Ein pimmeliges Verfahren

Hamburgs Innensenator Andy Grote fühlte sich beleidigt, erstattete Anzeige und stellte Strafantrag. Daraufhin kam es zu einer Hausdurchsuchung bei einem Verdächtigen. Ein Skandal, eine Posse oder Normalität? Eine durchaus auch satirische Kolumne von Heinrich Schmitz


Bild von Bernd1968 auf Pixabay

Andy Grote ist Innensenator in Hamburg. Ende Mai twitterte er nach Feiern im Schanzenviertel:

In der Schanze feiert die Ignoranz! Manch einer kann es wohl nicht abwarten, dass wir alle wieder in den Lockdown müssen … Was für eine dämliche Aktion!

Gut, ob es clever ist, als Innensenator so einen Tweet abzusetzen, nachdem man selbst im Juni mit rund 30 Gästen lustig gefeiert und gegen die eigenen Coronaregeln verstoßen hat, was dann zu einem Bußgeldbescheid über 1000€ führte, muss Grote selbst wissen. Aber man darf sich dann halt auch nicht wundern, wenn man darauf Reaktionen bekommt, die eher unfreundlich sind.

Und so begab es sich, dass ein User mit dem Account „Zoo St. Pauli“ diesen Tweet mit den Worten kommentierte:

du bist so 1 Pimmel

Kämpfer gegen Hass und Hetze

Offenbar fand Grote das zunächst gar nicht so tragisch, denn angeblich initiierte nicht er daraufhin ein Ermittlungsverfahren, sondern die Polizei witterte ein öffentliches Interesse und fragte bei Grote nach, ob er denn Strafanzeige erstatten und Strafantrag stellen wolle. Und als aufrechter Kämpfer gegen Hass und Hetze im Internet war der Senator dabei. Okay, auch das kann man machen. Dass allerdings die Polizei bei einem solchen Beleidigungsverdacht von sich aus tätig wird, scheint mir eher selten zu sein. Ich habe oft genug erlebt, dass die entsprechende Strafanzeigen nicht einmal selbst aufnehmen wollten und die Anzeigeerstatter baten, dies doch schriftlich gegenüber der Staatsanwaltschaft zu machen. Man habe so viel zu tun und könne sich nicht um jeden Kleinkram kümmern. Aber gut. Schön, wenn die Polizei nun so viel Kapazitäten hat, dass sie jetzt auch initiativ das Netz nach Beleidigungen absuchen kann. Das ist zu loben, wenn auch nicht unbedingt zu glauben.

Nun passierte also das, was immer passiert. Der Inhaber des Accounts wird dann über eine Abfrage beim Anbieter ermittelt, er erhält Gelegenheit sich zu äußern und dann entscheidet die Staatsanwaltschaft, ob sie Anklage erhebt, einen Strafbefehl beantragt oder das Verfahren mit oder ohne Geldbuße einstellt. Der ermittelte Nutzer, ein Marlon P., machte es den Ermittlern sogar recht einfach, indem er auf eine Vorladung hin tatsächlich zur Polizei ging und dort zugab, dass er den Account betreibe. Bis dahin alles völlig normal.

Kinderüberraschung

Aber dann gab es eine überraschende Hausdurchsuchung. Zwar nicht in der Wohnung des Beschuldigten, der dort längst nicht mehr wohnte, sondern in der seiner Ex-Freundin, die dort mit ihren Kindern lebte. Nun ja, shit happens. Wie üblich in aller Herrgottsfrühe erschienen 6 Polizistinnen und Polizisten und suchten nach dem Handy oder was auch immer. Selbstverständlich hatten die einen Durchsuchungsbeschluss des Amtsgericht Hamburg. Danach sei

zu vermuten, dass die Durchsuchung zum Auffinden von Beweismitteln (§§ 102, 105 StPO) führen wird, insbesondere von Speichermitteln mittels derer die in Rede stehende Nachricht versandt wurde.

Nun habe ich zwar noch nie irgendwelche Nachrichten mit Speichermitteln versandt und wüsste auch gar nicht wie das gehen soll, aber dass solche Anträge auf einen Durchsuchungsbeschluss gründlich geprüft würden, sollte zwar so sein, ist es aber in der Praxis nicht. Davon können Verteidiger ganze Opern singen.

Hausdurchsuchung

Dabei ist der Richtervorbehalt für solche Entscheidungen ja nicht ohne Grund da. Eine Hausdurchsuchung ist ein schwerer Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen und deshalb vom Gesetz her an enge Voraussetzungen geknüpft.

Die Basis liefert

§ 102 StPO

Durchsuchung bei Beschuldigten

Bei dem, welcher als Täter oder Teilnehmer einer Straftat oder der Datenhehlerei, Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei verdächtig ist, kann eine Durchsuchung der Wohnung und anderer Räume sowie seiner Person und der ihm gehörenden Sachen sowohl zum Zweck seiner Ergreifung als auch dann vorgenommen werden, wenn zu vermuten ist, daß die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln führen werde.

Auch wenn das nun so klingt, als reiche ein einfacher Verdacht irgendeiner Straftat aus, um eine Hausdurchsuchung durchzuführen, ist das keineswegs so. Denn auch hier gilt es, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz einzuhalten.

Das Bundesverfassungsgericht hat das so erklärt:

a) Art. 13 Abs. 1 GG garantiert die Unverletzlichkeit der Wohnung. Damit wird dem Einzelnen zur freien Entfaltung der Persönlichkeit ein elementarer Lebensraum gewährleistet. In diese grundrechtlich geschützte Lebenssphäre greift eine Durchsuchung schwerwiegend ein (vgl. BVerfGE 42, 212 <219 f.>; 59, 95 <97>; 96, 27 <40>; 103, 142 <150 f.>).

aa) Erforderlich zur Rechtfertigung eines Eingriffs in die Unverletzlichkeit der Wohnung ist der Verdacht, dass eine Straftat begangen wurde. Das Gewicht des Eingriffs verlangt Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen (vgl. BVerfGE 115, 166 <197 f.>).

Okay, die Äußerung „Du bist so 1 Pimmel“ kann für den Verdacht einer Straftat, nämlich einer Beleidigung grundsätzlich ausreichen. Das kann man mal so stehen lassen (auch wenn ich nicht wirklich davon überzeugt bin, dass es eine unzulässige Beleidigung sein muss – aber dazu später).

Ein Verstoß gegen diese Anforderungen liegt vor, wenn sich sachlich zureichende plausible Gründe für eine Durchsuchung nicht mehr finden lassen (vgl. BVerfGE 59, 95 <97>).

Da wird es schon etwas schwieriger mit der Verhältnismäßigkeit. Denn durch die Angabe des Beschuldigten, dass er den Account betreibe, von dem der Tweet abgesetzt wurde, war da wohl kaum mehr zu finden, als man eh schon wusste.

Denn:

bb) Dem erheblichen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Betroffenen entspricht zudem ein besonderes Rechtfertigungsbedürfnis nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfGE 20, 162 <186 f.>; 96, 44 <51>; 115, 166 <197>). Die Durchsuchung muss vor allem in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen (vgl. BVerfGE 20, 162 <187>; 59, 95 <97>; 96, 44 <51>; 115, 166 <197>). Hierbei ist auch die Bedeutung des potentiellen Beweismittels für das Strafverfahren zu bewerten (vgl. BVerfGE 115, 166 <197>). Sie scheidet aus, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen oder der Eingriff nicht mehr in angemessenem Verhältnis zur Stärke des Tatverdachts und zur Schwere der Tat steht (vgl. BVerfGE 42, 212 <220>; 59, 95 <97>). Auch die Beschlagnahme muss angesichts des erheblichen Eingriffs in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Betroffenen dem allgemeinen Rechtsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen (BVerfGE 20, 162 <186 f.>).

Und da wird es für mich schon richtig schwierig, den martialischen Auftritt der Polizei als noch rechtmäßig einzustufen. Wir reden hier über ein mögliches Delikt am unteren Ende der Kriminalitätsskala. Und selbst innerhalb der Beleidigungsdelikte erscheint mit der offenbar durchaus lustig formulierte Satz, „du bist so 1 Pimmel“ schon wegen der Schreibweise der Zahl 1 weit entfernt von anderen sexualisierte Beleidigungen wie Drecksfotze oder ähnlichem zu sein. Ich habe jedenfalls keine Entscheidung gefunden, bei der jemand wegen der Bezeichnung „1 Pimmel“ verurteilt worden wäre. Als sogenannte Formalbeleidigung wie Arschloch scheint das also nicht grundsätzlich zu taugen.

Kontext zählt

Was dann noch unbedingt zu berücksichtigen ist, ist der Kontext der Äußerung. Diese fand ja nicht aus heiterem Himmel – nicht alles mit „immel“ ist was Beleidigendes – heraus statt, sondern war eine Reaktion auf einen seinerseits nicht gerade freundlichen Tweet des Innensenators selbst.

Und dessen Empörung über die Feiernden in der Schanze kamen nun gerade nicht von einem Menschen mit makelloser Coronamaßnahmenweste, einem wahren Unschuldslamm,  sondern von jemanden, dem selbst die Feier seiner erneuten Senatorenwahl wichtiger war als die Einhaltung der Coronaregeln, über die er ja als Innensenator zu wachen hat. Nun ja, da kann dann auch dem wohl geneigten Bürger mal die Hutschnur platzen, wenn so jemand twittert, in der Schanze feiere die Ignoranz. Ja was feierte denn dann bei ihm und seinen rund 30 Gästen in einer Bar, also auch noch in einem geschlossenen Raum? Die Arroganz der Mächtigen?

Deutliche Worte

Da sind auch deutliche Worte der Meinungsäußerung nicht unbedingt strafbar, sofern die Äußerung sich noch irgendwie auf eine Auseinandersetzung in der Sache bezieht.

In einem von mir erstrittenen Revisionsbeschluss des OLG Köln, bei dem es um folgende Äußerung meiner Mandantin ging:

und die Trulla aus dem Rathaus verreckt hoffentlich an der Luft die sie atmet

hat das OLG Köln Folgendes entschieden:

 Für die weitere Sachbehandlung weist der Senat darauf hin, dass er der Rechtsauffassung des Tatrichters, bei der inkriminierten Äußerung handele es sich um eine Schmähkritik, nicht beizutreten vermochte. Wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik von Verfassung wegen eng zu verstehen und eher auf die Privatfehde beschränkt (BVerfG NjW 2017,1460). Eine Verurteilung wegen Beleidigung ohne Vornahme einer Abwägung der in Frage stehenden Rechtsgüter verletzt den Verurteilten in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG, wenn die ehrverletzende Äußerung nicht alleine auf die Diffamierung des Betroffenen, sondern auch auf eine Auseinandersetzung in der Sache abzielt(vgl. BVerfG NJW 2005, 3274 = NstZ 2006,31), wobei sich der Sachbezug nicht notwendig aus der Äußerung selbst ergeben muss.(vgl. OLG Köln Urt. v. 06.01.09, 15 U 174/08). Von Schmähkritik ist lediglich dann auszugehen, wenn sich der ehrbeeinträchtigende Gehalt der Äußerung von vorneherein außerhalb jedes in einer Sachauseinandersetzung wurzelnden Verwendungskontextes bewegt (so die Formulierung in der Entscheidung BVerfG NJW 2016,2870). (OLG Köln III-1 Rvs 71/20)

Auch da hatte das Gericht der Beschuldigten die Bude auf den Kopf gestellt um herauszufinden, von wessen Gerät der Post abgesetzt worden war und gleich mal alle Kommunikationsgeräte der Familie beschlagnahmt, einschließlich des ausschließlich beruflich genutzten Laptops. Ja, da kommt Freude beim Arbeitgeber auf. Am Ende gab es dann den hart erkämpften Freispruch nebst Kostenerstattung durch die Staatskasse.

teemlich op’t Detail bedacht

Diese Grundsätze dürften auch für die Pimmeläußerung greifen, denn hier wurde ja offenkundig nicht die Person des Innensenators als Geschlechtsorgan identifiziert, sondern mit der Bezeichnung eher sein „pimmeliges“ Verhalten gekennzeichnet. Im Plattdeutschen, also der Sprache des Nordens ist jemand pimmelig, wenn er „teemlich op’t Detail bedacht“ ist. Im Hochdeutschen bedeutet dieses Adjektiv penibel, pingelig, zimperlich, akribisch oder pedantisch. Die Wurst war schon leicht schimmelig, da war die Mutter pimmelig. Und wer könnte sich pimmeliger Verhalten als „1 Pimmel“ selbst.

Ob Grote nun erreicht hat, was er erreichen wollte, dass also auch im Netz fürderhin respektvoll miteinander umgegangen werde, weiß ich nicht. Glaub ich aber eher nicht.  Und wenn man im Zusammenhang mit 1 Pimmel unbedingt noch Härte zeigen muss, erhöht das die Heiterkeit des Publikums. Erreicht hat Grote nun aber, dass bei der Eingabe des Wortes „Pimmel“ in Google tausende Verknüpfungen mit dem Namen Andy Grote angezeigt werden. Und das wird wohl auch auf Jahre so bleiben. Den Pimmel wird der so schnell nicht mehr los. 1 Pimmel forever.

Hätte ich eine Kneipe auf der Reeperbahn, ich würde ihr den niederländischen Namen „1 grote Pimmel“ geben. Obwohl, möglicherweise würde dann allerdings meine Post beim Innensenator landen.

Wenn so eine Hausdurchsuchung für die Betroffenen nicht so eine eingreifende Sache wäre – vielleicht war ja auch Einschüchterung der eigentliche Zweck der Übung – dann könnte man ja noch von einer unterhaltsamen Posse sprechen. So gefällt mir das Ding allerdings überhaupt nicht und an der Rechtmäßigkeit des Durchsuchungsbeschlusses hege ich ernsthafte Zweifel. Vielleicht tut die Justiz sich und auch dem Innensenator einen Gefallen und stellt die Sache jedenfalls wegen geringer Schuld sanktionslos ein. Man kann aber auch einen großen Ballon draus machen; dann landet das Ding irgendwann in Karlsruhe.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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