The masked talker
Anne Will verlängert ihren Vertrag mit der ARD nicht mehr. Eventuell die Chance für ein neues Talkformat? Eine Kolumne von Heinrich Schmitz.
Bild von Tammy Cuff auf Pixabay
Ich habe vor Jahren aufgehört, mir Talkshows anzusehen. Immer dieselben Leute, die immer dieselben Textbausteine ausspucken. Langweilig bis ärgerlich. Von Fernsehphilosophen und anderen Laberköppen, ganz zu schweigen. Werbung für das neue Buch, den neuen Film oder den neuen Podcast des Talkgastes brauche ich auch nicht.
Ich habe mir letzte Woche lieber die Prinzenproklamation aus Köln im Fernsehen angeschaut und gestern das Dschungelcamp. Also ja, ich bin bekanntlich ein Karnevalsjeck und Dschungelfan. Und damit gelte ich einem Großteil der Mitbürger bereits als potenzieller Vollidiot und nicht mehr satisfaktionsfähig. Wie kann man nur auf Kommando lustig sein, sich Farbe ins Gesicht schmieren, auf die Straße gehen und mit wildfremden Menschen zusammen singen und tanzen oder jedes Jahr im Januar einer handvoll Merkwürden im australischen Dschungel beim Hodenessen zusehen und sich dabei beömmeln? Eigentlich ganz einfach. Ungefähr so einfach, wie man an Weihnachten besinnlich sein kann, am Volkstrauertag der Toten gedenkt oder samstags ins Stadion geht. Oder eben auch nicht. Das kann in einem freien Land jeder halten, wie er möchte.
Schubladen
Trotzdem wird man hier sehr schnell in eine bestimmte Schublade gesteckt, die von den einen höchst positiv, von anderen abgrundtief negativ eingeordnet wird. Da wird man – wenn auch glücklicherweise nicht tatsächlich – in ein Lager gesperrt, aus dem man so schnell nicht wieder herausfindet. Die Truppen werden gesammelt, die Reihen geschlossen.
Dieses Phänomen kann auch außerhalb des Karnevals auf nahezu jeder Ebene bestaunt werden. Lager, heute auch gerne Blasen genannt, stehen unversöhnlich gegeneinander. Die aus dem eigenen Lager werden verteidigt, die aus dem anderen verteufelt. Dass eventuell mal jemand aus dem anderen Lager rechthaben könnte, wird von vornherein ausgeschlossen. Zuhören gehört nicht dazu.
Begeht ein Politiker einen Fehler, dann wird er von seinem Lager verteidigt, vom anderen angegriffen. Irgendwann geht es dann sehr schnell gar nicht mehr um den Fehler, sondern nur noch darum, dem anderen Lager zu schaden. Die Truppen werden gesammelt, die Reihen geschlossen.
Krawall
Mittlerweile gibt es kaum noch eine Diskussion oder Talkshow, bei der es um das eigentliche Thema geht. Viel unterhaltsamer scheint den Redaktionen offenbar, alleine durch die Auswahl der Gäste einen Skandal oder, wenn das schon nicht funktioniert, wenigstens einen handfesten Streit auszulösen. Krawall zieht. Und das Irre ist ja, beide Seiten gewinnen dabei. Das Publikum jubelt begeistert dem Kämpfer aus seinem Lager zu, ganz gleich welchen Unfug der gerade vom Stapel lässt und disst den Gegner. Unterhaltungswert hoch, Diskussions- und Informationswert nahe Null.
Gut, wenn das Ganze im TV oder im Internet stattfindet, gibt es den Knopf zum Abschalten. In der realen Welt ist das schon schwieriger. So geht das auf jedem Gebiet und wenn’s nur ein Foulelfmeter ist, den irgendein Schiedsrichter gepfiffen hat. Für die Fans der einen Mannschaft ein „klarer“ Elfmeter, für die anderen eine „krasse“ Fehlentscheidung. Ein halbwegs neutraler Blick ist nicht möglich, sobald man sich einem Lager zugehörig fühlt.
Maskentalk
Wie wäre es, wenn man nun als Nachfolgesendung für Anne Will mal spaßeshalber eine anonyme Talkshow versuchen würde? Und hier kommt das Thema Karneval wieder zur Geltung. Hinter fantasievollen Masken – wir kennen das vom Maskenball oder noch besser von „The masked singer“ – säßen die Talkgäste A, B, C, D, E, deren wahre Identität weder der/die ModeratorIn noch der Zuschauer und auch die jeweils anderen Talkgäste nicht kennen. Über eine Sprachverfremdungssoftware würden alle fünf gleich klingen. Sie dürften weder ihre Namen noch ihre Partei-, Religions- oder sonstige Lagerzugehörigkeit verraten und lediglich mit Argumenten ringen. So eine Art Blindaudition für Talkgäste. Natürlich müssten die Gäste einer Sendung alle die gleichen Masken tragen, wie etwa bei Haus des Geldes, da ansonsten das dumme Schwein oder die braune Ratte womöglich Nachteile gegenüber dem süßen Kätzchen oder dem sympathischen Sennenhund bekommen könnten. Am Ende jeder etwa 15-minütigen Runde stimmt das Publikum ab und derjenige mit der schlechtesten Punktzahl darf seine Maske abnehmen, bis am Ende des Abends der Argumentationssieger feststeht.
Zuhören
Da die Teilnehmer selbst auch nicht wissen, wer die anderen sind, müssten sie tatsächlich einmal zuhören und könnten nicht schnell wieder ihre Wagenburgen innerhalb des Lagers bauen. Und vermutlich werden sie feststellen, dass auch die Jungs und Mädels aus anderen Lagern Argumente haben, die gar nicht so übel sind. Falls ein Sender das aufnehmen möchte, schicke ich gerne meine Kontonummer und weitere Ideen für das Konzept der Sendung.
Ich gebe zu, das klingt vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig. Aber langweilige und vorhersehbare Talkshows gibt es ja schon zu viele. Bei entsprechend breiter Auswahl der Gäste könnte sich auch kein rechtsrandiger Gast mehr beklagen, er sei ein Opfer irgendeines mystischen linken Mainstreams geworden. Wer weiß, vielleicht würde ja auch der ein oder andere Populist als Sieger aus diesem Duell hervorgehen. Oder auch ein Linker. Spannend wär’s allemal.