Schnüffeln 3.0 – Der Staatstrojaner

Am Mittwoch beschloss die Bundesregierung die Novelle des Verfassungsschutzgesetzes. Ein Sieg für Horst Seehofer, eine Niederlage für den Rechtsstaat. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz


Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Wenn dieser Beschluss der Bundesregierung Gesetz werden sollte, dann dürfen künftig auch die deutschen Verfassungsschützer des Bundes und der Länder sowie der MAD und der BND sogenannte Staatstrojaner einsetzen. Das darf zur Zeit nur die Polizei unter strengen Vorgaben zur Ermittlung in Strafverfahren. Und obwohl die Polizei das nun seit einiger Zeit darf, tut sie es eher selten, weil es recht aufwändig ist und wohl nur wenig bringt. Dass deshalb die Ermittlungserfolge der Polizei gelitten hätten, kann man nicht behaupten. Ob die bisherige Regelung bezüglich der Polizei überhaupt der Verfassung entspricht, hat das Bundesverfassungsgericht noch nicht entschieden. Dort gibt es seit 2018 mehrere Verfassungsbeschwerden gegen den Staatstrojaner. Zutreffend meint dazu Konstantin von Notz von den Grünen:

Statt die Entscheidung der Karlsruher Richter abzuwarten, weitete man das umstrittene Instrument nun einfach auf den Geheimdienstbereich aus

Dem Innenminister kann es wohl mit der Ausweitung der Überwachungstechniken für die Dienste nicht schnell genug gehen. Vielleicht will er den Überwachungsstaat ja einfach noch als Minister erleben. Dass das Gesetz den Grundrechts-TÜV heil übersteht, ist nicht zu erwarten.

Um was geht es?

Da moderne Kommunikationsgeräte mittlerweile über eine kaum zu knackende Ende-zu-Ende-Verschlüsselung verfügen, nützt das Abfangen der Kommunikation, wie es früher möglich war, nichts mehr. Abgefangen würde da nur ein unentschlüsselbarer Datenquark. Auch der Netzbetreiber selbst hat keinen Schimmer mehr davon, was da inhaltlich über seine Leitungen geht. Deshalb gucken die Verfassungsschutzbehörden zunehmend in die finstere Röhre. Um also wieder mitzuhören bzw. zu lesen, was ein Verdächtiger so vor sich hin kommuniziert, muss die Kommunikation an der Quelle abgefischt werden, also auf dem Gerät des Verdächtigen selbst, bevor diese verschlüsselt wird. Zu diesem Zweck muss also auf dem Gerät ein Trojaner installiert werden und zwar möglichst so, dass der Betroffene das nicht mitbekommt. Weil nun weder die Polizei noch die Dienste im Besitz der Geräte sind, gibt es nur zwei Möglichkeiten. Zum einen könnte man diese mal kurz entwenden, um den Trojaner zu installieren, zum anderen kann man die Netzbetreiber dazu zwingen, dem Gerät ein „Update“ nebst Trojaner zu verpassen. Und genau das wird mit der Novelle jetzt geregelt. Die Netzbetreiber werden gesetzlich verpflichtet, gegen ihren Willen den Behörden bei der Installation des Trojaners auf dem Gerät des Kunden behilflich zu sein. Ich hoffe mal, dass die gegen diese Zumutung, ihre eigenen Kunden zu hintergehen, klagen werden.

Alles geht

Könnte man mit diesem „Staatstrojaner“ dann nur die jeweilige Kommunikation abfischen, wie es in der guten alten Zeit der Telefonüberwachung war, könnte man das ja vielleicht noch gutheißen. Mit dem Trojaner haben die Behörden nun aber auch die technische Möglichkeit, den kompletten Inhalt des Smartphones auszulesen. Und so ein Smartphone ist ja in der heutigen Zeit eine Art ausgelagertes Gehirn des Nutzers, das sich vermutlich besser an die Vergangenheit erinnert als dieser selbst. Darauf wäre auch der Bundeshorst scharf gewesen, aber (noch) hat die SPD, die seltsamerweise die Novelle im Kabinett durchgewunken hat, obwohl ihre Vorsitzende Esken gerade diese Novelle nicht wollte, das so gerade verhindert. Rechtlich geht diese Onlinedurchsuchung also noch nicht. Technisch ist es allerdings problemlos machbar, und ich wette ein Sixpack Corona (ich muss den Begriff ja hier auch mal verwenden, damit aktuelle Suchmaschinen diese Kolumne überhaupt beachten), dass irgendein Schimanski oder ein anderer „Der-Zweck-heiligt-die Mittel- Schlapphut“ sich einen Scheiß darum kümmern wird, ob er das nun darf oder nicht. Letztlich wird ja doch immer gemacht, was gemacht werden kann und eine mehr oder weniger zwingende Begründung dafür gefunden, warum gesetzliche Einschränkungen nur was für Idioten sind. Wer sich heute für Freiheitsrechte einsetzt, steht ja schon im Verdacht ein Unterstützer terroristischer Vereinigungen zu sein.

Zahnloser Tiger

Während nun diese Maßnahmen im Rahmen staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen wenigstens immerhin durch einen Richter abgesegnet werden müssen – was allerdings in der Praxis ziemlich locker gehandhabt zu werden scheint – entfällt diese richterliche Kontrolle, sobald die Geheimdienste im Spiel sind. Die hantieren halt lieber im Geheimen und lassen sich nicht wirklich gerne überwachen. Die hier vorgesehene „Kontrolle“ – die Gänsefüßchen können gar nicht groß genug sein – wird durch die bereits bekannte G 10-Kommission stattfinden.

Dass der Innenminister sich überhaupt nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum BND-Gesetz vom 19.5.2020 noch traut, die Kontrolle diesem zahnlosen Tiger zu überlassen und zu glauben, dass das Verfassungsgericht das durchwinkt, zeigt einen Trotz – womöglich Altersstarrsin? –  und eine Uneinsichtigkeit in verfassungsrechtliche Notwendigkeiten, die diesen Minister schon längere Zeit unerträglich machen.

Unkontrollierbar

Die G 10-Kommission soll als unabhängiges und an keine Weisungen gebundenes Organ über die Notwendigkeit und Zulässigkeit sämtlicher durch die Nachrichtendienste des Bundes (BfV, BND, MAD) beantragten und vom BMI angeordneten G 10-Maßnahmen grundsätzlich vor deren Vollzug entscheiden.

§ 15 G 10-Kommission

(1) Die G 10-Kommission besteht aus dem Vorsitzenden, der die Befähigung zum Richteramt besitzen muss, und drei Beisitzern sowie vier stellvertretenden Mitgliedern, die an den Sitzungen mit Rede- und Fragerecht teilnehmen können. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden. Die Mitglieder der G 10-Kommission sind in ihrer Amtsführung unabhängig und Weisungen nicht unterworfen. Sie nehmen ein öffentliches Ehrenamt wahr und werden von dem Parlamentarischen Kontrollgremium nach Anhörung der Bundesregierung für die Dauer einer Wahlperiode des Deutschen Bundestages mit der Maßgabe bestellt, dass ihre Amtszeit erst mit der Neubestimmung der Mitglieder der Kommission, spätestens jedoch drei Monate nach Ablauf der Wahlperiode endet. Die oder der Ständige Bevollmächtigte des Parlamentarischen Kontrollgremiums nimmt regelmäßig an den Sitzungen der G 10-Kommission teil.

Wie diese acht Menschen bei der G10 Kommission des Bundes das praktisch machen sollen, wissen sie vermutlich selbst nicht, einmal ganz davon abgesehen, dass die naturgemäß nur über die Maßnahmen entscheiden können, die ihnen die Dienste mehr oder weniger freiwillig zur Entscheidung vorlegen. Ansonsten hantieren die Dienste komplett unkontrolliert und sind letztlich auch unkontrollierbar.

Ob die Maßnahmen dann rechtmäßig waren, können Betroffene theoretisch im Nachhinein von den Gerichten prüfen lassen. Rechtsstaatsprinzip und so. Eigentlich müssen die Ausgespähten nämlich nach dem Abschluss der Maßnahmen unterrichtet werden, wenn nicht die G10-Kommission zustimmt, dass die Unterrichtung endgültig unterbleibt. Auch da halte ich wieder eine Wette, dass es nicht unbedingt die rechtmäßigen Maßnahmen sind, bei denen die Betroffenen nicht unterrichtet werden.

Im Übrigen muss man sich die G10-Kommission aktuell nicht etwa wie ein Gremium vorstellen, das die jeweiligen Sachverhalte selbständig prüft oder dies überhaupt könnte. Das Bundesverfassungsgericht hat zu diesem Konstrukt einmal geschrieben:

Die G 10-Kommission hingegen wird im Funktionsbereich der Exekutive , mithin im „operativen“ Bereich tätig, indem sie über die Zulässigkeit und Notwendigkeit von konkreten Beschränkungsmaßnahmen entscheidet. Über die Überprüfung der ministeriellen Beschränkungsanordnungen im Einzelfall hinaus erstreckt sich die Kontrolle der G 10-Kommission als Ausgestaltung von Verfahrenssicherung auf den gesamten Prozess der Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der mit Beschränkungsmaßnahmen erlangten personenbezogenen Daten (vgl. § 15 Abs. 5 G 10). Dabei stützt die G 10-Kommission ihre Entscheidungen auf die Stellungnahmen des zuständigen Bundesministeriums sowie des Bundesnachrichtendienstes und klärt den Sachverhalt in der Regel nicht selbst auf. (Unterstreichung durch den Autor)

Ist doch echt cool. Die G10-Kommission entscheidet also auf der Basis dessen, was die zu überprüfende Behörde in ihre Stellungnahme schreibt. Eine echte Kontrolle im eigentlichen Sinne findet demzufolge gar nicht statt. Vielleicht könnte man das mal bei der Betriebsprüfung durch das Finanzamt einführen.

Echte Kontrolle

Genau diese echte und effektive Kontrolle, mit jederzeitigem Zugriff auf die Daten der Dienste und alle verfügbaren Unterlagen, wäre aber mindestens erforderlich, wenn man meint, nun auch noch zusätzlich zur Polizei sämtliche Verfassungsschützer und die Dienste MAD und BND mit mächtigen Hackerwerkzeugen auszustatten. Man stelle sich einfach einmal das Unvorstellbare vor, dass sich Rechtsextremisten innerhalb der Dienste und der Polizei befänden – ach nee, sorry, das ist ja gar nicht mehr unvorstellbar, also vergessen sie den Gedanken –, die mit diesen Handwerkzeugen hantieren könnten.

Das ist rechtsstaatlich also alles ziemlich unerträglich.

Warum nun ausgerechnet die SPD gerade in diesem Punkt wieder einmal umkippt, statt sich wenigstens einmal, ein einziges Mal bitte, bitte als Hüter des Grundgesetzes zu zeigen, ist mir völlig unverständlich. Nun klopft die SPD sich zwar auf die Schulter, dass sie wenigstens die Onlinedurchsuchung abgewendet hat; aber erstens hat sie das nur in rechtlicher Hinsicht – tatsächlich ist die technisch mit der Platzierung des Trojaners möglich – und zweitens werden die Fans des Überwachungsstaats auch dieses Thema demnächst ohnehin wieder auf die Tagesordnung bringen. Warum die SPD nicht mal als Partei der Freiheitsrechte punkten möchte und stattdessen den Überwachungsstaatlern kampflos das Feld überlässt, ist mir unerklärlich. Bald sind Wahlen und ja, das merke ich mir.

Sollte es da auch noch tatsächlich einen von einigen Oppositionspolitikern vermuteten Deal dergestalt gegeben haben, dass der Innenminister nun endlich einer Rassismusstudie innerhalb der Polizeibehörden zustimmt, dann ist das ja grandios gescheitert. Denn wie der Innenminister bekanntgab, soll es nun neben einer allgemeinen Studie über Rassismus in der Gesellschaft nur eine zusätzliche Studie über Schwierigkeiten und Frust im Alltag der Sicherheitsbeamten geben. Die Rassismusstudie bei der Polizei wird es nicht demnach geben. Und selbst wenn es diese Studie dann tatsächlich gäbe, wäre sie ein viel zu kleiner Gewinn im Gegenzug zu dem weggeschenkten Verlust an Freiheitsrechten. Wenn ein Sprecher des Bundesjustizministeriums sagt, es handele sich insgesamt um eine „maßvolle Kompetenzerweiterung“ bei einer gleichzeitigen Stärkung der parlamentarischen Kontrolle, dann hat der offenbar den Knall nicht gehört. Eine Justizministerin, die sich einer solch massiven und eben maß- und kontrolllosen Ausweitung der Kompetenzen von Geheimdiensten nicht entschlossen entgegenstellt und diese von einem Sprecher kleinreden lässt, braucht niemand.

Hoffnung macht da allenfalls die Haltung der Opposition, ja sogar die der FDP.

Dass nun auch die Nachrichtendienste den Staatstrojaner einsetzen dürfen sollen, gleicht einem Ausverkauf der Bürgerrechte. Es überrascht sehr, dass Bundesjustizministerin Lambrecht als Verfassungsministerin diesen Schritt hin zum gläsernen Bürger als Ideal konservativer Sicherheitspolitik mitgeht,

sagte der FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae treffend.

Und auch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Ulrich Kelber, bewertet den Gesetzentwurf als massiven Eingriff in die Privatsphäreder Bürger.

Es besteht die Gefahr, dass das Ausmaß der staatlichen Überwachung in der praktischen Anwendung das für eine Demokratie erträgliche Maß übersteigt

Und da sollte dann auch, falls dieser Gesetzentwurf tatsächlich zum Gesetz werden sollte, erneut das Bundesverfassungsgericht angerufen werden, um Schlimmeres zu verhindern. Gegenüber der großen Koalition scheint das die einzige Möglichkeit zu sein, einen weiteren großen Schritt in den totalen Überwachungsstaat zu verhindern. Die SPD ist da leider ein Totalausfall. Schade eigentlich. Hier hätte sie sich mal profilieren können. Auch im Hinblick auf die Bundestagswahl im nächsten Jahr. Chance vertan.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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