Vahlefeld und der (Un-)Wille zur Macht
Mit seinem zweiten Buch „Macht hoch die Tür“ über die Kanzlerschaft Angela Merkels avanciert Markus Vahlefeld zu einer stilprägenden Gestalt des politischen Selbstverlags. Gastbeitrag von Philipp Mauch
Gegen eine post-nationale One-World-Ideologie
In den großen Debatten der Gegenwart kommt System- und Gesellschaftskritik zunehmend von Rechts. Linke Intellektualität findet sich dadurch oftmals in der ungewohnten Rolle wieder, den Status Quo und amtierende Machthaber verteidigen zu müssen. Jedenfalls gilt diese Beobachtung, wenn man die Kanzlerschaft Angela Merkels als Maßstab nimmt. Markus Vahlefeld will hier eine Distanzlosigkeit zwischen Medien, Intellektualität und Politik ausgemacht haben. Bei seiner Diagnose legt er allerdings Wert darauf, sich mit keiner Seite gemein zu machen, auch nicht mit der gegen den „Mainstream“ mobilisierenden, so genannten „Neuen Rechten“. Das macht sich bei der Lektüre vor allem dadurch bemerkbar, dass Vahlefelds Ausführungen über das „System Merkel und die Spaltung Deutschlands“ auf eine systematische Analyse abzielen und somit ohne die üblichen Fixierungen auf die Person der Kanzlerin auskommen.
Das Erkenntnisinteresse des Autors wird vielmehr von der Frage geleitet, ob sich der Zeitgeist einer „post-nationalen One-World-Ideologie“ überhaupt noch in ein reflektiertes Verhältnis zu sich selbst setzen kann. Bei genauem Hinsehen geht es dabei nur vordergründig um politisches Tagesgeschehen, gleichwohl steht die Migration wie schon in seinem ersten Buch „Mal eben kurz die Welt retten“ im Vordergrund. Unter dieser Oberfläche erhebt er aber den viel tiefer gehenden Vorwurf eines in der deutschen Staatsräson grassierenden Relativismus.
System schlägt Verantwortung?
Gleich zu Anfang unter der Überschrift „Keine Mitte nirgendwo“ wird nachgezeichnet, wie ein religiös verklärter Globalismus die demokratische Legitimation eines jeden souveränen Nationalstaates gefährden könne. Den entsprechenden zentralen Gedanken findet der Leser im Kapitel „Funktion schlägt Verantwortung“ als Pointe formuliert, die sich in bestechender Zielstrebigkeit aus den vorangegangenen Ausführungen über die „Hypermoral“ und den „Dämon der Postmoderne“ ergibt. In Anlehnung an den Verfassungsrechtler Böckenförde begreift Vahlefeld Demokratie im Kern als einen Ort, an dem fundamentale Zielkonflikte wie den zwischen der moralischen Substanz eines Staates und seiner Freiheitlichkeit immer wieder aufs Neue verhandelt werden müssen. Eine „systemische Funktionsdemokratie“, die dagegen ausschließlich auf Effizienz von Machterhalt und Machtausübung angelegt ist, untergräbt diese für den Pluralismus konstitutive Ambiguität. Die schiere „Ablauforganisation“ verschluckt geradezu alle inhaltlichen Differenzen, kenntliche Positionen sowie auch die an sie gebundene persönliche Verantwortung.
„Ein System, das Debatten aus dem Weg gehen muss, um den inneren Frieden nicht aufs Spiel zu setzen, das statt Inhalte nur Beziehungen zu reflektieren vermag, haben wir uns angewöhnt, „liberale Demokratie“ zu nennen.“
Markus Vahlefeld
Die hierhin führende Rekonstruktion ist nicht immer vollends ausdifferenziert oder darum bemüht, alle Sichtweisen sorgsam abzuwägen. Vahlefelds Stil befindet sich auf der Suche nach dem Muster im Diffusen. Er nimmt sich einige philosophische Freiheiten heraus. Das macht ihn und sein kritisches Projekt auch angreifbar. So lässt etwa seine überaus optimistische Haltung gegenüber der politischen Kultur der USA die Frage offen, ob nicht die amerikanische Gesellschaft noch viel gespaltener sei als diejenige Deutschlands. Ebenso wird die durchaus komplizierte Rechtslage an der hiesigen Landesgrenze stark vereinfacht, oder zumindest nicht gerade in allen möglichen juristischen Facetten dargestellt. Trotzdem arbeitet sich Vahlefeld in überzeugender, durchaus fesselnder und – das ist sein Stil – fast schon dramatisch anmutender Weise von Gedanken zu Gedanken, von Bild zu Bild auf den Grund vor.
Kritik des postmodernen Relativismus
Schließlich führt der Bogen wieder zum „System Merkel“. Vahlefeld will zeigen, wie die Regierungschefin in eine opake Sphäre der funktionsdemokratischen Unantastbarkeit – genannt „Feuerring“ – entrückt sei. Dazu wird der Asylstreit des Frühsommers 2018 in seinen wesentlichen Etappen dokumentiert, angefangen bei der Ermordung von Susanna F., über die Reaktion des Innenministers Seehofer mit dem „Masterplan Migration“ und den Zurückweisungen bis hin zum misslungenen Versuch der Kanzlerin, stattdessen eine europäische Lösung auf dem entsprechenden Ratsgipfel in Brüssel herbeizuführen. Auch bei möglichst wertfreier Betrachtung muss man sich mit dem Autor die Augen reiben, wie genial es Medienstrategen im Bundeskanzleramt vermochten, ihre Chefin vergleichsweise unbeschadet durch diese Krise zu manövrieren. Und dennoch bleibt festzuhalten, dass Angela Merkel mit ihrem Rücktritt das Buch gewissermaßen überholt hat. Das straft niemanden Lügen, aber zeigt doch, dass solche Feuerringe jedenfalls nicht ewig halten und die Demokratie der Bundesrepublik eben doch noch ziemlich lebendig ist.
Seine ums Grundsätzliche bemühten Betrachtungen lassen Vahlefeld aus der langen Reihe der typischen Merkel-Kritiker herausfallen. Müsste man ihn einordnen, wäre er wohl eher ein Chronist, Analytiker und auch Skeptiker der Macht – vom „alten Schlage“ wie man fast sagen möchte, zu dem etwa auch ein ebenda ausführlich zitierter Wolfang Streeck gehört. Denn mit „Macht hoch die Tür“ werden nicht weniger als die Grundzüge einer Kritik des kulturell dominierenden, an sich unpolitischen, postmodernen Relativismus vorgelegt. Manch ein Vertreter aus dem akademischen Betrieb mag über solch forschen Dilettantismus, der sich mit einer Handvoll Literaturangaben begnügt, die Nase rümpfen. Aber wer es mit einer so komplexen Materie – wohlgemerkt im Eigenverlag – zum Amazon-Bestseller schafft, macht vieles richtig und erweist somit nicht zuletzt der Philosophie selbst und ihrer Wirkmächtigkeit im demokratischen Pluralismus die Ehre.
Schreibe einen Kommentar