Abschied von einem großen Geschichtenerzähler
„Ich habe dir immer mal wieder gesagt, welche Geschichten von dir mich am meisten beeindruckt haben. Es waren die, in denen du dich mit all deiner Verletzlichkeit offenbart hast, und darunter war die von dem hässlichen Entlein hinter der Kastanie die, die ich wirklich geliebt habe.“ … ein kleiner Abschiedsbrief von Uwe Fischer an den gestern verstorbenen Kolumnisten Wolfgang Brosche
Mein lieber Wolfgang, ich weiß: du hättest so gerne noch einmal geschrieben.
Einen langen Weg mit vielen Enttäuschungen hast du hinter dir, an so einigen davon hast Du uns in deinen Geschichten und Kommentaren teilhaben lassen. Ich habe dir immer mal gesagt, welche Geschichte davon mich am meisten beeindruckt hat. Es waren nicht die wortgewaltig-wütenden, in denen Du gegen die Bergers, Beverfoerdes und Höckes dieser Welt angeschrien hast, es waren nicht die berührenden und sanften, in denen du deiner Liebe für die Filmdiven verganger Zeiten gehuldigt hast. Es waren die, in denen du dich mit all deiner Verletzlichkeit offenbart hast, und darunter war die von dem hässlichen Entlein hinter der Kastanie die, die ich wirklich geliebt habe. Nicht nur als Besonderheit unter deinen Texten sondern darüber hinaus. Geschichten dieser Art konntest du so schreiben, dass du mich mitgenommen hast in einen Teil deines Lebens, der nun nur noch in deinen Texten verbleibt.
Irgendwann hat dich die Gesundheit im Stich gelassen, du hast gekämpft und gelitten, hast aufgegeben und bist zurückgekommen. Du wurdest zurückgeworfen und hast wieder gekämpft und in dem Moment, als deine Hoffnung am größten schien, hast Du den Kampf endgültig verloren. Wer weiß, vielleicht ist es angesichts der vielen Schmerzen, Rückschläge und Enttäuschungen nun doch ein Sieg, weil du von diesem schmerzhaften Weg befreit bist und das von Dir so verabscheute Elend, das unsere Welt gerade überzieht, nicht mehr erleiden musst.
In deinen letzten Minuten waren die wichtigsten Menschen, die dich begleitet haben, bei dir, das mag allen, die nun um dich trauern, ein kleiner Trost sein.
Eine letzte Aufgabe gebe ich dir mit auf deine Reise. Wenn du am Ende dieses letzten Weges angekommen bist, mach dich auf zu deinen so verehrten Diven. Setze dich auf die bequemste Wolke, die du findest, überwinde die dir so gut stehende Bescheidenheit und lese ihnen deine Texte vor. Marlene Dietrich, Danielle Darieux und Alida Valli sind informiert und warten bereits auf deine Ankunft. Wir sehen uns, irgendwann. Dann werde ich fragen, ob du dich überwinden konntest oder nicht. Vermutlich nicht, das befürchte ich. Aber dann gibt es für dich kein Entkommen und du musst dann da spätestens gemeinsam mit mir durch; überlege es dir also gut!
Jetzt setze ich mich in meinen Garten, lese die Geschichte vom Entlein und begleite dich so noch ein Stück des Weges. Wir plaudern über dies und das, du erzählst von deinen ungeschriebenen Geschichten, bis uns unsere unterschiedlichen Welten trennen. Vorläufig, wir alle sind vergänglich und du bist uns nur ein Stück vorausgegangen.
Halte mir bitte eine gemütliche Wolke frei.
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