G20 und die Polizeivermerke
Laut Auskunft des Landgerichts Hamburg wird ein Prozess gegen fünf Angeklagte wegen der G20-Krawalle länger dauern, als ursprünglich geplant. Als Grund wurde mitgeteilt, dass auf das „geschriebene Wort“ der polizeilichen Ermittlungen „wenig Verlass“ sei. Ein Einzelfall? Leider nein.
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„Das habe ich nicht gesagt.“ „Das ist doch Quatsch.“ Das sind Aussagen, die jeder Strafverteidiger schon einmal gehört hat, wenn er seinem Mandanten das polizeiliche Protokoll seiner Aussage vorliest. Das gilt für Vernehmungsprotokolle ebenso, wie für sogenannten Vermerke, die von Polizisten über Gespräche mit Auskunftspersonen aller Art oder sonstige Vorgänge verfasst werden.
Die Vernehmungsprotokolle beginnen zwar grundsätzlich mit einer fett vorgedruckten Belehrung, die dem Betroffenen, sei er Zeuge oder Beschuldigter klar und deutlich zu erteilen ist, aber nicht selten wird das schon mal vergessen. Kann ja alles passieren. Muss ja keine Absicht sein. Und da Vernehmungen auch heute, in einer Zeit, in der jeder Depp alles um sich herum mit seinem smartphone filmt, immer noch schriftlich erfasst werden, ist das was der Betroffene am Ende seiner Vernehmung so unterschreibt, eigentlich nie das, was er zuvor gesagt hat, sondern das, was der Vernehmungsbeamte aufgeschrieben hat.
Wenn es schon ein schriftliches Protokoll geben muss, warum wird die Aussage nicht einfach mittels einer guten Diktiersoftware verschriftlicht, sondern muss erst durch den Kopf eines Polizisten laufen? Hab ich nie verstanden, werde ich auch nicht verstehen.
Dazu ein Fall aus meiner Praxis:
In einem Schwurgerichtsprozess ging es um die Frage, ob der des Mordes Beschuldigte bei seiner ersten Vernehmung ordnungsgemäß über seine Rechte belehrt worden war. Das war aus drei Gründen zweifelhaft. Zum einen war die Belehrung im Vernehmungsprotokoll nicht unterschrieben, zum anderen sprach der Beschuldigte kein Wort Deutsch und außerdem war er bei ser Vernehmung hackedicht. Der Vernehmungsbeamte konnte sich nicht mehr so richtig erinnern, hatte aber die Eier, das auch auszusagen. Alleine das ist eher selten. Also musste die Dolmetscherin vernommen werden.
Ja, natürlich habe sie den Beschuldigten belehrt, meinte diese. Dass es nicht Aufgabe der Dolmetscherin ist, Beschuldigte zu belehren, sondern nur das Wort für Wort zu übersetzen, was der Beamte und der Beschuldigte sagen, störte bei der Vernehmung offenbar weder sie noch den Beamten. Das machen wir immer so, sagte sie. Wer weiß es schon. Der richtige Hammer kam aber, als die Dolmetscherin die Frage beantwortete, wie sie den Beschuldigten denn belehrt habe. Wie immer, meinte sie, „ich habe ihm gesagt, dass er hier die Wahrheit sagen muss!“.
Das mag ja in dem fernen Land, aus dem die Dolmetscherin stammt, vielleicht richtig sein, in Deutschland geht es allerdings kaum falscher. Immerhin fehlte der Zusatz, dass er sonst gefoltert würde.
Aktuell habe ich ein Verfahren, in dem zwei Polizeibeamten laut Vermekr mit einem Beschuldigten in dessen Wohnung gesprochen haben wollen. Obwohl der gar nicht zuhause war. Später gaben sie dann an, sie hätte mit ihm nur telefoniert und ihn „ganz bestimmt“ auch belehrt, wüssten allerdings nicht mehr, wer von ihnen mit dem telefoniert hatte.
Kein Video
Wäre die gesamte Vernehmung auf Video aufgezeichnet oder wenigstens wie oben vorgeschlagen – mittels Diktiersoftware verschriftlicht worden, so wären solche Klopse leicht aufklärbar. Ist aber halt nicht so.
Nun muss der Vernommene ja nach Abschluss seiner Vernehmung das Protokoll unterzeichnen und hat die Möglichkeit, Fehler zu monieren oder auch ganze Sätze zu streichen. Aber normalerweise ist das halt so, dass die Personen recht aufgeregt sind und kaum die Ruhe haben, sich das alles noch einmal durchzulesen. Manh einer kann auch gar nicht lesen, gibt das aber ungern zu. Und da wird dann gerne auch einmal blind unterschrieben. Spielt eine weitere Fehlerquelle in Person eines Dolmetschers eine Rolle, muss dieser das ganze Protokoll erst einmal rückübersetzen. Da es derselbe ist, der zuvor von der Fremdsprache ins Deutsche übersetzt hat, fallen Übersetzungsfehler erst gar nicht auf. Wie praktisch.
Kein Ton
Einer verschriftlichen Aussage sieht man auch gar nicht an, in welchem Ton die Vernehmung ablief. Ob da – undokumentiert – gedroht oder Versprechungen gemacht wurden oder ob der Vernommen vielleicht benommen war, betrunken oder unter Drogeneinfluss, solange niemand eine Blutprobe abnimmt, bleibt das für immer im Dunkeln.
Auch die Sprache der Protokolle ist nicht die Sprache der vernommenen Menschen, sondern das was der Vernehmungsbeamte daraus macht. Ich wollte mich schon mal bei „Wetten Dass!“ anmelden, mit der Wette, dass ich den Vernehmungsbeamten anhand eines Ausschnitts eines Vernehmungsprotokolls – und zwar nicht des Teils, auf dem sein Name steht – erkennen könne. Beim Einen sind es immer dieselben Wendungen, beim Anderen immer dieselben Rechtschreibfehler.
Der Filter
Das hat nun nichts mit dem Vorwurf einer bewussten Verfälschung des Protokollinhaltes zu tun, die mag es auch geben. Die Filterung einer Aussage ist eher auf psychologische Grundbedingungen der Vernehmungssituation zurückzuführen. In einer Studie von Rasch/Hinz zum Einfluss der gesetzlichen Mordmerkmale auf kriminalpolizeiliche Erstvernehmungen bei Tötungsdelikten (Rasch W, Hinz S (1980) Der Einfluß der gesetzlichen Mordmerkmale auf kriminalpolizeiliche Erstvernehmungen bei Tötungsdelikten. Kriminalistik 34: 377–382) wurde festgestellt, dass bei vernehmenden Beamten eine Tendenz besteht, eine möglichst „abgerundeten“ Sachverhalt herauszuarbeiten. Das Bemühen des Vernehmenden ist darauf gerichtet, die ihm wichtig erscheinenden Aspekte der Vernehmung in das Protokoll aufzunehmen. Man könnte sagen, der Vernehmende füllt eine leere Textmaske, die ihm der gesetzliche Straftatbestand vorgibt. Mit der tatsächlichen Aussage des Zeugen oder Beschuldigten hat das dann nur ganz grob zu tun. Mit gezielten Fragen, kann man das auch unbewusst in eine bestimmte Richtung streuern, Letztlich sieht eine Aussage zwar so aus, wie eine Aussage, tatsächlich ist es aber bereits eine durch den Kopf des Beamten gefilterte Interpretation einer Aussage. Der Beamte will eine brauchbare Vernehmung abliefern, könnte man abgekürzt sagen.
Mehr Zeugen
Dass nun die Strafkammer in Hamburg ankündigt, deutlich mehr Zeugen als ursprünglich geplant, zu vernehmen, ist völlig richtig und notwendig. Gar nicht so selten sind Gerichte aus Beschleunigungsgründen geneigt, die von der Polizei zusammengeschrieben Ermittlungsergebnisse allzu unkritisch als zutreffend anzunehmen, statt – wie das die Strafprozessordnung ausdrücklich vorsieht – jeden Zeugen in der Hauptverhandlung zu vernehmen.
§ 250 StPO Grundsatz der persönlichen Vernehmung
1Beruht der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person, so ist diese in der Hauptverhandlung zu vernehmen. 2Die Vernehmung darf nicht durch Verlesung des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer Erklärung ersetzt werden.
Der Kinderglaube, dass die Polizei immer und stets bereit sei, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu dokumentieren und später auch als Zeuge nur aus der Erinnerung vorzutragen, ist reichlich naiv. Genauso wie die häufig gestellte Frage, warum der Polizist als Zeuge denn lügen solle. Nun, ich pflege dann immer zu sagen, aus den gleichen Gründen, aus denen auch andere Zeugen die Unwahrheit sagen oder die Wahrheit verschweigen. Das Amt oder die Uniform ändert doch nichts daran, dass auch Polizeibeamte ganz normale Menschen sind. Und ganz normale Menschen verschweigen nun einmal ganz gerne Dinge, die sie in einem schlechten Licht dastehen lassen. Sie verschweigen auch besonders gerne, wenn sie so richtig Scheiße gebaut oder sich gar strafbar gemacht haben. Da sind Polizisten keine Ausnahme. Ganz im Gegenteil, häufig haben dann auch Kollegen ganz akute Anfälle von Amnesie und können sich nicht mehr erinnern.
Alles Quatsch?
Im aktuellen G20-Prozess sollen nun nach NDR-Recherchen Zeugen bei ihrer Vernehmung während der nicht öffentlichen Hauptverhandlung Aussagen, die die Polizei in deren Namen in der Ermittlungsakte vermerkt hatte, entschieden bestritten haben. Zeugen sollen Polizeivermerke gar als „Quatsch“ bezeichnet und beteuert haben, sie hätten solche Aussagen nie gemacht. Das kann so sein, muss aber nicht so sein. Wer da letztlich die Wahrheit sagt, muss das Gericht anhand der eigenen Vernehmung der Beteiligten feststellen, ohne der Gruppe der polizeilichen Zeugen einen Vertrauensvorschuss zubilligen zu müssen.
Nach der Vernehmung des Ermittlungsführers der Polizei ist die Kammer zu dem Schluss gekommen, dass auf dessen Abschlussbericht „nur wenig gestützt werden kann“, nachdem der Beamte in seiner Vernehmung selbst angebliche Ermittlungsergebnisse als „Arbeitshypothesen“ bezeichnet hatte. Immerhin scheint das eine wahrheitsgemäße Aussage zu sein, die den Ermittlungsführer ehrt.
Tja, diese Abschlussberichte der Polizei sind häufig ein Quell der Freude für Strafverteidiger. Nach Abschluss der Ermittlungen durch die Polizei legt die dann die aus ihrer Sicht vollständigen Akten, mit einer Formblattanzeige und einen zusammenfassenden Ermittlungsbericht der Staatsanwaltschaft vor. Da kommt es schon einmal vor, dass Aussagen nicht oder nicht richtig wiedergegeben oder falsch interpretiert werden – oder der Autor das ganze Ermittlungsergebnis in eine bestimmte Richtung schiebt. Letztlich ist das nicht mehr als seine persönliche Bewertung des Ermittlungen, also keineswegs irgendetwas objektives.
Und gerade in einem Verfahren, in dem nur noch vereinzelte Publizisten/-innen meinten, von „angeblichem Fehlverhalten der Polizei“ schreiben zu müssen, läge doch glasklar alle Schuld bei der bösen Antifa und die per se guten Polizisten hätten allenfalls einen kleinen Anteil, mag es schon fast zu viel verlangt sein, zu erwarten, dass ausgerechnet der Ermittlungsführer der Polizei sich all zu sehr von den tatsächlich ermittelten Fakten von seinen schönen Arbeitshypothesen abbringen lässt. Wie gesagt, gut dass er sie in seiner Aussage vor Gericht dann wenigstens als Arbeitshypothesen bezeichnet und nicht zu Fakten erklärt hat.
Deutliche Kritik
Wie dem auch sei. Das Gericht unter Leitung der bereits als kritisch bekannten Vorsitzenden Anne Meier-Göring hat nun deutliche Kritik geäußert und wird sich der Sache mit der notwendigen Akribie annehmen. Ich habe auch schon Vorsitzende erlebt, die wesentlich großzügiger mit der Polizei umgingen und dies auch noch damit begründeten, sie müssten „ihre“ Polizisten schützen. Nein, das müssen sie nicht, das sind auch nur Zeugen im Verfahren. Die Gerichte müssen vielmehr die Unschuldsvermutung der Angeklagten schützen und die von der Polizei und der Staatsanwaltschaft vorgelegten Ermittlungsergebnisses gründlich und kritisch überprüfen und dann am Ende für ihr Urteil würdigen.
Nun wirft die Kammer der Polizei (noch) nicht vor, den Akteninhalt gefälscht zu haben – wobei man sich natürlich schon fragen kann, warum da Aussagen dokumentiert sein sollen, die angeblich nicht so gemacht worden sein sollen – sondern lediglich, die Sachverhalte seien „nicht erschöpfend genug“ dokumentiert worden. Schlimm genug. Da könnte also etwas fehlen, womöglich gar etwas entscheidendes. Und genau um derartige Lücken aufzuklären und die Schuld oder Unschuld von Angeklagten aufzuklären gibt es Strafprozesse. Und wie ein Richter vor Jahren einmal einem ungeduldigen Mandanten sagte:
Prozess kommt vom lateinischen procedere, das bedeutet vorwärtsgehen, voranschreiten und nicht sprinten.
So ist das.
Es ist zwar nicht die Hauptaufgabe dieses Verfahrens, ein Fehlverhalten der Polizei festzustellen, man darf aber sicher sein, dass diese Kammer kein Blatt vor den Mund nehmen wird, wenn sie entsprechendes Fehlverhalten feststellen sollte.
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