Wie die AfD Wähler gewinnt, die die SPD verliert

Gastkolumnist Uwe Fischer berichtet, wie einfach man es der AfD macht, Wähler zu gewinnen.


Ich möchte eine kleine Geschichte erzählen, eine Geschichte aus dem „richtigen Leben“ (wobei wir berücksichtigen müssen, dass sich das richtige Leben ja immer öfter bei Facebook abspielt). Es geht um meinen Beruf, ich bin Logopäde. Als Logopäde gehöre ich der Gruppe der Heilmittelerbringer an, deutschlandweit gibt es ungefähr 350.000 von uns. Das sind also 350.000 Wähler und deren Familien. Nicht alle dieser Wähler entscheiden sich für die SPD, das ist klar, aber immer mehr dieser Wähler entscheiden sich auch NICHT für die SPD. 18%! Und eine andere, von uns doch wirklich nicht erwünschte Partei: 14%, in manchen Bundesländern auch locker über 20%. Ach, was wird nicht seit Jahren schon über die Gründe für das Erstarken dieser immer weiter nach rechts driftenden Partei philosophiert, und Hand in Hand mit dieser Philosophierei geht auch der Blick weg von den eigenen Möglichkeiten, diesem blaubraunen Spuk etwas entgegenzusetzen.

Wie eine SPD ihr S verlor

und den Aufstieg der AfD begünstigte

Die Überschrift dieser Geschichte könnte lauten : „Wie eine SPD ihr S verlor und den Aufstieg der AfD begünstigte“. Aber dann müsste aus der Erinnerung noch bekannt sein, wofür dieses ominöse S eigentlich steht. Hand aufs Herz – wer weiß es noch? Aber genug gelästert, es soll ja auch konkret werden. Unsere Berufsgruppe hat manch ein Problem, welches in einigen Regionen durchaus existenzbedrohend ist. Alle möchten mehr Geld, ich weiß, ich weiß. Aber manche dieser Gierhälse brauchen auch mehr Geld um nicht nur überleben, sondern auch wirtschaften zu können (dargestellt habe ich die wirtschaftliche Situation unserer Berufe in meinem Offenen Brief an „Drei Minijobs Peter Tauber“ vor einem Jahr).

Neben der teils sehr schlechten Vergütung durch die Krankenkassen v.a. in den nicht mehr so neuen Bundesländern gibt es noch weitere Probleme, mit denen wir uns beschäftigen müssen. Wir – das ist die Basis unserer Berufsgruppen, haben sich doch die Verbände in all den Jahren in vornehmer Zurückhaltung geübt und Ergebnisse unter dem Niveau von Selbstverständlichkeiten als überragende Erfolge verkauft, dieses „Wir“ wurde von dieser Seite nie wirklich gelebt. Mittlerweile ist aber diese Basis aufgewacht und versucht, mit vielen eigenen Aktionen die Öffentlichkeit und die Politik zu bewegen. Zudem hat sich ein neuer Berufsverband gegründet (Logo Deutschland) sowie eine berufsübergreifende Initiative (Vereinte Therapeuten, vormals Bund vereinter Therapeuten). Es ist nicht alles Gold, was glänzt, hier und da gibt es auch Aktivitäten und Vorstellungen, die zu heftigen Kontroversen führen. Fragwürdige Vorbilder, kritikwürdige Koopperationspartner – auch das Leben von Therapeuten ist halt bunt.

Von der Politik ignoriert

Ok, zur Sache, versprochen. In einem der „neuen“ Bundesländer stellt sich die Situation für die Therapeuten besonders kritisch dar. „Wenn sich nicht bald etwas ändert, muss ich dicht machen“ – das ist keine Aussage als Kennzeichen einer schlechten Gemütslage, sie entspricht dem, was sich fern von den Blicken der Politik abspielt. Immer wieder gehen Therapeuten auf Politiker der verschiedenen Parteien zu und schildern diese Probleme, immer wieder wird genickt und – ignoriert. Nun wissen wir ja auch, wer sich die Unzufriedenheit der Menschen besonders gerne zunutze macht, nicht unbedingt aus Überzeugung, dafür aber mit einem klar definierten Ziel. „Geht dahin, wo die Menschen mit ihren Sorgen und Nöten sind….“ ist ein dem tatsächlichen Wortlaut sehr nahe kommendes Zitat von der Seite der NPD, etliche Jahre ist es her. Nun haben wir leider eine Partei, welche diese Strategie immer weiter perfektioniert – 14%! Und es wird mehr!

Die Fehler der SPD

Wie diese Strategie funktioniert und welchen Anteil die SPD mit dem vergessenen S daran hat, zeigte sich in den letzten Tagen in einem Forum einer großen Gruppe von Heilmittelerbringern. Alle Parteien in einem östlichen Bundesland wurden von Therapeuten kontaktiert, um die existenzgefährende Verschleppungsstrategie der dortigen AOK anzusprechen, u.a. geht es um die lange überfällige Erhöhung unserer Vergütungen, die sich Jahr für Jahr von der Inflationsrate wegbewegte, und zwar in die falsche Richtung. Man ist ja nicht unhöflich, macht sich eine Notiz, holt den nächsten Kaffe und die Notiz ist vergessen. Nicht aber bei denen, die sonst mit einem schlechten Gedächtnis geschlagen sind, jedenfalls hinsichtlich der Geschichte dieses Landes. Denn die Unzufriedenheit von Menschen ist denen kein Vogelschiss, sie ist brauchbares Material für die zunehmende Übernahme sozialer Fragen und dem endgültigen Eindringen in die Mitte der Gesellschaft. Und so hat sich genau diese Partei der Sorgen angenommen und versprochen, in Kürze einen Antrag im dortigen Landtag einzureichen, bei dem es um die Verbesserung der Situation von Heilmittelerbringern geht. Volltreffer! Denn die sonst so behäbigen Berufsverbände – zum Glück nur zwei davon – nahmen den Ball auf und luden zu einer Demonstration am Tag der Einreichung des Antrags ein. Die AfD wurde dabei prominent als die Partei erwähnt, die diesen Antrag einreichen wird, etwas später, eher nebenbei, kam auch Die Linke zu ihrem Recht, da sie sich diesem Antrag anschließen wollte. Nicht wenige Therapeuten fanden es richtig toll, was die AfD so erreicht, während uns doch die „Altparteien“ schmählich im Stich lassen. Teilweise gab es ein klares Bekenntnis zur AfD, teilweise ging es noch dem Motto „Wählen würde ich die ja nicht, aber das ist ja echt nett von denen!“

Die Diskussionen im Forum liefen an, sehr heftig ging es hin und her. Es gab verschiedene Forderungen, auch die an die veranstaltenden Verbände, sich unmissverständlich von der AfD zu distanzieren. Diese reagierten prompt und hart, hart wie ein Pfund Butter in der Sommersonne – und distanzierten sich vorsorglich von allen Parteien. Na, da kann man ja auch keinen Fehler machen, ohne eine klare Position lebt es sich viel leichter. Als Ergebnis der nicht enden wollenden Diskussionen wurde letztendlich die Demo abgesagt, inklusive einer diesmal eindeutigen Distanzierung von der AfD. Und nun? Was möchte ich der (S)PD damit sagen? Ganz klar – die SPD hat seit Jahren eine einmalige Chance verschlafen und zudem Lindners Spruch auf den Kopf gestellt (Ihr versteht mich an dieser Stelle auch ohne das Zitat). Die SPD ist bei 18% gelandet. Die SPD hat ehemalige Hochburgen verloren. Die SPD hat enttäuscht. Die SPD hat sich entscheidende Themen von der AfD vorgeben lassen, wie alle anderen Parteien auch. Sie hat ihre größten Schatz verloren – das S. Jetzt kommt eine ewiggestrige Partei mit fragwürdigen Gestalten im Licht und klugen Strategen im Schatten und sammelt diesen Schatz auf. Überall. Überall da, wo Menschen Sorgen und Nöte haben.

Im nächsten Jahr gibt es einen blaubraunen Parteitag mit dem Schwerpunkt „S“. Das haben die Euch nicht einmal geklaut, sie haben es nur aufgehoben, aus dem Schlamm des Vergessens, und werden es polieren, bis es glänzt. Wer hat dann 18, wer hat 14? Besinnt Euch, bewegt Euch, macht mobil. Treibt Eure Spitze vor Euch her, treibt sie zum S. Macht die SPD wieder zu der Partei, die sich in diesem Land um soziale Fragen kümmert. Nicht als Alibi, nicht als Erinnerungsfetzen aus dem Nebel der Zeit vor der ersten GroKo. Besinnt Euch. Aus Überzeugung und deshalb, dieses Land vor einem weiteren Erstarken derer zu bewahren, die es in den Abgrund führen werden. Kümmert Euch. Kümmert Euch um Logopäden, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Podologen. Um deren Patienten, die zu lange auf ihre Versorgung warten müssen. Um gerechte Entlohnungen. Um eine angemessene therapeutische Versorgung. Kümmert Euch um die Menschen. Kümmert Euch um dieses Land. Werdet wieder das S!

Uwe Fischer

Nach 18 Jahren als Kundenbetreuer im Außendienst, 15 Jahre davon bei einem mittelständischen Unternehmen aus der Lebensmittelbranche, hieß es „back to the roots“ mit einer späten Ausbildung zum Logopäden. Heute betreibt Fischer seit 2008 gemeinsam mit seiner Partnerin eine Praxis für Logopädie in der Eifel.

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