Und es war Sommer

Letzte Woche veröffentlichten DieKolumnisten ein „Interview“ mit Rebecca Sommer. Das brachte uns eine Menge an Kritik ein. Warum eigentlich?


Auf unserer Seite gibt es vom ersten Tag an eine Beschreibung unseres Anspruchs. Der hatte in den letzten gut zwei Jahren nur ganz geringe Aufrufzahlen. Scheint also keinen besonders zu interessieren. Deshalb zitiere ich den Text hier einmal vollständig:

Wie wir meinen.

Wenn alle einer Meinung wären, bräuchten wir nicht zu debattieren. Aber solange unterschiedliche Auffassungen zur Meinungsbildung beitragen können, melden wir uns zu Wort. Kolumne ist Meinung. Wir sind angetreten, um Ihnen unsere Einschätzung zu den offenen Fragen unserer Zeit zu sagen. Jede Kolumnistin und jeder Kolumnist hat seine eigene Sicht der Dinge. So entstehen Debatten. diekolumnisten.de ist das Portal für diese Debatten.

Alle, die bei uns schreiben, sind für ihre Meinung selbst verantwortlich. Das gibt uns den Freiraum für Vielfalt. Wir nennen es Meinungsfreiheit. Die gilt auch für unsere Gäste und Interviewpartner.

Die Kolumnisten betreiben das Portal gemeinschaftlich und paritätisch. Dabei hat jede Meinung denselben Stellenwert. Erst unsere Leser und Leserinnen entscheiden individuell, welche Kolumne oder welcher Beitrag für sie am überzeugendsten ist. Sie sind ausdrücklich aufgefordert mitzudebattieren: öffentlich in den Kommentarspalten und im eignen privaten und beruflichen Umfeld.

Gemeinsam denken wir weiter und liefern Anstöße für Veränderungen. Denn unsere Themen kommen mitten aus der Gesellschaft. Und wir diskutieren diese Themen mit der Subjektivität der Einzelmeinung. Wir sind subjektiv. So wie jeder unserer Leser. Wir sind streitbar. Wir machen Kolumnen. Und Kolumne bedeutet Meinung.

Die einzelnen Kolumnisten können schreiben, was sie wollen. Darüber gibt es keine Vorabstimmungen. Zwar kann jeder der Kolumnisten vorab die Texte der anderen lesen, ein Veto gegen Kolumnistentexte der Stammmannschaft ist aber nicht vorgesehen.

Das Vetorecht

Anders sieht das bei Gästen oder Interviewpartnern aus. Da muss insoweit Einstimmigkeit herrschen, als jeder Kolumnist ein Vetorecht hat. Jeder kann also einen Gast oder einen Interviewpartner ablehnen. Ich musste das leider bei einigen von mir vorgeschlagenen Gastautoren aushalten, die ich gerne auf unserem Portal gesehen hätte. Ein Veto reicht – ohne Begründung – und der Gast ist abgelehnt.

Ich hätte also verhindern können, dass das Rebecca Sommer Interview bei uns unter DieKolumnisten dokumentiert wurde. Wie alle anderen hatte ich einige Bedenken zu dem Text, aber ich habe aus verschiedenen Gründen kein Veto eingelegt.

Mutig?

Das ursprünglich auf Polnisch geführte Interview war bereits in nicht autorisierter Fassung von diversen rechtspopulistischen Blogs veröffentlicht worden und wurde dort als „mutig“ abgefeiert. Was daran mutig sein soll, wenn man seine Meinung zum Ausdruck bringt, wollte mir nicht einleuchten. Da wäre ich ja jede Woche „mutig“, was ich nicht bin. Ich mache nur regelmäßig von meiner verfassungsrechtlich garantierten Meinungsfreiheit Gebrauch und gestehe das selbstverständlich auch anderen zu.

Inhaltlich besteht das Interview auf der einen Seite aus persönlichen Erfahrungen von Frau Sommer, deren Wahrheitsgehalt ich nicht überprüfen kann, und auf der anderen Seite aus ihren darauf basierenden und von ihr für allgemeingültig erklärten Schlussfolgerungen. Interessant daran ist, dass Frau Sommer noch 2015 euphorisch dem Tagesspiegel erzählt hatte, wie toll die von ihr und ihrer Gruppe betreuten Flüchtlinge Deutsch gelernt hätten.

Inzwischen besteht die Hälfte unserer Mitglieder aus Flüchtlingen, die wir seit anderthalb Jahren begleiten und die mittlerweile sehr gut Deutsch sprechen. Wir geben Deutschunterricht, halten Händchen, gehen mit zu den Behörden. Die Begleitung ist freundschaftlich, man kocht auch mal zusammen, macht Feste und tanzt zusammen. Wir haben gerade begonnen, mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen eine neue Tanzgruppe zu gründen.“

Vor zwei Jahren nahm sie noch junge Flüchtlinge bei sich zuhause auf:

Ich nehme auch immer wieder Flüchtlinge bei mir zu Hause auf, im Moment schläft ein 16-jähriger unbegleiteter Flüchtling mit seinen Brüdern bei mir, bis er ins Heim einziehen kann. Seine Brüder schlafen auch gerade hier. Man kann ein Leben dadurch verändern, dass man jemandem für ein paar Tage einen Platz anbietet.

Auch die unterschiedlichen Kulturen empfand sie damals als anregend:

Durch die Flüchtlingsarbeit habe ich viele neue Freunde gefunden. Die kulturellen Unterschiede haben auch viel Positives, die syrische Gastfreundschaft ist toll zum Beispiel, das gemeinsame Tanzen. Viele, denen wir über lange Zeit geholfen haben, helfen jetzt auch anderen und schauen über ihren Tellerrand. Wir fördern, dass die Flüchtlinge selbstständig sind. Es hat sich ein richtiges Netzwerk mit Herz gebildet.“

Es handelte sich also um eine rein private Flüchtlingsinitiative mit jeder Menge Herzblut.

Nun bin ich nicht der große Tanzfan, aber warum nicht? Umso erstaunlicher, dass gut zwei Jahre nach diesem Interview nun alle Euphorie verflogen ist und Frau Sommer ganz andere Töne spuckt.

Eiertanz

Soviel Friede, Freude, Eiertanz hätte schon hellhörig machen können. Und nun?

Nun ist plötzlich alles anders und aus der persönlichen Enttäuschung, die sie erlebt hat, zieht sie ihre Schlüsse. Die müssen mir nicht gefallen und sie gefallen mir auch nicht, weil es am Ende klingt, als hätte sich ein Sprachrohr der Identitären Bewegung oder ein stellvertretender AfD-Vorsitzender aus Dresden geäußert. Und gerade weil Frau Sommer Verbindungen in das fremdenfeindliche und rassistische Milieu abstreitet, sind ihre Äußerungen nicht uninteressant. Hier kehrt sich eine ursprüngliche Euphorie in ihr Gegenteil um. Das sagt vermutlich mehr über die nötige Frustrationstoleranz bei der Arbeit mit Menschen aus als über die Richtigkeit ihrer Konsequenzen.

Nun sind solche Schlüsse in den Weiten des Internets nichts Ungewöhnliches. Ähnliches schrieb mein treuer Kommentator, der Blonde Hans, unter fast jede meiner Kolumnen. Dass ihr Interview bereits auf rechtspopulistischen Seiten unautorisiert geteilt wurde, wunderte mich nicht. Da ist allerdings Widerspruch oder Kritik kaum bis gar nicht möglich. Das war ein weiterer Grund für mich, kein Veto einzulegen. Wo, wenn nicht auf der Seite der Kolumnisten, wäre denn der geeignete Ort, ein solches Interview zur Diskussion zu stellen? Wer unsere Leserbriefe verfolgt, der weiß dass wir nahezu jeden Leserbrief dort stehenlassen, sofern er keine strafbaren Inhalte enthält. Ich hatte also eine rege und kritische Diskussion erwartet. Mehr aber auch nicht.

Liberal?

Was ich nicht erwartet hatte war, dass dieses Interview ein so großes Interesse wecken würde, dass ich kaum noch überblicken konnte, wo es überall kommentiert wurde. Interessant und von mir ebenfalls absolut nicht erwartet war die Kritik an der Veröffentlichung als solcher, die mit der „liberalen“ Ausrichtung unserer Seite begründet wurde.

Soll das bedeuten, dass wir ein sogenanntes Tabuthema meiden sollen, nur weil es auch von Rechtspopulisten besetzt wird? Und überhaupt. Wer DieKolumnisten als „liberal“ wahrnimmt, kann damit nicht eine politische Richtung meinen. Wir sind allenfalls in dem Sinne liberal, dass wir bei der Auswahl unserer Themen jedem Kolumnisten völlig freie Hand lassen und niemand dem anderen in seine Kolumnen hineinredet. Das ist ja auch gar nicht notwendig, weil jeder eine Kolumne, die ihm nicht in der Kram passt, mit einer eigenen Kolumne kontern kann. Das ist Debatte. Und diese Debatte muss eben auch bei Themen stattfinden, die ansonsten in der braunen Schmuddelecke ausgewalzt werden. Jeder Leser ist aufgerufen, sich zu beteiligen und entweder einen Leserbrief zu schreiben oder uns auch einen eigenen Text anzubieten. Wir wollen ja debattieren und nicht wie Mimosen in der eigenen Filterblase verharren.

Debatte frei

Außerdem setzte ich auf die Qualität unserer Leser und deren Fähigkeit zur Debattenkultur. Das Argument, die Schlussfolgerungen von Frau Sommer würden durch eine Veröffentlichung bei DieKolumnisten geadelt, halte ich nicht für begründet. Ganz im Gegenteil. Wer sich die anderen Veröffentlichungen dieses Interviews ansieht, stellt schnell fest, dass dort Kritik an diesen Schlussfolgerungen nicht existiert. Bei uns war die Kritik bereits kurze Zeit nach der Veröffentlichung so groß, dass Frau Sommer äußerst pikiert, man könnte auch sagen angepisst, reagierte. Auf die Kolumne von Henning Hirsch antwortet sie auf ihrer FB-Seite:

— Sie agieren genau wie diese paramilitaerischen Ultrarechten Seiten und wie die Rrrrusssischen Sputnicks. Nur „eleganter“eingefaedelt. Das zu Ihnen. Ich hatte den dieKolumnisten angeboten, meinen eigenen Artikel zu schreiben, ohne in Fragen eingequetscht zu sein, die automatisch Antworten und Fokus dirigierten. (Ich stehen aber zu meinen Worten und dem Interview mit NvOS!) Der Grund warum ich dieKolumnisten kontaktierte war der shitstorm der entstand, weil mein polnisches Interview politisch motiviert verzerrt wurde, denn die Rechte verzeihen mir nicht das ich weiterhin ehrenamtlich tätig bin, und eine Frauenrechtlerin bin. Ich dachte die Kolumnisten seien die Mitte….“

Diese Reaktion zeigt mir, dass es völlig richtig war, kein Veto einzulegen und den Text – unangeteasert, um den Vorwurf der Voreingenommenheit gleich abhaken zu können – zur Diskussion zu stellen.

Dass das provokant war, geschenkt. Wer DieKolumnisten liest, gehört nicht zur breiten Masse und er kennt unseren Claim. Der heißt nicht etwa daher geheuchelt objektiv, überparteilich, harmlos – sondern persönlich, parteiisch, provokant. Und so soll das auch bleiben.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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