Friedensphilosophen – Ein offener Offenbarungseid
Einige Personen, bekannt aus Film, Funk und Talkshows, veröffentlichen einen offenen Brief zum Krieg in der Ukraine. Ein Armutszeugnis. Die Samstagskolumne von Heinrich Schmitz
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Der undiplomatischste Diplomat, den ich je erlebt habe, ist der ukrainische Botschafter in Deutschland. Und mal wieder wählte Andrij Melnyk deutliche Worte auf Twitter:
Nicht schon wieder, what a bunch of pseudo-intellectual loosers.
Und die AutorInnen sollten sich endlich mit ihren
defätistischen ‚Ratschlägen‘ zum Teufel scheren.
Ausnahmsweise hat Melnyk, den man ansonsten ob seiner Sympathie für Bandera zurück nach Hause schicken sollte, mal Recht.
Hintergrund ist ein offener Brief, der von folgenden mehr oder weniger bekannten Menschen initiiert wurde:
Jakob Augstein (Publizist), Richard A. Falk (Professor für Völkerrecht), Svenja Flaßpöhler (Philosophin), Thomas Glauben (Professor für Agrarökonomie), Josef Haslinger (Schriftsteller), Elisa Hoven (Professorin für Strafrecht), Alexander Kluge (Filmemacher und Autor), Christoph Menke (Professor für Philosophie), Wolfgang Merkel (Professor für Politikwissenschaft), Julian Nida-Rümelin (Philosoph), Robert Pfaller (Philosoph), Richard D. Precht (Philosoph), Jeffrey Sachs (Professor für Ökonomie), Michael von der Schulenburg (ehemaliger UN-Diplomat), Edgar Selge (Schauspieler), Ilija Trojanow (Schriftsteller), Erich Vad (General a. D., ehemaliger Militärberater von Angela Merkel), Johannes Varwick (Professor für internationale Politik), Harald Welzer (Sozialpsychologe), Ranga Yogeshwar (Wissenschaftsjournalist), Juli Zeh (Schriftstellerin)
Rings und Lechts
Da kommt also einiges von rings bis lechts zusammen. Vom Freitag bis zur Sezession sozusagen. Könnte ja auch mal was Gutes bei rauskommen, wenn man über die Lager hinaus denkt. Und dann noch für so ein hehres Ziel wie den Frieden denk ich noch und beginne zu lesen. Und dann die große Enttäuschung.
Europa steht vor der Aufgabe, den Frieden auf dem Kontinent wiederherzustellen und ihn langfristig zu sichern. Dazu bedarf es der Entwicklung einer Strategie zur möglichst raschen Beendigung des Krieges.
Ja, tolle Idee. Und nun hat diese Gruppe aus selbsternannten Philosophen und was auch immer sich in ein Konklave begeben und eine solche Strategie entwickelt? Ach nee, doch nicht. Stattdessen:
Die Ukraine hat sich unter anderem dank massiver Wirtschaftssanktionen und militärischer Unterstützungsleistungen aus Europa und den USA bislang gegen den brutalen russischen Angriffskrieg verteidigen können.
Na das ist doch immerhin mal die Feststellung, dass es einen brutalen russischen Angriffskrieg gibt. Dass die Ukraine sich gegen diesen verteidigt, ist nicht nur ihr Recht, es ist geradezu Voraussetzung für das von den Appellanten genannte Ziel, den Frieden auf dem Kontinent wieder herzustellen. Täte sie das nicht, würden die russischen Truppe gleich weiter marschieren. Unrecht würde zu Recht.
Und dass sie sich bisher verteidigen konnte, hat die Ukraine in erster Linie ihrer Armee und ihrer Bevölkerung zu verdanken. Die militärischen Unterstützungsleistungen aus dem Westen sind bisher eher mau, was hoffentlich nicht so bleiben wird.
Je länger die Maßnahmen fortdauern, desto unklarer wird allerdings, welches Kriegsziel mit ihnen verbunden ist. Ein Sieg der Ukraine mit der Rückeroberung aller besetzten Gebiete einschließlich der Oblaste Donezk und Luhansk und der Krim gilt unter Militärexperten als unrealistisch, da Russland militärisch überlegen ist und die Fähigkeit zur weiteren militärischen Eskalation besitzt.
Ach was. Unter den Militärexperten, die da gemeint sein könnten, ist vermutlich einzig der Mitunterzeichner Vad, der bisher mit seinen Prognosen meistens zielgenau daneben lag.
Kriegsziel unklar?
Also für mich ist das Kriegsziel, wenn man das überhaupt so nennen soll, wenn jemand , der überfallen wird, sich verteidigt, ziemlich einfach. Der Aggressor soll gefälligst dahin zurück, wo er hergekommen ist und das fremde Staatsgebiet verlassen. Ich weiß nicht, wieso die Fernsehspezialisten da so große Probleme haben, das Kriegsziel der Ukraine und des Westens zu erkennen. Welches Ziel Putin verfolgt, kann man jeden Tag in den Nachrichten mitansehen. Er zerstört, er rückt vor, er erobert Gebiete. Imperialismus vom Feinsten-
Die westlichen Länder, die die Ukraine militärisch unterstützen, müssen sich deshalb fragen, welches Ziel sie genau verfolgen und ob (und wie lange) Waffenlieferungen weiterhin der richtige Weg sind. Die Fortführung des Krieges mit dem Ziel eines vollständigen Sieges der Ukraine über Russland bedeutet Tausende weitere Kriegsopfer, die für ein Ziel sterben, das nicht realistisch zu sein scheint.
Gut, das kann man aus der Ferne gerne so sehen. Aber welche Alternative schlagen die schlauen BriefschreiberInnen denn so vor? Keine Waffen mehr zu liefern, schon bevor man die wirklich fetten Waffen überhaupt geliefert hat? Damit man Putin ungestört weiter marschieren lassen kann? Oder glauben die, wenn die Ukraine ohne Waffen da steht, würde der Möchtegernzar eine Friedenstaube aus dem Käfig lassen und mit dem Morden aufhören und den Chor der BriefeschreiberInnen zum gemeinsamen Singen einladen?
Die Folgen des Krieges sind zudem nicht mehr auf die Ukraine begrenzt. Seine Fortführung verursacht massive humanitäre, ökonomische und ökologische Notlagen auf der ganzen Welt. In Afrika droht eine Hungerkatastrophe, die Millionen von Menschenleben kosten kann. Rasant gestiegene Preise, Energie- und Nahrungsmangel haben in vielen Ländern bereits zu Unruhen geführt. Auch die Düngemittelknappheit wird sich, wenn der Krieg über den Herbst hinaus fortdauert, global auswirken. Es ist mit hohen Opferzahlen und einer Destabilisierung der globalen Lage zu rechnen. Auch auf internationaler politischer Ebene (G7, UN) werden diese drohenden dramatischen Folgen thematisiert.
Richtig erkannt. Und genau das ist es, was Putin will, um die Welt gegen den sogenannten Westen aufzubringen. Es zwingt ihn niemand dazu, Weizenlieferungen nach Afrika zu behindern. Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass die Intellektuellen in ihrer unendlichen Friedensliebe etwas übersehen, dass diese Kriegsfolgen nicht etwa die Folgen des ukrainischen Abwehrkampfes um das eigene Land sind, sondern die der permanenten Angriffe der russischen Streitkräfte und der damit einhergehenden Vernichtung von Nahrungsmitteln.
Der Westen muss sich Russlands Aggression in der Ukraine und weiteren revanchistischen Ansprüchen geeint entgegenstellen.
Ja., bravo. Geht doch. Aber gemach, gemach. Das wären doch keine Friedensphilosophen, wenn diese klare Aussage nicht gleich wieder relativiert würde.
Doch ein Fortdauern des Kriegs in der Ukraine ist nicht die Lösung des Problems.
Lösung Fehlanzeige
Wir stellen uns also irgendwie geeint entgegen, hindern aber die Ukraine irgendwie daran, sich weiter zu verteidigen? Geile Idee. Im Laber geeint, gemeinsam untergegangen oder was? Wo ist denn die Lösung?
Die aktuellen Entwicklungen um den Bahntransit in die russische Exklave Kaliningrad sowie Putins Ankündigung, atomwaffenfähige Raketensysteme an Belarus zu liefern, zeigen, dass die Eskalationsgefahr zunimmt.
Na guck an. Putin eskaliert, aber der Appell richtet sich nicht etwa an ihn. Kann ich verstehen. Nicht mal die UnterzeichnerInnen gehen wohl davon aus, dass der sich einen Deut um einen offenen Brief aus dem Westen kümmert. Der wird den zwar lesen, aber sich ganz entspannt die Eier kraulen und zufrieden grinsen, wenn er das liest.
Der Westen muss alles daransetzen, dass die Parteien zu einer zeitnahen Verhandlungslösung kommen. Sie allein kann einen jahrelangen Abnutzungskrieg mit seinen fatalen lokalen und globalen Folgen sowie eine militärische Eskalation, die bis hin zum Einsatz nuklearer Waffen gehen kann, verhindern.
Was bedeutet denn, alles daran setzen? Und welche Art von Verhandlungslösung kann es da geben?
Stellen Sie sich vor, ihr gewalttätiger Nachbar kommt mit seiner Familie schwer bewaffnet in ihr Haus, erschießt ein paar Familienmitglieder, vergewaltigt ihre Frau und entführt ihre Kinder in sein Haus. Sie können sich leicht bewaffnet mit ihrem Bruder und Ihrem Onkel auf das Dach flüchten, während der Nachbar sich in ihrer Wohnung breit macht und ihre Vorräte frisst. Sie versuchen, Raum für Raum und Etage für Etage das Haus zurückzuerobern. Die Nachbarn auf der rechten Seite, werfen ihnen ab und an etwas Munition und Nahrung auf das Dach, nehmen ihre Schwiegermutter bei sich auf, versichern Ihnen ihre Solidarität, greifen aber aus Angst, der brutale Nachbar könne auch sie angreifen, nicht aktiv ein. Sie halten sich tapfer, erschießen ein paar Eindringlinge, kommen aber nicht so recht voran und fordern von den Nachbarn bessere Waffen. Und dann schreibt ihnen ein Intellektueller einen freundlichen Appell und fordert Sie auf, doch endlich mit diesem bescheuerten Krieg aufzuhören. Ihr Ziel, Ihr Haus vom Nachbarn zu befreien sei ja wohl nicht realistisch, das sollten Sie aufgeben. Sie sollten doch mal überlegen, ob es nicht klüger wäre, wenn Sie ihm vielleicht den Keller, das Wohn- und Schalfzimmer und ihre Kinder überließen. Dafür bekämen Sie dann das Dachgeschoss und Ihre Frau zurück. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie darüber auch nur eine Sekunde nachdenken würden. Aber heh, Sie sind ja auch kein Philosoph, nicht war? Sie sind genauso dumm wie ich.
Verflucht noch mal, wie soll denn „der Westen“ das bewerkstelligen? Irgendwelche konkreten Vorschläge der Damen und Herren? Klar kann man mit Putin reden. Fragen Sie mal Macron oder Scholz, wie nett das ist. Und was möchten Sie ihm denn anbieten? Vielleicht fragen Sie mal, ob Sie einen Termin bekommen und philosophieren dann ein Stündchen mit ihm.
Verhandlungen bedeuten nicht, wie manchmal angenommen wird, der Ukraine eine Kapitulation zu diktieren. Einen Diktatfrieden Putins darf es nicht geben.
Verhandeln?
Ja über was möchte man denn dann so verhandeln? Würde mich echt mal interessieren, was den Weisen aus dem TV-Laber-Land da so vorschwebt.
Verhandlungen bedeuten auch nicht, etwas über den Kopf der Beteiligten hinweg zu entscheiden. Die internationale Gemeinschaft muss vielmehr alles dafür tun, Bedingungen zu schaffen, unter denen Verhandlungen überhaupt möglich sind.
Ja, können wir machen. Wir stellen den Petersberg zur Verfügung, servieren ein Fünf-Gänge-Drei-Sterne-Menü, machen ein nettes Begleitprogramm für die Damen, lassen Nicole „Ein bisschen Frieden“ auf Russisch singen und dann sagt der Putin, okay, ihr habt recht, wir haben in der Ukraine nichts verloren, ziehen wieder ab und reparieren alles, was wir kaputt gemacht habe. Das ist doch erfolgversprechend. Nicht.
Dazu gehört die Bekundung, dass die westlichen Akteure kein Interesse an einer Fortführung des Krieges haben und ihre Strategien entsprechend anpassen werden.
Kann mir mal jemand verraten, welche westlichen Akteure ein Interesse an einer Fortführung des Krieges haben, der nicht nur tausende Menschen das Leben kostet, sondern auch noch zu all den Verwerfungen führen wird, die die Schlauis ja richtig erkannt haben? Ich kenne da niemand.
Dazu gehört auch die Bereitschaft, die Bedingungen einer Waffenruhe sowie die Ergebnisse von Friedensverhandlungen international abzusichern, was hohes Engagement erfordern kann. Je länger der Krieg andauert, desto mehr internationaler Druck ist erforderlich, um zur Verhandlungsbereitschaft beider Seiten zurückzufinden.
Watt nu? Friedenstruppen? Fragt Putin die an? Glaub ich nicht. Weitere Sanktionen? Die verlängern doch angeblich den Krieg? Sagt mal, was Ihr euch konkret vorstellt, Ihr KlugscheißerInnen.
Der Westen muss sich nach Kräften bemühen, auf die Regierungen Russlands und der Ukraine einzuwirken, die Kampfhandlungen auszusetzen. Wirtschaftliche Sanktionen und militärische Unterstützung müssen in eine politische Strategie eingebunden werden, die auf schrittweise Deeskalation bis hin zum Erreichen einer Waffenruhe gerichtet ist.
Er hat sich nach Kräften bemüht, schreib ich immer in Zeugnisse von Auszubildenden, die weit davon entfernt waren, eine befriedigende Arbeitsleistung zu erbringen. Und welche politische Strategie das sein soll, wird auch wieder nicht verraten. Ob das sein kann, dass die selbst keine Ahnung haben, wie so eine Strategie wohl aussehen könnte?
Bislang ist kein konzertierter Vorstoß der internationalen Gemeinschaft, insbesondere der großen westlichen Akteure, erfolgt, um Verhandlungen auf den Weg zu bringen. Solange dies nicht der Fall ist, kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine Verständigung unmöglich ist und insbesondere Putin nicht verhandeln will.
Hach, ein konzertierte Vorstoß der internationalen Gemeinschaft. Vielleicht des UN-Sicherheitsrates, aber ach, da hat der Putin ja ein Vetorecht. Blöd. Ich kann mir vorstellen, dass Putin verhandlungsbereiter wird, wenn man seinem Vorstoß mit massiver Militärpräsenz entgegentritt und seiner Armee auf dem Gebiet der Ukraine mit der völligen Vernichtung droht. Aber vermutlich wäre dem das auch völlig schnurz. Der sitzt ja weit vom Schuss und solange sein Volk nicht merkt, was für ein Risiko der da auf Volkes Kosten eingeht, passiert da eh nichts.
Dass Kriegsparteien Maximalforderungen stellen oder Friedensgespräche ausdrücklich ablehnen, ist kein ungewöhnlicher Ausgangspunkt in festgefahrenen Konflikten.
Maximalziel?
Ist das berechtigte Verlangen der Ukraine auf Befreiung ihres Staatsgebietes heutzutage schon ein geradezu unanständiges Maximalziel? Finde ich nicht. Es ist aus meiner Sicht sogar conditio sine qua non für Verhandlungen über einen künftigen Frieden, also eher ein Minimalziel. Das russische Unrecht darf nicht zementiert, es muss beseitigt werden. Sonst gibt es keinen Frieden. Und es darf auch nicht so getan werden, als stünden die „Kriegsparteien“ auf einer Stufe. Die Ukraine hat nicht die Absicht, sich Teile Russlands einzuverleiben. Die verteidigt sich nur.
Der bisherige Verlauf der Verhandlungsversuche zeigt eine anfängliche Verständigungsbereitschaft beider Seiten unter Annäherung der Zielvorstellungen. Nur eine diplomatische Großoffensive kann aus der momentanen Sackgasse herausführen.
Hm. Jaja. Welche Annäherung der Zielvorstellungen haben die denn da erkannt?
Die Aufnahme von Verhandlungen ist keine Rechtfertigung von Kriegsverbrechen. Wir teilen den Wunsch nach Gerechtigkeit. Verhandlungen sind indes ein notwendiges Mittel, um Leid vor Ort und Kriegsfolgen auf der ganzen Welt zu verhindern.
Wir wäre es , wenn wir uns darum bemühen würden, den Wunsch der Ukraine nach Gerechtigkeit zu erfüllen, statt nur den Wunsch zu teilen?
Angesichts drohender humanitärer Katastrophen sowie des manifesten Eskalationsrisikos muss der Ausgangspunkt für die Wiederherstellung von Stabilität schnellstmöglich gefunden werden. Nur eine Aussetzung der Kampfhandlungen schafft die dafür notwendige Zeit und Gelegenheit. Die Bedeutung des Ziels verlangt, dass wir uns dieser Herausforderung stellen und alles tun, damit ein baldiger Waffenstillstand und die Aufnahme von Friedensverhandlungen möglich werden – und alles unterlassen, was diesem Ziel entgegensteht.
Butter bei die Fische
So und nun mal Butter bei die Fische. Was sollen wir unterlassen? Waffenlieferungen? Sanktionen? Verstärkung der NATO zur Verhinderung weiterer Angriffe auf deren Territorium? Aufrüstung der Bundeswehr, um die wenigstens mal wieder so weit aufzupäppeln, dass die notfalls die Landesverteidigung gewuppt bekommt?
Ich finde, der ukrainische Botschafter hat diemal ziemlich genau den richtigen Ton getroffen. Ich weiß nicht, wer von den UnterzeichnerInnenn nun der Schreiber dieses offenen Briefes ist, und wer einfach nur mitunterzeichnet hat. Klingt ja irgendwie nach Precht, also alles andere als prächtig. So ein inhaltsleeres Friedensgelaber ohne einen Funken Substanz oder auch nur den Hauch einer konkreten Idee, habe ich selten gelesen. Wenn das nun die Creme de la Creme der deutschen Denker sein sollte, dann wäre das sehr bedauerlich. Aber vermutlich denken die wirklichen Denker erst einmal zu Ende, bevor Sie die staunende Öffentlichkeit mit dämlichen offenen Briefen beglücken.