Paragrafendschungelcamp – Das Polizeigesetz MV
Das Bundesverfassungsgericht hat Teile des Polizeigesetzes von Mecklenburg-Vorpommern gekippt. Warum das gut ist. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz.
Haben Sie in den letzten Wochen von Peter Klein gehört? Kennen Sie nicht? Das macht nichts. Besagter Herr Klein ist der Ehemann der Mutter der Ehefrau des Sohnes von Costa Cordalis. Die halbe Familie war schon mehr oder weniger erfolgreich im Dschungel. Wer wie ich ein Fan des Dschungelcamps ist, weiß das natürlich. Und dieser Klein reiste als Begleiter mit nach Australien in das berühmte Hotel Versace. Dort soll er seine Bestimmung als Begleiter wohl zu wörtlich genommen und eine weitere Begleitung außerehelich beglitten haben. Wayne interessiert’s? #ibes
Was das mit der Kolumne zu tun hat? Nur wenig. Aber immerhin wurde sowohl über Peter Klein als auch die übrigen Beteiligten breit berichtet, und im Dschungel werden die Teilnehmer von den Kameras und die Begleiter von der Regenbogenpresse rund um die Uhr überwacht und ausgehorcht.
Über die feine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gab es hingegen eher wenig Rummel. Dabei ist das eine sehr wichtige Entscheidung mit lichtender Wirkung auf den Paragrafendschungel..
Worum geht es?
Nicht nur in Meck-Pomm, sondern auch in anderen Bundesländern streben die Ermittlungsbehörden immer wieder nach mehr Rechten zur Verhinderung von Straftaten. Das ist ein hehres Ziel. Allerdings heiligt ein Ziel nicht jedes Mittel.
Dem Eingriff in die Privatsphäre hat das Bundesverfassungsgericht nun erneut enge Grenzen gesetzt. Natürlich wären den Ermittlern, fragen Sie mal Herrn Wendt, weitergehende Befugnisse recht angenehm. Die vom Gericht geprüften Befugnisnormen ermächtigen die Ordnungs- und Polizeibehörden des Landes Mecklenburg-Vorpommern zu heimlichen Überwachungsmaßnahmen unterschiedlicher Art. Aber Polizei ist nicht Dschungelcamp und eine lückenlose Überwachung in die Intimsphäre hinein geht nun mal gar nicht.
So hat das Gericht festgestellt:
(1) Der verfassungsrechtliche Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung gewährleistet einen Bereich höchstpersönlicher Privatheit des Individuums gegenüber Überwachung. Er sichert einen dem Staat nicht verfügbaren Menschenwürdekern grundrechtlichen Schutzes gegenüber solchen Maßnahmen. Selbst überragende Interessen der Allgemeinheit können einen Eingriff in diesen absolut geschützten Bereich privater Lebensgestaltung nicht rechtfertigen (vgl. BVerfGE 141, 220 <276 Rn. 120> m.w.N.; stRspr). Zur Entfaltung der Persönlichkeit im Kernbereich privater Lebensgestaltung gehört die Möglichkeit, innere Vorgänge wie Empfindungen und Gefühle sowie Überlegungen, Ansichten und Erlebnisse höchstpersönlicher Art zum Ausdruck zu bringen. Geschützt ist insbesondere die nichtöffentliche Kommunikation mit Personen des höchstpersönlichen Vertrauens, die in der berechtigten Annahme geführt wird, nicht überwacht zu werden, wie es insbesondere bei Gesprächen im Bereich der Wohnung der Fall ist. Zu diesen Personen gehören insbesondere Ehe- oder Lebenspartner, Geschwister und Verwandte in gerader Linie, vor allem, wenn sie im selben Haushalt leben, und können Strafverteidiger, Ärzte, Geistliche und enge persönliche Freunde zählen. Dieser Kreis deckt sich nur teilweise mit dem der Zeugnisverweigerungsberechtigten. Solche Gespräche verlieren dabei nicht schon dadurch ihren Charakter als insgesamt höchstpersönlich, dass sich in ihnen Höchstpersönliches und Alltägliches vermischen (BVerfGE 141, 220 <276 f. Rn. 121> m.w.N.). Der Schutz des Kernbereichs ist jedoch nicht auf die Wohnung beschränkt. Die private Lebensgestaltung kann sich, insbesondere in ihren kommunikativen Bezügen, auch außerhalb von Wohnungen vollziehen (vgl. BVerfGE 141, 220 <295 Rn. 176>).
Grenzen
Es gibt also eine absolute Grenze, die die Behörden nicht überschreiten dürfen. Es wäre eine absolute Dreckigkeit, wenn ein/e verdeckte/r Ermittler/in ein intimes Verhältnis beginnt, um die dann im Vertrauen erlangten Erkenntnisse an die Behörden weiterzugeben.
(a) Erlangen verdeckt ermittelnde Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Staates bei ihrem Einsatz personenbezogene Daten, kann das in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) eingreifen, wenn in einer Kommunikationsbeziehung zu einem Grundrechtsträger ein schutzwürdiges Vertrauen in die Identität und die Motivation seines Kommunikationspartners ausgenutzt wird, um persönliche Daten zu erheben, die der Staat ansonsten nicht erhalten würde (vgl. BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 26. April 2022 – 1 BvR 1619/17 -, Rn. 338 m.w.N.; s. auch BVerfGE 120, 274 <345> m.w.N.). Nutzt der Staat persönliches Vertrauen aus, um Geheimhaltungsinteressen zu überwinden, kann das sehr schwer wiegen (vgl. BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 26. April 2022 – 1 BvR 1619/17 -, Rn. 340 f. m.w.N.; vgl. auch BVerfGE 141, 220 <289 f. Rn. 160>; 156, 270 <302 Rn. 100> – Amri-Untersuchungsausschuss [Benennung von V-Personen-Führer]). Auch beim Einsatz von Vertrauenspersonen liegt ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung darin, dass die Vertrauensperson die vermeintliche Vertrauensbeziehung ausnutzt, um von einer anderen Person Informationen zu erlangen, die sie ansonsten nicht erhalten würde (vgl. BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 26. April 2022 – 1 BvR 1619/17 -, Rn. 350). Auf Dauer sind Einsätze von Vertrauenspersonen in der Tendenz nicht weniger eingriffsintensiv als Einsätze verdeckt ermittelnder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Staates. Hier kann eine ursprünglich tatsächlich bestehende Vertrauensbeziehung durch staatliche Intervention einseitig heimlich gebrochen und in ein von Überwachung geprägtes Verhältnis verwandelt werden (BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 26. April 2022 – 1 BvR 1619/17 -, Rn. 351).
Vertrauensmissbrauch
Je enger das Verhältnis zwischen Spitzel und Bespitzelten gestaltet wird, umso bedenklicher ist das, denn:
Je tiefer die vermeintliche Vertrauensbeziehung zu der verdeckt ermittelnden Person oder der Vertrauensperson ist, umso größer ist auch die Gefahr, dass diesen gegenüber kernbereichsrelevante Informationen preisgegeben werden. Anders als bei anderen heimlichen Maßnahmen wird nicht lediglich passiv überwacht. Der Einsatz von verdeckt Ermittelnden und Vertrauenspersonen kann sich auf die gesamte Lebensgestaltung der Betroffenen richten und unter Umständen sogar aktiv Einfluss auf diese nehmen. Je intensiver sie in das Leben der überwachten Person einbezogen sind und daran teilhaben, umso wahrscheinlicher ist es, dass sie auch Informationen erlangen, die dem Kernbereich zugerechnet werden müssen.
Ich finde es ja schon abartig, solche Ermittlungsmethoden überhaupt als Möglichkeit vorhalten zu wollen.
(b) Darüber hinaus kann eine Interaktion von verdeckt Ermittelnden und Vertrauenspersonen mit einer Zielperson unter besonderen Voraussetzungen bereits als solche den Kernbereich privater Lebensgestaltung berühren, ohne dass es noch auf den Inhalt der hierdurch erlangten Informationen ankäme. Jedenfalls wenn zum Aufbau oder zum Erhalt des notwendigen Vertrauensverhältnisses intime Beziehungen oder vergleichbar engste persönliche Bindungen, die ansonsten nur Familienangehörige, Partner oder allerengste Freunde haben, begründet oder fortgeführt würden, griffe dies in aller Regel schon deshalb in den Kernbereich privater Lebensgestaltung der Zielperson ein, weil staatlich veranlasst privateste Beziehungen auf täuschungsbedingter Grundlage entstünden oder anhielten. Die Zielperson ließe sich darauf zwar freiwillig ein, würde aber im privatesten Bereich über die Motive oder sogar über die Identität ihres Gegenübers getäuscht. Bereits dieses irrtumsbefangene Eingehen oder Aufrechterhalten allerengster persönlicher Beziehungen kann tief in den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung eingreifen. Jedenfalls derart private Interaktionen zwischen verdeckt Ermittelnden oder Vertrauenspersonen und Überwachten berühren regelmäßig bereits als solche den Kernbereich privater Lebensgestaltung, wenn sie auf einer Täuschung über die vom staatlichen Überwachungsauftrag geprägte Identität oder Motivlage ihres Gegenübers beruhen (vgl. dazu Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestags, Einsatz verdeckter Ermittler – Grenzen ermittlungstaktischer Maßnahmen, 25. November 2015, WD 3 – 3000 – 292/15, S. 6; Hohnerlein, NVwZ 2016, S. 511 <514>; Decker, Der V-Manneinsatz durch Polizei und Verfassungsschutz, 2018, S. 72 ff.; Roggan, GSZ 2019, S. 111 <113>; Graulich, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl. 2018, Abschnitt E, Rn. 749).
Ich kenne solche Venus-/Romeofallen nur aus Spionagefilmen oder aus Berichten über die Stasi und habe mich schon immer gefragt, wie abgewichst jemand sein muss, der mit der Zielperson ins Bett geht, nur um sie auszuhorchen. Aber vielleicht wird das ja gut bezahlt. Ich weiß es nicht. Wie sieht da die Stellenausschreibung aus? Wie bei einer Show mit Realitystars?
Fuck the police?
Da bekommt der Begriff der „Verhältnis“mäßigkeit und „Eindringen in den Kernbereich“ plötzlich einen ganz anderen Klang.
bb) (1) Der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung ist strikt und darf nicht durch Abwägung mit Sicherheitsinteressen nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes relativiert werden. Dies bedeutet zwar nicht, dass jede tatsächliche Erfassung von höchstpersönlichen Informationen stets einen Verfassungsverstoß oder gar eine Menschenwürdeverletzung begründet. Jedoch muss dem Kernbereichsschutz bei der Durchführung von Überwachungsmaßnahmen auf zwei Ebenen Rechnung getragen werden. Zum einen sind auf der Ebene der Datenerhebung Vorkehrungen zu treffen, die nach Möglichkeit ausschließen, dass Kernbereichsinformationen miterfasst werden (2). Zum anderen sind auf der Ebene der nachgelagerten Auswertung und Verwertung die Folgen eines dennoch erfolgten Eindringens in den Kernbereich privater Lebensgestaltung strikt zu minimieren (3). Der Kernbereich privater Lebensgestaltung setzt allen Überwachungsmaßnahmen Grenzen. Können sie typischerweise zur Erhebung kernbereichsrelevanter Daten führen, muss der Gesetzgeber Regelungen schaffen, die einen wirksamen Schutz normenklar gewährleisten. Außerhalb solch verletzungsgeneigter Befugnisse ist eine ausdrückliche Regelung nicht erforderlich (vgl. BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 26. April 2022 – 1 BvR 1619/17 -, Rn. 277 f. m.w.N.; stRspr). Der Einsatz von Vertrauenspersonen und verdeckt Ermittelnden kann typischerweise zur Erhebung kernbereichsrelevanter Daten führen oder schon an sich kernbereichsrelevant sein. Daher ist der Gesetzgeber hier zur Regelung eines normenklaren Kernbereichsschutzes verpflichtet.
Lange Rede, kurzer Sinn. Manchmal muss der Ermittler zum Coitus Interruptus greifen, denn:
Bleibt die Situation kernbereichsrelevant, muss außerdem der Abbruch unverzüglich jedenfalls dann erfolgen, sobald dies ohne Gefährdung des Einsatzes oder der Person möglich ist. Die konkrete Begegnung darf dann nicht etwa deshalb fortgesetzt werden, weil sie die Offenbarung weiterer ermittlungsrelevanter Informationen verspricht. Vertrauenspersonen und verdeckt Ermittelnde müssen vielmehr alles dafür tun, die Situation so schnell wie möglich ohne Gefährdung des Einsatzes oder ihrer Person zu beenden. Erforderlich sind in jedem Fall weitere Sicherungen (vgl. BVerfGE 120, 274 <337 f.>).
Das ist hier nur ein kleiner Teil der bemängelten Punkte, macht aber deutlich, dass das Bundesverfassungsgericht beim Kernbereich der Persönlichkeitsrechte ein sicheres Bollwerk dafür bleibt, dass der Staat seine Überwachungswut nicht allzu sehr ausdehnt. Ich empfehle deshalb die Lektüre der ganzen Entscheidung.
Dieses Urteil hat auch über Meck-Pomm hinaus Signalwirkung und wird wohl das ein oder andere Bundesland dazu anregen, eigene Gesetzentwürfe noch einmal gründlich zu prüfen, um sich so womöglich eine ähnliche Blamage zu ersparen.