Stoff, Stil & Form. Warum Scheuers „Winterbienen“ nicht zu den besten Werken des Autors zählt
Norbert Scheuers Winterbienen hat ganz gute Chancen, diesjähriger Träger des Deutschen Buchpreises zu werden. Im typischen Scheuer-Ton plätschert der Roman allerdings eher unverbindlich durch den Nationalsozialismus. Literatur-Kolumne von Sören Heim
Kann ein Tonfall sich abnutzen? Ich fand Norbert Scheuers Die Sprache der Vögel beinahe herausragend, und hatte entsprechend von Winterbienen wenigstens ein überdurchschnittliches Buch erwartet, das angesichts der schwachen Konkurrenz mit Recht Anspruch auf den Buchpreis anmelden könnte. Freilich: Da hatte ich schon wieder vergessen, wie hoffnungslos schematisch der Die Sprache der Vögel-Nachfolger Am Grund des Universums aufgetreten war. Nun, Winterbienen dürfte nach dem kaum nachvollziehbaren Aussortieren von Konkurrenten wie Nora Bossongs Schutzzone und Katerina Poladjans Hier sind Löwen tatsächlich zu den Favoriten zählen. Wirklich für den Preis spricht das aber nicht.
Winterbienen liest sich wieder etwas unverkrampfter als Am Grund des Universums, weil es nicht ganz so hermetisch gestrickt ist, was mit dem Scheuer-Ton so gar nicht harmoniert. Und Winterbienen hat vor allem diesen typischen Scheuer-Ton. Dieses leicht schwebende, freie assoziative, dieses angenehme Dahinfließen mit ein paar verstreuten Bitterkeiten. Und da weiterhin gilt, dass die Zumutung, ein Autor habe einen unverwechselbaren Stil zu finden, nichts ist als kaum verhüllter Vermarktungszwang (was seinen Stil, besser, seine Form, zu finden hat, ist jeweils der Stoff eines Werkes), und Scheuer hier ein Buch über einen Widerständler mit Epilepsie in der Endphase des Nationalsozialismus vorlegt, kann auch das einfach nicht passen. Nein, ein Ton nutzt sich nicht einfach ab, wenn man als Autor ein klar abgestecktes Feld von Gegenständen beackert. Aber ein Ton kann mit dem Material kollidieren, und das tut er hier.
Ja, der neue Scheuer hat alles, was von einem modernen Roman über den Nationalsozialismus erwartet wird.
– Einen Protagonisten im Widerstand, aber nicht so widerständig, dass es heroisch erscheinen würde. Die Organisation, für die er in Bienenstöcken Flüchtlinge über die Grenze bringt, kennt er nicht. Das erspart dem Leser dann auch die Erinnerung daran, dass es vor allem Kommunisten und Sozialdemokraten waren, die nach ’39 noch erfolgreiche geheime Operationen in Deutschland durchführten.
– Ein Umfeld, das größtenteils schuldig wird. Ein Apotheker, der die Zwangslage des Protagonisten ausnutzt, eine Geliebte, die sich abwendet, als sie von der Epilepsie erfährt. Ein Bruder, der als Pilot Heldentaten vollbringt, aber überzeugt ist, mit dem NS selbst nichts zu schaffen zu haben. Und letztlich auch einen Protagonisten als Kriegsgewinnler. Denn der schläft mit allen Frauen im Dorf, deren Männer an der Front sind.
– Eine nette Metaphorik, die zumindest nahelegt, Besserdeutsche wie den Protagonisten mit Winterbienen vergleichen, die die kalte Jahreszeit überbrücken und im Frühjahr nach einer neuen Königin zu suchen.
Anders als frühere Konsens-Bücher, wenn es um den NS geht, verschweigen zeitgenössische die Mitschuld der „kleinen Leute“ nicht mehr, sie geben genau den Konsens wieder, wie man heute über den Nationalsozialismus zu denken hat, aber auch keinen Meter mehr. Im typischen Scheuer-Ton hat Norbert Scheuer so ein nettes, geruhsames Buch über den Nationalsozialismus geschrieben. Wirkliche Spannungsmomente gibt es kaum, selbst die Flüchtlings-Rettungsaktionen plätschern nur so dahin. Ein paarmal droht Entdeckung, aber so richtig spürbar gemacht wird es weder in der Entwicklung der Handlung, noch in den möglichen Konsequenzen.
Und ein nur nettes, ein geruhsames Buch über den Nationalsozialismus ist einfach kein gutes Buch. Kann kein gutes Buch sein. Deutschlands Dichterschaft mag sich noch immer beleidigt fühlen durch das sogenannte „Diktum Adornos“, nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, sei barbarisch. Doch auch, wenn niemand, Adorno eingeschlossen, geglaubt haben dürfte, alle Dichter der Welt würden ab sofort einhellig die Fresse halten, der tiefere Sinn dahinter ist das Drängen auf eine sehr genaue Reflexion des Schreibens, und wenn schon nicht stets nach Auschwitz, dann bitte doch wenigstens über Auschwitz. Welch ein Grübeln über die angemessene Form, über jedes einzelne Wort, wird etwa in den entsprechenden Gedichten Celans oder in den Romanen Kertesz‘ deutlich. Hier dagegen: Ein klassisches Tagebuch, so wie man das heute eben macht, von einer alten Geschichte hier und da unterbrochen, deren Bedeutung für den Roman zumindest als zweifelhaft gelten darf. Und der gleiche Scheuer-Ton eben, der auch schon Die Sprache der Vögel und Am Grund des Universums ausmachte.
Nein. Das wird dem Gegenstand nicht gerecht. Man kann sich tatsächlich entscheiden, nicht über den Nationalsozialismus zu schreiben. Denn so nett, so geruhsam – das ist dem Thema einfach nicht angemessen.
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