Traumprinzpotenzial

Tina Schlegel sucht nach einem Mann mit Potenzial und entdeckt zu später Stunde haufenweise potenzielle Traumprinzen in Facebook


Seit ich über diese Zeile gestolpert bin, bei Facebook, dem Sammelsurium an Kuriosem, kann ich nicht aufhören, darüber nachzudenken. Da schrieb eine Frau einem Mann, jeder habe das Potenzial zum Traumprinz. (Keine Ahnung, ob da im Hintergrund ein „auch er“ mitklingen sollte) Im ersten Moment musste ich lachen, ach herrje, dachte ich, die ist ja optimistisch. Dann wurde ich hellhörig. Ist das so? Tatsächlich? Und nur ich habe das all die Jahre nicht bemerkt? Da war mir das Lachen dann schlagartig vergangen, denn das würde ja bedeuten, dass alle meine potentiellen Freunde (und sogar die wirklichen, verabschiedeten) das Zeug gehabt hätten, mein „Traumprinz“ zu werden und ich es nur übersehen habe. Umgehend wurde mir richtiggehend schlecht. Das bedurfte dringend der Klärung, sonst würde ich schlaflose Nächte vor mir haben.

Therapiebedürftige Listen

In Gedanken bin ich sie dann durchgegangen, Mann für Mann, aber das war mir zu ungenau. Also schrieb ich sie auf, bemüht, die Reihenfolge einzuhalten. Ich bin ja so ein Mensch, der gern Listen macht: Aufgabenlisten für jede Woche etwa, oder Pro- und Contra-Listen, wenn eine wichtige Entscheidung einfach keine Lösung finden will. In einem meiner Bücher macht eine der Hauptfiguren auch immer solche Listen, ein Psychologe freilich, Klischees liegen mir, und ich lasse sie, die Hauptfigur, darüber nachdenken, ob sie schon therapiebedürftig ist. Hat sich beim Schreiben so ergeben, man sieht, ich mache mir Sorgen. Aktuell jedoch empfahl sich eine solche Liste, fand ich. Jeden Namen klopfte ich auf sein vermeintliches Traumprinzpotenzial ab. Bei der Hälfte dann dachte ich mir, ob es wohl besser wird, wenn ich einen Wein dazu trinke? Nach zwei Gläsern Weinschorle und zwei weiteren Namen, die ich wirklich weichgeklopft habe und auch nach kräftigem Schütteln noch kein Traumprinzansatz zu finden war, kam mir ein weiterer Gedanken: Was genau mache ich eigentlich, wenn ich bei einem Verflossenen tatsächlich entdecke, dass er der Richtige gewesen wäre? Hätte werden können … Ihn heimsuchen? Zur Heimkehr ersuchen? Erst einmal besuchen? Suchen ist schon ein wunderliches Wort, fällt mir da auf; aber alles Suchen half nichts. Ich sackte in mich zusammen, spielte mit dem Gedanken, die Liste zu zerreißen und Facebook eine Weile einfach nicht zu öffnen, bevor mich eine weitere Weisheit derart niederschmettert.

Traumprinz aus Gold

Dann jedoch, nach einem weiteren Schluck entspannte ich mich. Mein erster Gedanke, die Dame sei doch sehr optimistisch – oder vielleicht ist sie schlicht auch ehrgeizig? – kam mir wieder in den Sinn. Ich saß da und starrte vor mich hin. Irgendetwas braute sich da in mir zusammen. All das Nachdenken verquirlte sich mit den ganzen Namen auf meiner Liste. Nebenbei bemerkt und bevor hier ein falscher Eindruck entsteht (und das hätte ich wohl besser schon einige Zeilen weiter oben angeführt): Es sind nicht allzu viele, ein DIN-A-5-Blatt hätte gereicht. Zu dem Nachdenken und den Namen gesellten sich einige hervorgegrabene Erinnerungen, die in der Tat so gar nicht an einen Traumprinz denken ließen – und da wusste ich es: Mir fehlt schlicht dieses Goldschürfer-Gen. Ich will nicht ewig mit einem Sieb am Fluss sitzen und graubraune Steine aus dem Wasser fischen. Entweder der Goldklumpen strandet an meinen Füßen oder er kann auf ewig in Sand gehüllt bleiben. Das hat weniger mit fehlendem Optimismus zu tun, als vielmehr mit der grundsätzlichen Überzeugung, dass zumindest mein Traumprinz sehr souverän auf mich zukommt und das Offensichtliche höchstens hinter der absoluten Notwendigkeit des sofortigen Küssens zurückfällt. Traumprinz hin oder her – ich bin kein großer Freund des Suchens. Wer hingegen von Potenzial spricht, erklärt sich damit einverstanden, einen Weg zu gehen, zu suchen. Ich glaube ja eher, dass ein Prinz eben nur dann ein Prinz ist, wenn er auf einem Schimmel angaloppiert kommt oder eben Richard Gere-mäßig mit Rose im Mund die Feuerleiter nach oben klettert. Meine Tochter würde sich vehement einmischen: Selbstverständlich muss ein Prinz auf einem Pferd kommen, sonst ist er ja kein Prinz.

Aufgeschäumte Träume

Ob ich mit der Dame Kontakt aufnehmen soll? Oder mit dem Mann, dem sie diese Nachricht zukommen ließ? Ist für beide ja nicht sehr schmeichelhaft. Sie, bereit zu Kompromissen oder harter Arbeit, um den „goldigen Kern“ bloßzulegen; er von Beginn an mit dem Makel belegt, dass er ein Traumprinz allenfalls werden kann … mit ihrem Zutun. Ach nein, ich halte mich da lieber raus. Manchmal habe ich mich auch schon gründlich getäuscht, da wuchs plötzlich zusammen, was auf den ersten Blick weiß Gott nicht wie eine glückliche Fügung aussah.

Jetzt, so spät am Abend mache ich Facebook dann doch noch einmal auf. Der Wein schmeckt noch immer und ich bin inzwischen sehr erleichtert über meine Liste. Kein Traumprinz dabei und offensichtlich alles richtig gemacht. Bei Facebook chatte ich ein wenig mit alten und neuen Freunden (nicht denen von der Liste freilich, nicht dass sich hier plötzlich ein Funke auftut) und gehe meine Freundesanfragen durch und irgendwie, ich weiß nicht weshalb, tauchen da wie aus dem Nichts lauter nette Gesichter auf. Wie bei einer Partnervermittlung lächeln sie mich an, winken mir zu, wünschen mir einen schönen Abend und ich merke, dass mir meine innere resolute Abneigung gegen das Wort „Potenzial“ ein wenig flöten geht. Wo kommen die auf einmal alle her? Eine Verschwörung? Ich klicke mich also so durch die Facebookler, die zu dieser späten Stunde noch wach sind, und suche bei jedem das Haar in der Suppe, was nicht schwer ist, da ich ja angeblich sehr anspruchsvoll bin. Der eine ist zu klein, der andere zu groß, der dritte postet Fotos von seinen Fleischmahlzeiten, der vierte hat nur Frauen in seiner Freundesliste, alle offensichtlich mit sehr viel „Potenzial“. Nein, denke ich, gewiss keine Verschwörung im Gang.

Happy End

Es braucht ein weiteres Glas Wein bis ich endlich begreife, welchem grundsätzlichen Irrtum ich aufgesessen bin: Ich habe nie einen Traumprinzen gesucht, weil ich schlichtweg noch nie Prinzessin spielen wollte. Auch bin ich kein Freund von Märchenschlössern und Träumereien, ich mag die reale Welt ganz gern. Zu Traumprinzen muss man immer ehrfürchtig aufblicken, ich trete meinem Partner lieber auf Augenhöhe entgegen, ist ja auch viel angenehmer zum Küssen und küssen ist aber sowas von viel besser als Gold schürfen. Und wenn der Mensch-Mann dann auch noch auf einem Pferd daherkommt und es meiner Tochter schenkt, dann ist alles in märchenhafter Ordnung.

Tina Schlegel

Die Kolumnistin Tina Schlegel ist Kulturjournalistin und Autorin. Für die Zeitung schreibt sie über die schönen Dinge im Leben – Kunst, Musik, Theater und Literatur. In ihren Romanen dagegen lotet sie die düstersten Abgründe der Menschen aus und erschrickt oft selbst beim Schreiben. Doch genau so muss es sein: Texte, die fesseln und nachhaltig im Gedächtnis bleiben oder wenigstens eine hübsche Idee wecken, können bleiben, alles andere kann weg, findet sie. Für die Augsburger Allgemeine schrieb sie eine wöchentliche Kolumne über das LiebesLeben einer Alleinerziehenden mit Kind, denn wer über sich selbst lachen kann, hat es grundsätzlich viel leichter im Leben. Nach rund 20 Umzügen quer durch Deutschland lebt sie heute mit ihrer Tochter und einer diäterprobten, aber dennoch übergewichtigen Katze im Unterallgäu und liebt das Leben schon sehr. Die Kolumne: Liebesgeflüster im Haifischbecken Seit sie von ihrer Zeitung für ihre Kolumne als „Alleinerziehende, die gerne denkt“ angekündigt wurde, überlegt Tina Schlegel ob das stimmt. Ihrer Chancen auf sozialen Anschluss hatten sich mit diesem Teaser in der Kleinstadt ohnehin erledigt, steht hinter dieser Beschreibung (gewissermaßen auf ihrer Stirn) doch eindeutig das Prädikat „kompliziert“, blieb also viel Zeit zum Nachdenken. Irgendwann aber lehnte sie sich zurück und gestand sich ein, ja, sie denkt ausgesprochen gern und ausführlich nach. Überraschend oft hat es mit Liebe zu tun, aber als Tochter eines Berufssoldaten und einer Friedensbewegungsaktivistin ist sie im politischen Diskurs groß geworden. Unpolitisch kann sie daher nicht einmal über Kitsch nachdenken … Oder doch? Tina Schlegel im Netz Tina Schlegel ist mit ihrer Autorenseite auf Facebook vertreten und kann selbstverständlich auch abonniert werden. Zwei Romane sind bislang von ihr erschienen: „Schreie im Nebel“ (Emons Verlag, Oktober 2015, ISBN 978-3-95451-723-7) und „Die dunkle Seite des Sees“ (Emons Verlag, April 2017, ISBN 978-3-7408-0078-9), zwei weitere Bücher sind für 2018 geplant.

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