Baerbock und das Kriegsbeil
Ein Satz der Bundesaußenministerin sorgt für Irritationen. Sind wir im Krieg mit Russland? Die Samstagskolumne von Heinrich Schmitz.
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Was sagt man nicht alles so, wenn der Tag lang ist? Da kommen einem schon mal Sätze über die Lippen, für die man sich kurz danach selbst in den Arsch treten möchte. Kennt wohl jeder. Aber gerade in der angespannten Situation ist das mehr als ärgerlich.
Der Bundesaußenministerin Baerbock, die eigentlich nur für einen Zusammenhalt der europäischen Länder werben wollte, rutschte ein Statement aus dem Mund, das für gehörige Irritationen sorgte. Im Rahmen einer Rede vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarats in Straßburg
ab Minute 47 sagte sie auf eine Frage des britischen Konservativen Sir Christopher Chope (im Original auf Englisch):
Ja, wir müssen mehr tun, auch in Bezug auf Panzer. Aber das Wichtigste und Entscheidende ist, dass wir es zusammen tun – und nicht Schuldzuweisungen machen in Europa. Denn wir kämpfen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinander.
Krasse Reaktionen
Hui. Da hatten aber viele Menschen Spaß. Hat Frau Baerbock da gerade das Kriegsbeil ausgegraben? Das russische Fernsehen, der schon immer russophile Europaabgeordnete der AfD, Dr. iur. Maximilian Krah, Julian Reichelt und viele Linke tun so, als hätte sie das getan.
Der russische Talkmaster und Putinpropagandist Wladimir Solowjow hetzte:
Die Außenministerin des vierten Reichs hat Russland den Krieg erklärt.
und später:
Sagen Sie mir nicht, dass sie nichts entschieden hat. Dass sie nur eine Frau ist. Sie ist die Außenministerin! Fräulein Ribbentrop hat uns den Krieg erklärt“
Es ist Zeit eine klare und resolute Nachricht zu senden, dass wir Deutschland als Kriegspartei ansehen“
Und dass deutsche Panzer (in der Ukraine) auftauchen, wird für uns definitiv zur Abwägung führen, dass Deutschland, Militärstützpunkte und andere Orte legitime Ziele sind.“
Und Dr. Maximilian Krah (AfD) twitterte mit klar erkennbarer Absicht eine für einen promovierten Juristen ziemlich dümmliche Frage:
Was ist das anderes als eine Kriegserklärung?
Und auch von einigen Linken kommt geharnischte Kritik an der „Kriegstreiberin“ Baerbock. Die möchten halt traditionell nicht, dass Russland mit militärischen Mitteln gestoppt wird. Da kommt dann das Argument, von deutschem Boden dürfe nie wieder Krieg ausgehen. Als wäre der Krieg in der Ukraine nicht längst im vollen Gange.
Propagandahaie
Nun ja. Einen dämlicheren Satz hätte die Bundesaußenministerin wohl kaum fallen lassen können. In ihrem Amt sollte ihr bewusst sein, dass jedes Stückchen Fleisch von den Propagandahaien auf Kilometer gewittert und zerrissen wird.
Gleichwohl kann mit etwas ruhig Blut problemlos feststellen, dass der verunglückte Satz beim besten Willen keine Kriegserklärung ist und Deutschland oder die EU – man weiß ja nicht genau, was da mit „wir“ gemeint ist – auch nicht zur Kriegspartei macht.
Dass eine Bundesaußenministerin in einem Nebensatz mal ebenso einem anderen Staat den Krieg erklärt, sieht das Grundgesetz schon mal nicht vor. Da reicht ein Blick in die Artikel 115a bis 115l, um zu erkennen, dass es dazu eines Beschlusses des Bundestages und des Bundesrates bedarf und dann der Verteidigungsfall vom Bundespräsidenten erklärt wird.
Art 115a
(1) Die Feststellung, daß das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht (Verteidigungsfall), trifft der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates. Die Feststellung erfolgt auf Antrag der Bundesregierung und bedarf einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, mindestens der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages.
(2) Erfordert die Lage unabweisbar ein sofortiges Handeln und stehen einem rechtzeitigen Zusammentritt des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegen oder ist er nicht beschlußfähig, so trifft der Gemeinsame Ausschuß diese Feststellung mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, mindestens der Mehrheit seiner Mitglieder.
(3) Die Feststellung wird vom Bundespräsidenten gemäß Artikel 82 im Bundesgesetzblatte verkündet. Ist dies nicht rechtzeitig möglich, so erfolgt die Verkündung in anderer Weise; sie ist im Bundesgesetzblatte nachzuholen, sobald die Umstände es zulassen.
(4) Wird das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen und sind die zuständigen Bundesorgane außerstande, sofort die Feststellung nach Absatz 1 Satz 1 zu treffen, so gilt diese Feststellung als getroffen und als zu dem Zeitpunkt verkündet, in dem der Angriff begonnen hat. Der Bundespräsident gibt diesen Zeitpunkt bekannt, sobald die Umstände es zulassen.
(5) Ist die Feststellung des Verteidigungsfalles verkündet und wird das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen, so kann der Bundespräsident völkerrechtliche Erklärungen über das Bestehen des Verteidigungsfalles mit Zustimmung des Bundestages abgeben. Unter den Voraussetzungen des Absatzes 2 tritt an die Stelle des Bundestages der Gemeinsame Ausschuß.
Bleibt zu prüfen, ob die Bundesrepublik, wenn schon nicht durch einen doofen Nebensatz der Außenministerin, so doch vielleicht durch die später angekündigte Lieferung der Leopard II Panzer zu einer Kriegspartei werden könnte.
Entwarnung
Aber auch da ist Entwarnung angesagt. Zunächst ist festzuhalten, dass die Waffen- und Materiallieferungen der Bundesrepublik und vieler anderer Staaten nicht einfach so aus heiterem Himmel erfolgen, sondern als Reaktion auf einen eindeutig völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine. Dieser Angriffs- und mittlerweile auch Vernichtungskrieg gegen die ukrainische Zivilbevölkerung ist völkerrechtlich durch kein irgendwie geartetes „Fehlverhalten“ der Ukraine zu rechtfertigen.
Was die Ukraine macht, ist, sich gegen diesen völkerrechtswidrigen Angriff zu verteidigen. Völkerrechtlich ist es daher auch völlig unbestritten zulässig, wenn andere Staaten die Ukraine in diesem Bestreben auf Verteidigung unterstützen. Das wäre rein völkerrechtlich sogar mit eigenen Truppen zulässig. Das haben die NATO-Partner allerdings ausgeschlossen, um nicht faktisch in einen dritten Weltkrieg inklusive Nuklearwaffen zu stolpern. Den will zumindest im Westen niemand, auch wenn Putins Propagandisten beharrlich behaupten, ein solcher Krieg aller gegen Russland sei von langer Hand geplant.
Briand-Kellogg-Pakt
Nach dem Briand-Kellogg-Pakt, einem völkerrechtlichen Vertrag von 1928 zur Ächtung des Krieges, dem auch die damalige Sowjetunion beitrat, wurde der aus nationalen Interessen geführte Angriffskrieg für völkerrechtswidrig erklärt. Anerkannt wurde aber ohne Wenn und Aber das Recht eines jeden Staates auf Selbstverteidigung als unveräußerliches Recht und es wurde die Teilnahme anderer Staaten an Sanktionen des Völkerbundes erlaubt. Blöderweise wurden aber keine Strafbestimmungen für den Fall eines Verstoßes gegen den Pakt vereinbart. Da dieser Kriegsächtungsvertrag außerhalb des institutionalisierten Völkerbundes abgeschlossen wurde, blieb er auch über dessen Ende hinaus gültig, wenn auch halt als recht zahnloser Tiger. Und dass Putin beabsichtigt, nach den Regeln völkerrechtlicher Vereinbarungen zu kämpfen, kann man getrost vergessen.
Durch die reine Lieferung von Waffen an einen Verteidiger wird kein Land rechtlich zur Kriegspartei. Dazu müssten schon deutsche Truppen aktiv in den Krieg eingreifen. Aber auch durch ein Training ukrainischer Soldaten in Deutschland oder einem anderen Land würde Deutschland nicht aus der Unterstützer- in die Kriegsparteirolle hineingeraten. Es käme ja auch niemand auf die Idee, eine Bundesligamannschaft, bei der ukrainische Fußballer als Gäste trainieren, und die diesen Gästen einen Satz Trikots und Fußballschuhe mitgibt, als Mitglied der ukrainischen Premyer Liga zu betrachten.
Kriegsverbrecher
Eigentlich sind diese rechtlichen und völkerrechtlichen Erwägung allerdings reichlich akademisch. Denn ob das so ist oder nicht, wird weder den Kriegsverbrecher Putin noch die Wagnersöldner interessieren. Dass diese bereit sind, das Völkerrecht zu brechen, haben sie hinlänglich bewiesen. Die brauchen weder einen Grund noch einen Vorwand, um den Krieg eskalieren zu lassen. Und wenn sie wollen, dass Deutschland oder ein anderes NATO-Land zur Kriegspartei werden soll, dann brauchen sie es ja nur anzugreifen.
Ob nun Putin allerdings ernsthaft mit dem Gedanken spielt, sich mit der gesamten NATO anzulegen, weil die die Ukraine mit Waffen unterstützt, obwohl es den russischen Truppen bisher nicht einmal gelingt, mit den teilweise Uraltwaffen der Ukraine fertig zu werden, wage ich zu bezweifeln. Wenn er noch einigermaßen alle Tassen im Schrank hat, sollte er langsam mal darüber nachdenken, seine Truppen wieder abzuziehen. Meinetwegen kann man dem dann auch den Friedensnobelpreis versprechen und ihn fürderhin in seiner Prachtvilla in Ruhe lassen. Sollte er es tatsächlich auf einen Krieg gegen die NATO anlegen, dann wird weder von Russland noch von Europa allzu viel bewohnbar bleiben. Es mag sein, dass die Propaganda in Russland noch viele Menschen für den Krieg gegen die Ukraine begeistern kann. Aber auch das wird mit jedem toten Sohn oder Enkel, der verstümmelt oder gar nicht mehr in die Heimat zurückkehrt, weniger werden. Irgendwann merkt auch der dümmste Russe, dass die Spezialoperation mehr Menschen und Material kostet, als Russland es sich leisten kann.
Zusammenhalt
Dass Frau Baerbock die europäischen Partner zum Zusammenhalt aufgerufen hat, war gut und wichtig. Ihr doofer Satz vom Krieg gegen Russland war zwar überflüssig wie ein Kropf, rechtlich allerdings komplett bedeutungslos. Und auch das Auswärtige Amt hat auf eine Anfrage der BILD geantwortet:
Das Völkerrecht ist eindeutig: Die Ukraine dabei zu unterstützen, ihr in der UN-Charta verbrieftes individuelles Selbstverteidigungsrecht gegen den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands auszuüben, macht Deutschland nicht zu einer Konfliktpartei.
Ja, genauso ist es und damit ist es dann auch mal gut.
Frau Baerbock sollte künftig ihre Worte besser bedenken, bevor sie sie ausspricht. Aber das wird sie schon selbst gemerkt haben. Was sie auf keinen Fall tun sollte, ist davon abzurücken, grundsätzlich Klartext zu sprechen. Denn das macht ja schon regelmäßig der Bundeskanzler.
P.S.: Am 4.2.2023 erhält Frau Baerbock den Orden wider den tierischen Ernst.