Gnadenlose Robenlose
NPD, Pegida und die AfD rufen ihre Anhänger auf, sich als Schöffen zu bewerben. Ein Grund, sich noch mal mit dem Schöffenamt etwas genauer zu beschäftigen.
Alleine in NRW werden zum 1.1.2019 über 17000 neue Schöffen besetzt. Da wittern die extremen Rechtsausleger eine Chance, endlich der verhassten weichgespülten Kuscheljustiz mit einer gehörigen Portion Stärke die erwünschte Härte zu verpassen, wie man das früher mit Hemdenkragen machte, die mit Hoffmanns Idealstärke so hart wurden, dass man sich den Hals blutig kratzte. Rechtsextreme hatten ja als Berufsrichter schon Tradition in der deutschen Justiz und nun wollen sie als Laienrichter rechtes Recht sprechen. Das ist nun nicht wirklich etwas Neues, aber durch den Einzug der AfD in die Parlamente, könnten die Aufrufe dieses Mal durchaus erfolgreicher sein, als noch vor fünf Jahren.
Laien im OP
Stellen Sie sich vor, Sie müssten zu einer Operation ins Krankenhaus. Zur Voruntersuchung erscheinen neben dem Operateur zwei weitere Menschen an Ihrem Bett, ein Rentner und eine Hausfrau. Sie schauen etwas verwundert. Aber diese beiden beraten ganz ernsthaft mit dem Chirurgen über die Notwendigkeit und die Durchführung der Operation. Plötzlich kommt es zu einer Meinungsverschiedenheit und einer Abstimmung. Die Hausfrau und der Rentner überstimmen den Facharzt, so dass dieser tun muss, was die Laien meinen. Absurd ? Sollte man meinen.
Aber genau dasselbe kann passieren, wenn Sie wegen einer Straftat angeklagt werden. Außer beim Einzelrichter am Amtsgericht sitzen Ihnen neben den Berufsrichtern immer zwei Laien gegenüber, die über Ihre Schuld oder Unschuld, über Geld- oder Freiheitsstrafe , über Bewährung oder Knast mitentscheiden. Laien, die weder Jura studiert, noch sonst irgendetwas gelernt haben müssen. Ehrenamtliche Richter, Schöffen.
Beim Schöffengericht sitzen zwei von ihnen gemeinsam mit einem Berufsrichter über Sie zu Gericht, d.h. die können den Fachmann locker überstimmen. Naja, werden Sie vielleicht sagen, ist ja nicht so schlimm – wenn das Urteil falsch sein sollte, kann ich doch in Berufung gehen. Ist ja schließlich ein Rechtsstaat. Rechtsmittel und so.
Ja stimmt. Aber wundern Sie sich dann bitte nicht, wenn in der Berufungsinstanz plötzlich wieder – in einer sogenannten kleinen Strafkammer – ein Berufsrichter und zwei Schöffen vor Ihnen sitzen. Klingt seltsam, ist aber so.
Laienmehrheit
Nur bei der großen Strafkammer haben Sie immerhin mit 3 Berufsrichtern auf 2 Schöffen zu tun. Nur da sind die Fachleute in der Mehrheit. Ansonsten überall Laienmehrheit.
Auf der Suche nach der Begründung für diesen auf den ersten Blick recht unheimlichen Umstand stößt man auf folgende Begründungen:
Die Beteiligung ehrenamtlicher Richter hat in Deutschland eine lange Tradition und ist trotz mehrerer Änderungen von Strafprozessordnung und Gerichtsverfassungsgesetz nie ernsthaft in Frage gestellt worden. Für die Beteiligung von Schöffen in der Strafrechtspflege sprechen vor allem folgende Punkte:
– Repräsentative Teilnahme des Volkes an der Rechtsprechung.
– Erhaltung und Stärkung des Vertrauens der Bevölkerung in die Rechtsprechung durch Teilnahme hieran.
– Besserung der Rechtskenntnisse des Volkes und seines Verständnisses der Rechtsprechung und der dabei auftretenden Probleme. Denn wenn man einen Angeklagten unmittelbar vor sich hat und seine Tat unter Berücksichtigung der konkreten Situation und seiner gesamten Lebensgeschichte beurteilen muss, versteht man manchmal ein Urteil, das in den Medien als Milde bewertet wird, viel besser.
– Einbringen des „gesunden Menschenverstandes“ in die Urteilsfindung.
– Notwendigkeit für die Berufsrichter, die eigenen – juristisch geprägten – Wertungen in eine allgemein verständliche Form zu bringen.
– Erweiterung des Informationsstandes der Berufsrichter durch Sachkunde und Lebenserfahrung der Schöffen.“ (so stand es vor Jahren einmal auf der Seite der Justiz NRW)
Hammer schon immer so gemacht
Aha, lange Tradition, das haben wir schon immer so gemacht. Kein wirkliches Argument. Was haben wir nicht alles schon an Traditionen abgeschafft. Nur weil man etwas schon immer gemacht hat, muss man das ja nicht immer weiter so machen. Das erkannte sogar Papst Benedikt und kündigte seinen Rücktritt an, obwohl die Tradition ja verlangt hätte, dass er sich gefälligst bis zum Tode mit der Bürde seines Amtes rumquält oder sich vergiften lässt.
Man hat auch traditionell in der Kneipe geraucht. Jetzt stehen sie frierend vor der Kneipe in Regen und Schnee, die Raucher. Traditionen bedeuten erst mal nur, dass man etwas lange macht, aber nicht dass es auch noch sinnvoll ist. Als Kind habe ich noch die Tradition des Hahneköppens miterleben müssen. Da wurde ein lebender Hahn so in einen Korb gezwängt, dass nur Kopf und Hals zu sehen waren und dann schlugen besoffene Männer – Frauen durfte da traditionsgemäß nicht mitmachen – mit verbundenen Augen mit einem Säbel nach dem Hahn. Der Korb war an einem Seil befestigt und der arme Hahn immer wieder hochgezogen. Das Ganze machte man solange, bis einer den Hahn geköpft hatte. Dieser Hahnenkönig steckte dann den blutigen Kopf auf seine Säbelspitze und marschierte damit stolz durch das Dorf. Hat man abgeschafft. Find ich gut.
Und die anderen Argumente ?
Repräsentative Teilnahme des Volkes an der Rechtsprechung, Erhaltung und Stärkung des Vertrauens der Bevölkerung in die Rechtsprechung durch Teilnahme hieran. Da habe ich schon ganz große Zweifel. Das Vertrauen der Bevölkerung in die Qualität der Strafjustiz scheint nicht das größte zu sein. Dafür, dass das nicht so ist, sorgt ja schon die BILD regelmäßig. Stichwort Kuscheljustiz. Und was diejenigen, die sich „das Volk“ nennen, so von der Justiz halten, ist in etwa soviel wie von den Qualitätsmedien. Gar nichts.
Das Volk
Dass die Schöffen das Volk repräsentieren, ist auch nicht gewährleistet. Die Schöffen sind so wenig das Volk wie die Leute, die auf einem Marktplatz Merkel-muss-weg rufen.
Schon die Auswahl der Schöffen ist nicht gerade ein Musterbeispiel für eine demokratische Wahl.
Die Anzahl der Schöffen wird zunächst durch den Präsidenten des Landgerichts bestimmt. Aufgrund dieser Vorgabe werden von den Gemeinden Vorschlagslisten erstellt, die doppelt so viele Vorschläge enthalten müssen, wie Schöffen gebraucht werden. Auf diese Vorschlagslisten kommen erst mal die Bürger, die sich ganz bewusst für das Schöffenamt bei der Gemeinde bewerben. Warum sie das tun, bleibt dabei offen. Das sind dann zum Beispiel die NPDler, die sich auf die Listen setzen lassen, um auf diese Weise die Rechtsprechung in ihrem Sinne zu beeinflussen. Es gibt aber auch Leute, die sonst keine richtige Beschäftigung (mehr) haben. Und natürlich gibt es auch noch engagierte Bürger, die etwas für ihr Land tun wollen.
Aus den Vorschlagslisten wählt ein Wahlausschuss die Schöffen. Dieser Ausschuss besteht aus einem Richter des Amtsgerichts, einem sogenannten Verwaltungsbeamten sowie sieben Vertrauensleuten. Diese Vertrauensleute werden von den Vertretungen der Kreise gewählt. Der Ausschuss wählt die Schöffen für das Schöffengericht des Amtsgerichts und für die Strafkammern des Landgerichts.Bei der Wahl soll darauf geachtet werden, dass alle Gruppen der Bevölkerung nach Geschlecht, Alter, Beruf und sozialer Stellung angemessen berücksichtigt werden.
Ob das so richtig klappt, darf ebenfalls bezweifelt werden. All zu viele Handwerker, Vorstandsvorsitzende von Banken, Ärzte oder Krankenschwestern hab ich da bisher nicht gesehen. Denn während immerhin die Verteilung auf Männer und Frauen einigermaßen ausgewogen zu funktionieren scheint, sind jedenfalls nach meiner persönlichen Beobachtung ziemlich wenige Selbständige, Arbeitnehmer, Menschen mit Migrationshintergrund, Schwarze, Schwule, Lesben und Personen unter 40 Jahren unter den robenlosen Richtern zu finden. Die Verteilung von Alter und Beruf kann seit einigen Jahren eh nicht mehr kontrolliert werden, weil die Statistik – warum auch immer – im Jahre 1998 einfach eingestellt wurde.
Die Besserung der Rechtskenntnisse des Volkes und seines Verständnisses der Rechtsprechung können keine wirkliche Begründung für das Schöffenwesen darstellen. Da wäre das von mir seit Jahren geforderte Schulfach „Rechtskunde“ – über die bisherigen popeligen Arbeitsgemeinschaften hinaus – wesentlich effektiver. Aber diese intensive Besserung der Rechtskenntnisse der Bevölkerung will der Staat offenbar gar nicht so richtig haben. Die rechtskundigen Bürger könnten ja auf die Idee kommen, ihre Rechtskenntnisse dann auch in die Tat umzusetzen. Aber Fortbildung als Rechtfertigung für die Beteiligung von Laien an der tatsächlichen Rechtsprechung – also sozusagen learning by doing – , das würde auch als Argument für die Laienoperateure im Krankenhaus nicht greifen, auch wenn diese dann mehr Verständnis für ärztliche Kunstfehler entwickeln würden.
Gesunder Menschenverstand?
Das beliebte Argument Einbringen des „gesunden Menschenverstandes“ in die Urteilsfindung“ ist mir aus zwei Gründen suspekt. Zum einen unterstellt es den Volljuristen ohne nachvollziehbaren Grund eine „kranken“ Menschenverstand, zum anderen bewegt sich der „gesunde Menschenverstand“ manchmal verdammt nah am „gesunden Volksempfinden“, das sich in der Vergangenheit gerade innerhalb der Justiz häufig als ganz furchtbar ungesund erwiesen hat. Die NS-Justiz war gespickt mit „gesundem Volksempfinden“. Man erinnere sich auch zum Beispiel an den Emden-Mob und ähnliche Aufwallungen der Volksseele. Dieses ominöse Gebilde möchte ich gar nicht in der Rechtsprechung sehen.
Auch das Argument der durch Schöffen erzeugten Notwendigkeit für die Berufsrichter, die eigenen – juristisch geprägten – Wertungen in eine allgemein verständliche Form zu bringen, hat offenbar in der Vergangenheit wenig Gewinn gebracht. Dass Urteilsbegründungen von Schöffen- oder anderen Berufungsgerichten grundsätzlich allgemeinverständlicher wären als die des Einzelrichters, ist mir jedenfalls noch nie aufgefallen. Es gibt Richter, die sich verständlich und solche, die sich unverständlich ausdrücken. Daran ändert auch ein Schöffe nichts. Der ist ja an der schriftlichen Abfassung des Urteils gar nicht mehr beteiligt.
Auch das letzte Argument für die Schöffen, dass sie einer Erweiterung des Informationsstandes der Berufsrichter durch Sachkunde und Lebenserfahrung dienen, ist nicht überzeugend. Benötigt der Richter mangels eigener Sachkunde jemanden, der ihn bezüglich eines Themas schlau macht, dann kann und muss er einen Sachverständigen befragen. Woher soll der Richter denn wissen, ob das Wissen, das der Schöffe ihm vermitteln will, auf dem neuesten Stand ist ? Was soll das bringen, wenn der Schöffe seine „Lebenserfahrung“ einbringt ? Wer weiß, was der AfDler alles einbringen möchte, wenn er einen alleinreisenden Flüchtling vor sich hat?
Nicht, dass ich das teilweise bewundernswerte Engagement von manchen Schöffen nicht zu würdigen wüsste. Es gibt sogar Schöffen, die in der Hauptverhandlung den Mut aufbringen, eigene Fragen zu stellen. Manchmal allerdings auch Fragen, mit denen sie sich wegen Befangenheit gleich „Sorry, Sie sind raus!“ einfangen.
Bei der Wahl der Schöffen gibt es kaum echte Kontrollmöglichkeiten. Zunächst einmal reicht die deutsche Staatsbürgerschaft und ein Mindestalter von 25 Jahren bei Amtsantritt (§ 33 Nr. 1 und 2 GVG). Dann muss der Schöffe in der Gemeinde wohnen, er darf keine geistigen oder körperlichen Gebrechen haben, die ihn ungeeignet erscheinen lassen, das Amt auszuüben. Er muss die deutsche Sprache beherrschen, darf weder zahlungsunfähig noch überschuldet sein und weder einen Beruf innerhalb der Justiz, noch Religionsdiener – was auch immer das sein mag – oder Mitglied religiöser Vereinigungen sein. Ist jemand bereits zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten oder mehr verurteilt worden oder läuft gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen einer Tat, die den Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter zur Folge haben kann, wird er wieder von der Liste gestrichen.
Nach § 44a des Deutschen Richtergesetzes sollen ebenfalls Bürger, die
1.
gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat oder
2.
wegen einer Tätigkeit als hauptamtlicher oder inoffizieller Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik im Sinne des § 6 Abs. 4 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes vom 20. Dezember 1991 (BGBl. I S. 2272) oder als diesen Mitarbeitern nach § 6 Abs. 5 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes gleichgestellte Person für das Amt eines ehrenamtlichen Richters nicht geeignet ist.
(2) Die für die Berufung zuständige Stelle kann zu diesem Zweck von dem Vorgeschlagenen eine schriftliche Erklärung verlangen, dass bei ihm die Voraussetzungen des Absatzes 1 nicht vorliegen.
Bedenken, los!
Ja, geile Sache. Der Reichsbürger oder Neonazi kann also durch eine eigene schriftliche Erklärung Bedenken gegen ihn ausräumen. Nun mag es ja sein, dass man solche Figuren in kleinen Gemeinden eventuell kennt. In Großstädten dürfte es aber kein Problem sein, wenn derartiges „Volk“ die Wahlprozedur locker übersteht. Wenn dann der rechtsextreme Schöffe im Gerichtssaal richtet, bleibt nur zu hoffen, dass er seine Gesinnung vorher und unter seinem Klarnamen bei Facebook verbreitet und der Verteidiger dies vorab gecheckt hat . Ansonsten mag es für manchen Schwarzen oder Muslim finster werden. Wer sich bei „Todesstrafe für Kinderschänder“ oder ähnlichen Seiten rumtreibt, hat im Richteramt nichts verloren.
Vielleicht sollte man das ganze Schöffenwesen ja noch einmal überdenken. Notwendig ist es aus meiner Sicht nicht. Oder wenigstens das Auswahlverfahren so gestalten, dass Wutbürger und Scharfrichter außen vor bleiben.
Also nochmal, möchten Sie wirklich von einem Laien operiert werden ?
Schreibe einen Kommentar