Mea maxima culpa

Der emeritierte Papst Benedikt XVI. wird durch ein Gutachten im Zusammenhang mit dem sexuellen Missbrauch innerhalb der Kirche massiv belastet. Heinrich Schmitz ist sauer. Die Samstagskolumne


Foto: pixabay (gemeinfrei)

Ich bin stinksauer. Ich bin enttäuscht. Ich bin wütend. Ich bin traurig. Ich bin fassungslos. Nicht, dass mir das Phänomen der Vertuschung innerhalb der römisch-katholischen Kirchen nicht seit Jahrzehnten bekannt wäre. Es sollte nur kein Schaden auf die heilige Mutter Kirche und ihr fehlbares Personal fallen. Um Priester aus der Schusslinie zu bekommen und auch vor dem Zugriff der weltlichen Strafverfolgungsbehörden zu schützen, war jedes Mittel recht. Da wurde alles unter dem Mantel des Schweigens versteckt. Da wurde viel Geld für Anwälte und auch Schweigegeld ausgegeben. Aber trotzdem kam nach und nach der innerkirchliche Dreck ans Licht.

Hunderte von Geschädigten, die ja selbst als getaufte Kinder Mitglieder der Kirche waren und zum Teil auch noch sind, verlangten in erster Linie von der Kirche und von ihren Peinigern ein Schuldeingeständnis. Das ist für Missbrauchsopfer häufig wichtiger als eine finanzielle Entschädigung oder eine Bestrafung der Täter. Dass man ihnen einfach glaubt.

Und sie verlangten umfassende Aufklärung, die von dem Machtapparat der Kirche jahrzehntelang erfolgreich verweigert wurde. Und sie verlangten, dass die Täter daran gehindert würden, weitere Kinder zu missbrauchen. Und da wandten sie sich vertrauensvoll an ihre Bischöfe. Man hatte ihnen ja erzählt, dass seien Hirten, die sich um ihre Schafe kümmern würden. Die laufen ja auch gerne mit prunkvollen Hirtenstäben durch die Gegend. Aber Pustekuchen. Barmherzigkeit bekamen da nur die Täter. Und die wurden nicht nur vor weltlicher Unbill in Form der Strafjustiz geschützt, nein, die bekamen sogar die bischöfliche Unterstützung dabei, nach einer Versetzung in ein anderes Bistum, weiterhin ihr Unwesen zu treiben.

Und unter diesen Bischöfen war dann gemäß dem nun veröffentlichen Gutachten ebenfalls der frühere Erzbischof Ratzinger, der später – offenbar infolge einer vorübergehenden Nichtanwesenheit des heiligen Geistes im Konklave – zum Papst gewählt wurde. Habemus papam. Wir sind Papst. Hurra. Oder auch nicht.

Und was macht dieser Papstrentner? Ist er nun etwa barmherzig und sorgt sich um die Opfer? Nun ja. Er verspricht für die Opfer zu beten. Kann er ja gerne tun. Aber da können die sich nichts für kaufen.

Kein Held

Was hätte dieser Mann für ein Kirchenheld sein können, wenn er seinen Rücktritt nicht mit schwindenden Körperkräften erklärt hätte, sondern wenn er sich hingestellt und zugegeben hätte, dass ihm für das Amt des Papstes die notwendige moralische Kompetenz fehle, weil er dadurch, indem er in seiner Amtszeit Sexualstraftäter schützte, weitere Opfer gefährdet habe.

Hat er aber nicht. Ist halt kein Held. Stattdessen geht er hin und leugnet, an einer Sitzung teilgenommen zu haben, in deren Protokoll er erwähnt ist und in der es inhaltlich um ein Gespräch ging, dessen Inhalt nur er selbst kannte. Nun mag es ja sein, dass man sich nicht mehr an alles erinnert, was so vor 40, 50 Jahren passiert ist, aber belegte Fakten zu bestreiten ist ansonsten eher die Spezialität von Menschen, die Montags spazieren gehen.

Wenn wir sagen, dass wir Gemeinschaft mit ihm haben, und wandeln doch in der Finsternis, so lügen wir und tun nicht die Wahrheit. 1 Johannes 1:6

Scheiß drauf?

Heiliger Zorn

Ich sage es ganz ehrlich. Vielleicht hätte ich nun diese Kolumne nicht gerade einen Tag nach der Veröffentlichung des Gutachtens schreiben sollen, weil meine Emotionen gerade drunter und drüber gehen. Aber vielleicht ist es auch gut, die so zu verarbeiten. Nennen wir es mal heiligen Zorn.

Ich bin seit meiner Geburt Christ. Früher wurde man gleich nach der Geburt noch im Krankenhaus getauft, damit man auch bei einem plötzlichen Ableben nach der Geburt noch Anspruch auf den Himmel und ein christliches Begräbnis hat. Gut, der Eintritt in den Verein war also eher unbewusst. Aber meine Kindheit habe ich in einer sehr beschützenden und fröhlich machenden Franziskanergemeinde erlebt. Ich ging zur Kommunion, wurde Messdiener, wurde gefirmt – das dann schon ganz bewusst –, leitete kurze Zeit eine Messdienergruppe und war auch später noch mit der Kirche verbunden. Es war für meine Frau und mich auch keine Frage, wo die Hochzeit stattfinden sollte, und auch unsere drei Kinder ließen wir taufen. Diese Kirche war meine Heimat.

Kranke Moral

Es hat mich nie gestört, wenn einige mir bekannte Priester eine Freundin hatten. Das waren ja gesunde junge Männer und es hat auch die Kirche nicht gestört, solange die verlogen genug waren und ihr Verhältnis unter der Decke hielten. Wenn sie sich aber ehrlich machten und Verantwortung für ihre Frau übernahmen und die heirateten, dann wurden sie dank des unheiligen Zölibates aus dem Amt entfernt. Und es gab nicht einmal eine Unterstützung dabei, einen neuen Job zu finden. Warum hätten die nicht Diakone oder Religionslehrer werden können? Stattdessen saßen die erst mal ganz unbarmherzig auf der Straße, sehr zum Kummer ihrer Gemeinde.

Wenn aber einer sich an kleinen Kindern vergriff, dann wurde das offenbar mit Wissen und Billigung höchster Kirchenoberer unter den Teppich gekehrt und den Opfern auch noch ein schlechtes Gewissen gemacht. Wie verkommen muss man eigentlich sein, um den Tätern gegenüber Barmherzigkeit zu üben und die Opfer unbarmherzig ihrem Trauma zu überlassen? Nichts gegen Barmherzigkeit. Man hätte die Täter anzeigen müssen, hätte sie nach einer Strafe mit Therapie und einer Beschäftigung im Archiv oder in der Buchhaltung am Leben halten können, aber man durfte sie nicht an anderer Stelle weitermachen lassen. Welcher gute Hirte schickt denn einen Wolf im Schafspelz, der bereits mehrere Schafe gerissen hat, sehenden Auges in eine neue Herde? Warum sollte der Wolf denn da sein Verhalten ändern? Und wie kann man so etwas glauben? Da wurde der geile Bock zum Kindergärtner gemacht.

Was eindeutig fehlt ist ein klares Schuldbekenntnis. Kann doch nicht so schwer sein. Es wissen doch jetzt eh alle.  Ein Schuldbekenntnis ist das Eingeständnis der persönlichen Schuld vor Gott und den Menschen. Es zielt auf die Bitte um Vergebung. Im Hauptgebet der Christen, dem Vaterunser, heißt es:

Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.

Confiteor

Und als Priester hat auch Benedikt XVI. tausende Mal das Confiteor gebetet – das hab ich ja schon als einfacher Messdiener gemacht.

Confiteor Deo omnipotenti

et vobis, fratres,

quia peccavi nimis

cogitatione, verbo, opere et omissione:

mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa.

Ideo precor beatam Mariam semper Virginem,

omnes Angelos et Sanctos,

et vos, fratres,

orare pro me ad Dominum Deum nostrum.

Zu deutsch:

Ich bekenne Gott, dem Allmächtigen,

und allen Brüdern und Schwestern,

dass ich Gutes unterlassen und Böses getan habe –

ich habe gesündigt in Gedanken, Worten und Werken

durch meine Schuld, durch meine Schuld, durch meine große Schuld.

Darum bitte ich die selige Jungfrau Maria,

alle Engel und Heiligen

und euch, Brüder und Schwestern,

für mich zu beten bei Gott, unserm Herrn.

Wäre es zu viel gewesen, dieses ihm wohlbekannte Gebet, dass sich ja auch an alle Brüder und Schwestern richtet, öffentlich unter Bezugnahme auf seine Untaten im Zusammenhang mit dem Missbrauch öffentlich zu sprechen, falls er schon keine eigenen Worte findet? Ich denke nicht. Wer sich selbst den Namen Benedikt gibt, sollte gut und richtig reden können, was bene dicere ja nun mal bedeutet.

Der aktuelle Papst könnte schon mal klar machen, dass der Papst keineswegs der Stellvertreter Christi auf Erden ist, sondern genau so ein armes fehlbares Würstchen wie alle anderen Menschen. Als ob Jesus diesen Mummenschanz in den kirchlichen Palästen gut geheißen hätte. Er hätte diese bigotten Brüder aus dem Tempel gejagt. Aber so richtig großes Interesse scheint Franziskus da auch nicht zu haben.

Und ja. Man soll ja 7 mal 70 mal vergeben. Das heißt aber nicht, dass man einen Sexualverbrecher erst nach dem 490sten Mal aus dem Verkehr ( vielleicht jetzt das unpassende Wort) ziehen sollte. Da war der Gott des Alten Testaments mit seiner Wut mir im Moment emeotional näher als der allzeit vergebungsbereite Sohn.

Ich weiß nicht, ob die Kirche noch lange existiert, wenn es nicht eine radikale, also von den Wurzeln des Christentums ausgehende, Reform der Institution und der kranken Sexualmoral geben wird. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch aushalte. Es kann passieren, dass man bald beim heiligem Stuhl nur noch an unsäglich stinkende Scheiße denkt.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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