere für den eigenen Mittagstisch getötet werden.

Sprüche wie: „Wenn du kein Fleisch isst, warum musst du dann Veggiefrikadellen oder Veggieschnitzel essen?“ wurden im Rahmen unzähliger Diskussionen noch unzähligere Male beantwortet. Und sie werden immer noch gestellt.

Kadaveresser

Ich lebe heute noch immer nicht völlig vegetarisch, ab und zu bricht der Kadaveresser in mir noch durch. Am Imbiss, gelegentlich im Restaurant, ganz selten zuhause. Allerdings verzichte ich mittlerweile nicht nur weitestgehend auf Fleisch und Wurst, auch Milchprodukte gibt es nahezu gar nicht mehr. Ein Eis mit Sahne in der Stadt ist unverzichtbar, zuhause gibt es nur noch vegane Butter, Sahne, Quark. Ich kann es nur grob schätzen, würde aber sagen, dass ich den Konsum tierischer Produkte um vermutlich 90% reduziert habe. Die restlichen 10% abzüglich Eis mit Sahne oder Mayo auf den Pommes möchte ich auch noch angehen. Eine Sache ist aber gewiss. Sich den Bauch mit Fleisch vollzuschlagen macht satt, aber das Sättigungsgefühl nach einem Teller mit vegetarischem Essen ist ungleich angenehmer.
Probiert es ruhig mal aus, es gibt kein Risiko dabei. Und es ist allemal besser, als wenn euch Ananas und Schinken vom Baguette fallen und ihr die Bekloppten vom Wochenende seid.

Darum ging es mir eigentlich

Oh, ich sehe gerade, dass in dieser Kolumne noch ein wenig Platz ist, also kann ich noch ein paar Worte zum aktuellen Stand meiner Ernährungsgewohnheiten loswerden, das war schließlich der Ausgangspunkt dieses Textes. Hobbyschreiberlinge geraten ja leicht ins Schwadronieren.

Vor einigen Jahren stieß ich auf einen Artikel über die solidarische Landwirtschaft – SoLaWi – und fand das Thema äußerst spannend. Meine Frage, warum es das nicht in unserer Region gibt, wurde später mit der Ankündigung der Gründung einer solchen Initiative ganz in der Nähe beantwortet. SoLaWi – was ist das nun? Eigentlich ist es so einfach wie auch nutzbringend für alle Beteiligten. Man kauft sich mit einem überschaubaren einmaligen Anteil in eine Genossenschaft ein und erwirbt damit einen Stimmenanteil. Hier sind das 150€. Tritt man aus der Genossenschaft aus, erhält man den Betrag bei normaler Geschäftsentwicklung zurück. Am Ende eines Jahres erfolgt eine Abfrage, bei der sich die Mitglieder entscheiden, welchen regelmäßigen Anteil an Gemüse, Obst, Eiern, Kartoffeln, Mehl, Getreide, Gewürzen, Honig, Käse, Fleisch – je nachdem, was in der jeweiligen SoLaWi angeboten wird – man in einem bestimmten Rhythmus erwerben möchte. Frischware gibt es wöchentlich, andere Produkte in größeren Abständen. Diese für ein Erntejahr verbindliche „Vorbestellung“ dient den lokalen Landwirten als Basis für ihre Kalkulation, sie haben eine garantierte jährliche Abnahmemenge und damit verbunden wirtschaftliche Sicherheit. Der Preis der Waren ergibt sich durch einen geschlossenen Markt innerhalb der Genossenschaft, in dem der Erzeuger unabhängig vom Wettbewerb des freien Marktes seinen angemessenen Preis definiert. Er bekommt das, was hochwertige Ware tatsächlich wert ist und umgekehrt erhält der Abnehmer für sein Geld die bestmögliche Qualität.

Ein weiterer Aspekt ist der, dass das Risiko bei Ernteeinbußen auf alle Schultern der Gemeinschaft verteilt wird und nicht alleine beim Anbieter verbleibt. Fällt z.B. die Ernte von Äpfeln um die Hälfte niedriger aus als erwartet, dann gibt es für den wöchentlichen Betrag weniger Äpfel und der Anbieter hat trotzdem das Geld gemäß seiner Kalkulation. Es muss nicht auf ertragsreichere Sorten umgestellt werden, die zu Lasten von Nährstoffgehalt, Geschmack und Frische mehr Ertrag versprechen. Die Ware kommt absolut erntefrisch ins Depot, wo sie von den Mitgliedern der Genossenschaft gemäß dem gebuchten Anteil abgeholt wird. Kurze Wege vom Feld zum Kunden, beste Bio- oder Demeterware, nichts vergammelt nach zwei Tagen und muss in der braunen Tonne landen. Zusätzlich bilden die Mitglieder Abholgemeinschaften, wechseln sich beim Packen der Kisten ab und bringen sie zu einem Zwischendepot oder nach Hause. Mein Weg ins eigentliche Depot beträgt ca. 25 Kilometer für eine Strecke, durch die Abholgemeinschaft und das Zwischendepot reduziert sich das auf nur 5 Kilometer. Alle paar Wochen ist es meine freiwillige Leistung, für die anderen der Gruppe ins Depot zu fahren, zu packen und/oder bei der Organisation des Depots zu unterstützen. Auch hier geht es um Gemeinschaft und Solidarität. Wenn sich dann noch alle im Rahmen ihrer Möglichkeiten einbringen, sei es bei der Arbeit in den Depots, als Hilfe bei der Ernte, bei der Erstellung und dem Verteilen von Flyern, der Pflege der Homepage und all den anderen administrativen Arbeiten, dann verteilt sich auch diese Arbeit auf viele Schultern und die Kosten für Logistik und Verwaltung bleiben im Rahmen. Schließlich arbeiten außer den Anbietern alle Mitglieder der Genossenschaft ehrenamtlich.

Ein paar Probewochen hatte ich vor meiner Mitgliedschaft hinter mir und habe in der Tat noch nie durchgehend diese Qualität an Obst und Gemüse erhalten. Etwas Gewöhnung gehört dazu, denn nicht ich entscheide, was ich an Gemüse bekomme und koche, sondern die Saison und der Anbieter. Ein paar Tage vor der Abholung weiß ich, ob Mangold in meinem Kühlschrank landet oder Möhren, ob ich einen Rettich verwerten werde oder Lauch, einen Kürbis oder rote Beete. Das bedeutet also, dass man mit dem Kochen flexibel sein muss und mehr gemäß der Jahreszeiten isst. Es läuft nicht so wie bei Asterix dem Gallier und Miraculix, der die römischen Legionäre durch die Welt gehetzt hat, um an frische Erdbeeren zu kommen. Und so wenig wie Miraculix diese Erdbeeren wirklich brauchte, so sehr können wir darauf verzichten, Lebensmittel, die unter uns völlig unbekannten Umständen produziert werden, zu jeder Jahreszeit per Schiff, Flugzeug und LKW herankarren zu lassen. Nachhaltiger geht es bei diesem Projekt kaum.

Nach den ersten drei Probewochen habe ich für eine Woche ausgesetzt, bis ich offizielles Mitglied mit eigenen Ernteanteilen wurde und hatte als der Küchenchef in unserem Haushalt prompt ein Problem. Ich stand nämlich vor dem Kühlschrank und hatte keine Idee, was ich in der folgenden Woche kochen soll. Ein Problem, das ja jetzt gelöst ist.

Hier könnt Ihr sehen, ob es eine SoLaWi auch in Eurer Gegend gibt, schaut es Euch einfach mal an: https://www.solidarische-landwirtschaft.org/startseite

Uwe Fischer

Nach 18 Jahren als Kundenbetreuer im Außendienst, 15 Jahre davon bei einem mittelständischen Unternehmen aus der Lebensmittelbranche, hieß es „back to the roots“ mit einer späten Ausbildung zum Logopäden. Heute betreibt Fischer seit 2008 gemeinsam mit seiner Partnerin eine Praxis für Logopädie in der Eifel.

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