Der Einsiedler, das Verbrechen und der Sex – Eine Kolumne für das Genie Todd Rundgren
Todd Rundgrens „Hermit Of Mink Hollow“ wird 40 Jahre alt. Obwohl einer der einflussreichsten Musiker des Planeten, ist er öffentlich eher unbekannt. Doch die Story von Leben und Werk des noch immer rastlosen Künstlers hat es in sich. Unser Musikologe Ulf Kubanke erzählt sie uns.
Das Mink Hollow-Tal im New York State anno 1977: Der kräftige, langhaarige Mann und seine hochschwangere Lebensgefährtin kauern gefesselt an der Wand ihres Wohnzimmers. Vor ihnen stehen ein paar maskierte, bewaffnete und höchst nervöse Männer. Die Eindringlinge verlangen alle Wertsachen und vor allem „das Kokain“. Ersichtlich fällt es ihnen schwer, den gefassten Worten des Hausherrn zu glauben. Doch mit Todd Rundgren erwählten sie den ganz und gar falschen Rockstar für solch eine Beute. Rundgren gehört nicht zu jener Sorte, die zu Hause Prunk hortet. Für Drogen hatte er stets noch weniger übrig.
Einsiedler mit Studio
Zum Glück geht der Einbruch glimpflich aus und das Paar bleibt – vom Schock einmal abgesehen – unverletzt. Kurz darauf beenden beide ihre ohnehin kriselnde Beziehung. Übrig bleibt Rundgren als Einsiedler in Behausung samt Heimstudio. Das passte ihm damals anscheinend gut. Mit seiner Band Utopia hatte er gerade auf mehreren Alben den Spacerock mitgeprägt und ausgiebig dem Teamwork gehuldigt. Nun war es an der Zeit, sich zurückzuziehen, in sich hinein zu horchen und alles dort Vorgefundene im Alleingang zu Tage zu fördern. Das Ergebnis dieser Eigenbrötler-Sessions, „Hermit Of Mink Hollow“ ist ein Kernalbum in Rundgrens Werk und feiert diesen April seinen 40. Geburtstag.
Rundgren betont – wenn auch hallbherzig –, der Titel habe nichts mit seiner damaligen Situation zu tun und nehme lediglich Bezug auf eine lokale Legende. Mag es ihm nun bewusst sein oder nicht: Kein anderer als er selbst ist der „Hermit“. Er verbarrikadierte sich nahezu 24 Stunden täglich im hauseigenen Tonstudio, mied soziale Kontakte und machte alles allein. Er komponierte, textete, spielte sämtliche Instrumente ein, mischte und produzierte die Lieder in nur wenigen Monaten.
Musikalisch gibt er den nachdenklichen Singer/Songwriter (“Bag Lady“, „Lucky Guy), den luftigen Popper („Hurting For You“, „All The Cjildren Sing“), den verschrobenen Sonderling („Onomatopoeis“) und den zupackenden Rocker („Bread“, „Determination“). Abgesehen von solcher Vielfalt ist die LP in mehrerlei Hinsicht bedeutend.
Urknall der Video-Kultur
Musikhistorisch markiert sie den Urknall der kurz darauf folgenden Videoclip-Kultur. Rundgren drehte in Eigenregie Videos zu beiden Singles. Der technik-affine Musiker ist einer der wichtigsten Vorreiter des Konzepts. Von diesem Ausgangspunkt startet kurz darauf MTV und würdigt den verdienten Pionier, indem es sein Lied „Time Heals“ als einen der ersten Tracks in die Dauerrotation nimmt. Im Vorbeigehen kreiert er zusätzlich einen der ersten Bildschirmschoner sowie eines der frühesten Malprogramme für PCs. Mitte der 90er greift Rundgren dann bereits das Internet auf und entwickelt Pläne zur künstlerischen Nutzung.
Ultimativer Hit des Albums ist „Can We Still Be Friends“. Viele kennen das Stück womöglich eher durch Coverversionen von Stars wie Rod Stewart oder Robert Palmer. Als weit interessanter erweist sich indes die Hintergrundgeschichte. Es geht hier um sein Verhältnis zur oben erwähnten Exfreundin Bebe Buell. Die im Text genannte „strange affair“ hatte es tatsächlich in sich. Das Ex-Model ging eine Affäre mit Steven Tyler ein, kehrte jedoch kurz drauf zu Rundgren zurück. Vergessen wir nicht das Detail: Zum Zeitpunkt des geschilderten Überfalls war Buell schwanger.
Die gemeinsame Tochter, Liv Rundgren, kennt die Welt heute als nicht minder berühmte Liv Tyler. Todd Rundgren hoffte, trotz Zweifels, der Vater zu sein und nahm das Kind voller Liebe als eigene Tochter an. Erst als Achtjährige findet Liv durch ein körperliches Merkmal die biologische Verwandtschaft zu „Onkel Steven“ heraus und Buell rückt gegenüber allen Beteiligten mit der vollen Wahrheit heraus. Seitdem hat die eigentlich Liv Rundgren Tyler heißende Schauspielerin zwei Väter, bezeichnet Rundgren jedoch als ihren „wahren Daddy“.
Spätestens an diesem Punkt mag sich mancher Leser berechtigt fragen, weshalb der Name Todd Rundgren der breiten Öffentlichkeit eher unbekannt blieb. Und ja: Dieser Umstand ist mehr als rätselhaft. Es wird noch mysteriöser, so man sich vor Augen hält, hier einen der einflussreichsten Musiker aller Zeiten vor sich zu haben. Letzteres ist keine Übertreibung. Man kann die Rolle dieses Musikwahnsinnigen aus Philadelphia nicht hoch genug einschätzen.
An den Schnittstellen der Musikgeschichte
Allein sein Wirken als mitspielender, mitdenkender, mitkomponierender und arrangierender Produzent ist jeden Kniefall wert. Punkrock? Rundgren prägte die Anfänge durch seine Arbeit mit den New York Dolls. Postpunk? Ohne Rundgrens Zutun kein „Wave“ von Patti Smith. Rock/Pop? Rundgren produzierte einen der größten weltweiten Megaseller. Für Meatloafs „Bat Out Of Hell“ erfand er (gemeinsammit Jim Steinman) den typischen Rockoper-Sound und spielte einen Großteil der Gitarren, Keyboards und Backing-Vocals ein.
Allein dieses Triple wäre bereits ehrfurchtgebietend. Doch ist es lediglich die Spitze seines Eisbergs. Ähnliches tat er für Hall & Oates, Cheap Trick, XTC, Grand Funk Railroad oder Bad Religion. Außerhalb eigener Gigs zeigt er sein Gesicht jedoch selten. Die medial wohl bekannteste Ausnahme bedeutete Rundgrens weltbekanntes Duett mit Bonnie Tyler für ihren 1986er Welthit „Loving You’s A Dirty Job But Somebody’s Gotta Do It“.
Ein Genie? Ein Tausendsassa? Eine Ikone? Sicherlich ist Rundgren von allem etwas. Bleibt die Frage, wie er diese Unmenge verschiedenartiger Musik gestalten konnte. Der Meister selbst erklärt dazu lakonisch: „Das Wollen allein wird es nicht für dich machen. Hoffnung wird es nicht tun. Religion wird es nicht tun, Philosophie wird es nicht tun. Der Oberste Gerichtshof wird es nicht tun. Der Präsident und der Kongress werden es nicht tun. Die UNO wird es nicht tun, Die H-Bombe wird es nicht tun. Die Sonne und der Mond werden es nicht tun. Und Gott wird es nicht tun. Man muss es selbst tun. Ich tat es.“
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