Halbpessimistische Prognose zur Lösung der Klimakrise.

„Kernkraft geht immer“, befürchtet Kolumnist Sören Heim und gibt eine Prognose ab zur „Kleinen Lösung des Klimaproblems“.


Ich weise darauf hin, dass das hier nicht m e i n e Hoffnungen ausdrückt, sondern eine Prognose darstellt. Das bitte ich zu beachten, ehe sich wer zu einem wütenden Kommentar bemüßigt fühlt.

Ich glaube nicht wirklich an eine große Lösung der Klimakrise. Dazu wäre eine globale Koordination der Bemühungen unglaublichen Ausmaßes nötig, und da brüllen ja schon jetzt, wo es um Kleinigkeiten geht, die Marktfundamentalisten, bis hinein übrigens in die grüne Partei: „Planwirtschaft! Weiß doch jeder, wohin das wieder führt! Soll die halbe Welt verrecken, eh wir mal nen Plan machen!“

Wirtschaftsplanung ist nicht „Planwirtschaft“

Nur nebenbei soll bemerkt werden, dass Koordination/Abstecken der Rahmenbedingungen und allumfassende Planwirtschaft natürlich NICHT das gleiche sind. Ein allgegenwärtiges Regelsystem etwa, das zwar einen weitreichenden Eingriff in persönliche Freiheit darstellt, auf das sich aber trotzdem fast alle einigen können (auch, weil sie sich eben daran gewöhnt haben) sind die Verkehrsregeln. Auch Unternehmen, manche davon so groß wie mittelgroße Staaten, lassen innerhalb des Unternehmens selbstverständlich nicht den freien Kampf der Individuen wirken. Und das sogenannte „Mutterland des Kapitalismus“, die Vereinigten Staaten, planten die kriegswichtigen Industrien im Angesicht der Bedrohung durch den Nationalsozialismus durchaus erfolgreich. Nach strengen Regeln, die Chancengleichheit sicherstellen, und zugleich höchst kompetitiv funktioniert auch der brutalste Rasenschach-Verband der Welt, die National Football League, die dadurch niemals so vorhersehbar wird, wie die europäischen Fußball-Ligen. Mehr Wettbewerb durch Plan! Zuletzt ist das gemeinsame Planen im Angesicht von Naturzwängen etwas, was menschliche Zivilisationen überhaupt erst hervorgebrachte und überdauern ließ. Mit Planwirtschaft im Sinne des real existierenden Sozialismus hat das nichts zu tun. Eine Stadt am Fluss etwa lässt nicht den einzelnen Bürger „sein“ Stück Deich nach Gutdünken bauen und in Stand halten (Lektüreempfehlung: Der Schimmelreiter). Eine Touristenstadt wird versuchen, auf ein harmonisches Erscheinungsbild zu achten, und dafür Regeln entwickeln (egal, wer dort regiert). Und einen Bebauungsplan hat gar jede deutsche Gemeinde.

Im besten Falle Patchwork-Lösungen

Aber wie gesagt, was für eine große vernünftige Lösung der Klimakrise notwendig wäre, wird nicht geschehen. Es kehrt ja eher der Nationalismus zurück, Staaten nabeln sich ab, eine ernsthafte internationale Koordination in den relevanten Fragen scheint nicht in Sicht.
Vielleicht wird dennoch alles nicht ganz so schlimm, wie es Horrorszenarien im Moment ausmalen. Man wird sich wahrscheinlich irgendwann demnächst zumindest zu ernsthafteren Patchwork-Lösungen aufraffen. Und ich rechne damit, dass nach einer kurzen Schockperiode der Westen noch einmal massiv damit beginnen wird, die Kernkraft auszubauen. Das klingt nach einer schlechten Idee, und ich halte hier sicher kein Plädoyer für die Kernkraft. Aber in den vergangenen Jahren sind etwa so unglaublich viel mehr Menschen an den direkten und indirekten Folgen der Kohlekraft verstorben, als an allen Einsätzen von Kernkraft außerhalb von Atombombenabwürfen. Und wenn man bedenkt, wie viele Millionen, vielleicht Milliarden Opfer der Klimawandel und all die politischen Verwerfungen, die er nach sich ziehen wird, noch bringen dürfte, scheint das ein realistischer Weg. Die Endlagerfrage dürfte dann erstmal nur noch für eine kleine Minderheit dringend sein, und für die „irgendjemand wird schon was erfinden“-Fraktion stellt sich der Vorteil ein, dass Kernkraft eine gewohnte Technologie ist, und zudem eine „hart“ konnotierte (dass die unglaublich heftigen Aversionen gegen Solar- & und Windkraft auch etwas damit zu tun haben dürften, dass diese als „weich“ gelesen werden, sollte man nicht außer Acht lassen).

Flankiert werden könnte das mittelfristig mit weit reichenden Aufforstungsprogrammen, einem weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien und vielleicht kommt ja noch eine wirkungsvolle künstliche CO2 Filtertechnologien um die Ecke. All das wäre kein großer Wurf, es ist nicht der von mir favorisierte Weg, aber es scheint mir derzeit das noch wahrscheinlichste Szenario, bei dem es nicht zum totalen Kollaps kommt. Die Wahrscheinlichkeit steigt noch dadurch, dass das in etwa der Weg zu sein scheint, den China bereits eingeschlagen hat.

Auch dieser Weg wird

internationale Wirtschaftsplanung brauchen

Natürlich gibt es einen makaberen Witz bei der Sache: Auch auf diesem Weg wird viel volkswirtschaftliche Planung nötig sein, werden Subventionen fließen ohne Ende, stünde also bei Licht betrachtet das Gespenst des Sozialismus ebenso vor der Tür (bzw., siehe oben, eben nicht) wie auf dem ökologischen „Königsweg“. Aber das wird kaum wen stören, zumindest an den relevanten Stellen. Weil die alten Profiteure der bürgerlichen Klasse hier ihre althergebrachten Interessen bedienen können. Denn wir wissen auch: Enteignung war für schwarz-gelb zB noch nie ein Problem, wenn es darum ging, Autobahnen zu bauen, oder nach Kohle zu graben. Mit wirtschaftlicher Planung ist es nicht anders, daran sollte eigentlich schon das „erste“ Atomkraftzeitalter keinen Zweifel gelassen haben.

Das ist nun nicht mehr als eine grobe Skizze, und der Aufstieg des Rechtsradikalismus in immer mehr Regierungen lässt es durchaus zweifelhaft erscheinen, ob man sich „weltinnenpolitisch“ auch nur so weit zusammenraufen kann, zumindest das Nötigste zu tun, damit das  „b e s t e   W o r s t – C a s e   S z e n a r i o“  verwirklicht werden kann. Auf der anderen Seite sind Menschen, ist eine Bedrohung erst erkannt, zu überraschend weitreichenden Verhaltensänderungen fähig. Bis der Klimawandel als Bedrohung aber tatsächlich weit genug in die Gesellschaft vorgedrungen ist, dass er die kurzfristigen und langfristigen Handlungen (und nicht nur die Rede) bestimmen wird, dürfte es zu spät sein, um den „Königsweg“ zu beschreiten. Es ist nun mal eine recht abstrakte Bedrohung, die sich zudem gerade in den reichsten Staaten vorerst noch durch wenig angsteinflößendes „schönes Wetter“ manifestiert. Aber irgendwann, in nicht mehr so ferner Zukunft, wird gehandelt werden. Für die große Lösung dürfte es dann wie gesagt zu spät sein. Aber Kernkraft, so mein Verdacht: Kernkraft geht immer.

Sören Heim

Sören Heim ist Journalist, Übersetzer und Schriftsteller. Er ist Träger des kosovarischen Preises für moderne Dichtung „Pena e Anton Pashkut“ (Stift des Anton Pashku) und des Sonderpreises „Favorit von Daniel Glattauer“ der art.experience 2014. In HeimSpiel schreibt Sören Heim mit Heimvorteil zu den Schnittpunkten von Kunst, Kultur und Gesellschaftspolitik. Er beleuchtet die unerwartete Bedeutung ästhetischer Fragestellungen für zeitgenössische Debatten, die mit Kunst auf den ersten Blick kaum Berührungspunkte haben. Und wo immer, sei es in der Politik, sei es in der Ökonomie, sei es gar im Sport, er auf geballten Unsinn und Unverstand trifft, wagt der Kolumnist auch das ein oder andere Auswärtsspiel. Bisher erschien die Kolumne HeimSpiel im Online-Debattenmagazin The European. Daneben veröffentlicht Heim in mehreren Literaturzeitschriften vornehmlich Lyrik und dichte Kurzprosa, und bloggt auf der eigenen Homepage aus seinem Zettelkasten. Monographien: Kleinstadtminiaturen: Ein Roman in 24 Bildern. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154181.Cover nur Front Gewogene Worte: Nachdichtungen aus dem Chinesischen. edition maya: 2016 – ISBN: 978-3930758463.cover kathaStrophen. Experimente in Rhythmus und Melodie. Chiliverlag: 2017 -ISBN: 978-3943292541.FrontCover 2_bleu Algenhumor: Gedichte für das dritte Jahrtausend. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154228.algen Audio-Exklusiv: La vie! La jeunesse! – Hörmordkartell 2017

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