Evo will Meer

Boliviens Präsident Evo Morales beansprucht von Chile einen Küstenstreifen, den sein Land vor rund 135 Jahren im Salpeterkrieg verloren hat. Um diesen vorgeblichen Anspruch durchzusetzen, ist er vor den Internationalen Gerichtshof gezogen. Die Richter in Den Haag wiesen den Linksnationalisten in die Schranken. Der will den Konflikt aber am köcheln halten, auch um sich seine Wiederwahl zu sichern. Ein gefährliches Spiel.


Wenn derzeit über Populismus in Südamerika gesprochen wird, dann meistens über die Linkspopulisten in Venezuela, die das einstmals reichste Land des Subkontinents binnen zweier Dekaden zum Armenhaus herunter gewirtschaftet haben. In Mode gekommen ist neuerdings auch der Rechtspopulist Jair Bolsonaro, der kürzlich die erste Runde der brasilianischen Präsidentschaftswahl gewonnen hat und sich in der Vergangenheit gelegentlich wohlwollend über die Militärdiktatur von 1964 und 1985 äußerte. Etwas unter dem Radar der Weltpresse segelt derzeit Boliviens Präsident Evo Morales, obwohl der in seinem Land stark in die Kritik geraten ist und deshalb versucht, mit einem außenpolitischen Hasardspiel zu punkten. Der Spielfilm „Wag the dog“ lässt grüßen.

Warum ist der einst so scheinbar erfolgreiche Linksnationalist inzwischen umstritten? Zum einem will sich der frühere Kokabauer entgegen einem gescheiterten Referendum, das die erneute Wiederwahl des seit 2006 regierenden Morales möglich machen sollte, im nächsten Jahr wieder als Staatschef zur Wahl stellen. Auf Kritik im In- und Ausland stieß der Sozialist auch, als er im August seinen neuen Regierungspalast einweihte. 34,4 Millionen US-Dollar – umgerechnet 29,8 Millionen Euro – soll der Bau verschlungen haben. Eine, für das arme Bolivien nicht gerade bescheidene Summe. Hinzu kommt, dass der „Großes Haus des Volkes“ genannte Palast, architektonisch nicht in die historische Altstadt von La Paz passt. „Spiegel-Online“, nicht gerade ein rechtskonservatives Kampfblatt der Konterrevolution, nannte das 120 Meter hohe Bauwerk einen „Protzturm“. Was angesichts eines Präsidentenbereichs, der mit einer Sauna, einem Jacuzzi und einem Fitnesscenter ausgestattet sein soll, wohl keine ganz falsche Einordnung ist. Für Ärger im Land sorgen außerdem diverse ökologisch umstrittene Infrastrukturprojekte so wie immer wieder laut werdende Korruptionsvorwürfe gegen Vertreter der Regierungspartei.

Wegen Protzpalast in der Kritik

Dass man, einmal derart unter Druck geraten, versucht, das Spielfeld zu wechseln, ist eine gängige Taktik der Krisenkommunikation. Schon ganz andere Politiker haben mit dieser Strategie Erfolg gehabt. Unter anderem die hiesigen Kanzlerin, der US-Präsident und sogar Papst Franziskus. Morales spielt dabei aber ein ganz gefährliches – nationalistisches – Spiel, denn er will mehr und zwar: Meer. Konkret geht es um einen Küstenabschnitt, den Bolivien 1883 (! – damals regierte in Deutschland noch Kaiser Wilhelm – und zwar der Erste, nicht der Zweite) nach einer Niederlage im Salpeterkrieg an den Nachbarn Chile abtreten musste. Bis vor den Internationale Gerichtshof in Den Haag ist der streitbare Staatschef in seinem Kampf ums Meer gezogen. Anfang Oktober entschieden die Richter in den Niederlanden dann aber zu Gunsten der Chilenen. Chile sei rechtlich nicht verpflichtet, Verhandlungen mit Bolivien über einen Zugang zum Pazifik zu führen, sagte Richter Abdulqawi Ahmed Yusuf. Morales will nicht klein beigeben, sondern jetzt außerhalb der gerichtlichen Instanzen Verhandlungsdruck auf Chile aufbauen.

Niederlage vor Internationalem Gerichtshof

Treffender als Morales`chilenischer Amtskollege Sebastian Pinera hätte man das Urteil dagegen kaum kommentieren können: „Heute ist ein großer Tag für Chile, aber auch für das internationale Recht und das gesunde und friedliche Zusammenleben der Staaten“. In der Tat: Wer sich an die jugoslawischen Erbfolgekriege der 90er Jahre erinnert, der weiß, wie gefährlich der Mix aus übersteigertem Nationalismus, Populismus und dem Streben nach Machterhalt im Extremfall werden kann. So ließen die verschiedenen Machthaber in den jugoslawischen Teilrepubliken den Geist des Nationalismus vor allem deshalb aus der Flasche, um sich nach dem Tode des Patriarchen Tito und dem Niedergang der sozialistischen Ideologie an der Macht halten zu können – oder aber an die Macht zu gelangen.

Man muss es klar benennen: Vom Grundsatz agiert her agiert der Linksnationalist Morales ganz ähnlich. Er braucht den nationalistischen Trommelwirbel, um sich seine Wiederwahl zu sichern.

Rhetorik wie in Ex-Jugoslawien

Dass es anders als in Jugoslawien wohl in keinem Fall zu einem heißen Krieg zwischen Bolivien und Chile kommen wird, dürfte vor allem am militärischen und ökonomischen Ungleichgewicht zwischen den beiden Ländern liegen. Die Chilenen sind so haushoch überlegen, dass ihre Armee im Ernstfall schon nach wenigen Tagen vor Evos Protzturm stehen dürfte. Morales mag zwar ein gnadenloser Populist und Zocker sein, aber so rational, dass er seine Chancen richtig einschätzen kann, ist der dann doch.

Der Großsprecher aus La Paz dürfte den Konflikt mit Chile vor allem deshalb am köcheln halten, weil er einen Sündenbock für die Fehlentwicklungen im eigenen Land braucht. Und so argumentiert Morales ständig, dass nur ein eigener Zugang zum Meer dem ärmsten südamerikanischen Land endlich zu wirtschaftlichem Wachstum und Entwicklung verhelfen könnte. Dass das Kokolores hoch drei ist, dürfte er selbst wissen. Ein Meereszugang war vielleicht vor ein paar Jahrhunderten wichtig, als das Schiff noch das schnellste und effektivste Verkehrsmittel auf der Langstreckte war. In der Zwischenzeit gibt es Flugzeuge, Güterzeuge und Monster-LKW. Und, was von Morales gewogenen Stimmen geflissentlich verschwiegen wird: Der andere Nachbar Peru hat Bolivien 1992 in einem Freundschaftsvertrag für 50 Jahre den Hafen von Ilo als Freihafen und Freihandelszone überlassen, inklusive fünf Kilometer Küstenstreifen und fünf Kilometer Strand.

Viele Binnenstaaten sind reich

Und überhaupt: Wer sagt, dass Binnenstaaten ärmer als ihre Nachbarn sein müssen? Ein Land, dem es in seiner Geschichte ähnlich ergangen ist wie Bolivien, liegt vor unserer Haustür: Österreich. Und niemand kann behaupten, dass sich die Alpenrepublik im Niedergang befindet, nachdem sie 1918 alle Seehäfen – wie etwa Triest oder Koper – als Folge des Ersten Weltkrieges an Italien und Jugoslawien abgeben musste. Nun sitzen in der aktuellen Wiener Regierung auch einige Politiker mit populistischem Hintergrund. Aber selbst von denen sind bislang keine Gebietsansprüche gegenüber Italien und dem inzwischen unabhängigen Slowenien laut geworden. Und auf dem ärmsten Kontinent überhaupt, Afrika, gilt ausgerechnet Botswana als Musternation – und das ist ebenfalls ein Binnenstaat.

In Asien liegt der Binnenstaat Mongolei. Der ist zwar reich an Rohstoffen, der Wohlstand ist allerdings mindestens genauso ungleich verteilt wie in Bolivien. Immerhin machen die Vertreter der führenden mongolischen Parteien nicht das böse Schicksal oder andere Länder für ihre Misere verantwortlich, sondern benennen zumindest verbal die im Steppenstaat grassierende Korruption als wesentliches Problem. Was ihre Taten angeht, sieht es dann schon anders aus. Im Gegensatz zu Morales verzichten die mongolischen Politiker immerhin, sich wieder und wieder im Amt bestätigen zu lassen. Seit der Einführung der Demokratie in den 90er Jahren wechseln dort die Präsidenten und Regierungschefs sogar deutlich öfter als in Deutschland.

Morales spielt mit seinem Volk

Wenn der bolivianische Präsident immer wieder einen Meereszugang einfordert und somit chilenisches Staatsgebiet beansprucht, dann gaukelt er seinem Volk ein ebenso illusorisches Trugbild vor, wie dies die deutschen Rechtsaußen getan haben, die bis zuletzt die Legitimität der Oder-Neiße-Grenze in Frage stellten. Besser wäre es, Morales würde endlich den Blick nach vorne richten und die wirtschaftliche Situation in seinem Land weiter verbessern. Bolivien ist Rohstoffreich – verfügt über Gasvorkommen und andere Bodenschätze. Und Morales ist es ja in den ersten Jahren seiner Regierung auch gelungen, einige der Erlöse daraus sinnvoll zu nutzen, um die Armut zu lindern und die Infrastruktur auszubauen. Am besten aber wäre es, der Präsident würde die Verfassung respektieren und sich aus der ersten Reihe der Politik zurückziehen. Ohnehin verbraucht sich irgendwann jeder an der Macht. Gerade regelmäßige Wechsel in Führungspersonen machen die Demokratie aus.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Morales als Held gefeiert worden wäre, wenn er den Präsidentenpalast vor zehn Jahren in Ehren verlassen hätte. Gerade für die Armen und die Indigenen im Land hat wohl kein bolivianischer Staatschef mehr erreicht. Aber auch diese Fan-Basis hat längst zu bröckeln begonnen. Es ist, wie es ist: Besser werden die Amtszeiten von Dauerregenten mit fortschreitender Zeit in der Regel nicht. Eine Erkenntnis übrigens, die nicht nur für Bolivien gilt.

 

Andreas Kern

Der Diplom-Volkswirt und Journalist arbeitet seit mehreren Jahren in verschiedenen Funktionen im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Kern war unter anderem persönlicher Referent eines Ministers, Büroleiter des Präsidenten des Landtages von Sachsen-Anhalt sowie stellvertretender Pressesprecher des Landtages. Er hat nach einer journalistischen Ausbildung bei einer Tageszeitung im Rhein-Main-Gebiet als Wirtschaftsredakteur gearbeitet . Aufgrund familiärer Beziehungen hat er Politik und Gesellschaft Lateinamerikas besonders im Blick. Kern reist gerne auf eigene Faust durch Südamerika, Großbritannien und Südosteuropa.

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