Gedanken nach der Causa Dieter Wedel
Was Frauen fühlen, die in Machtstrukturen Nötigung und Verletzung erfahren, kann man als Mann wirklich nicht beurteilen. Aber Jörg Friedrich versucht trotzdem darüber zu schreiben.
Ich hasse es, wenn mir eine Frau sagt: „Das kannst du als Mann eben nicht nachvollziehen, weil dir sowas ja nicht passieren kann, weil du das ja nicht am eigenen Leibe erleben musst.“ Die damit verbundene Forderung, ich solle mich doch zum Thema sexuelle Nötigung nicht äußern, schon gar nicht kritisch gegenüber den #metoo-Aktivistinnen, weil ich die betreffende Erfahrung nicht kenne, hat mich zuerst provoziert, erst recht etwas zu dem Thema zu sagen. Dann habe ich geschwiegen, weil ich dachte, dass es doch keinen Zweck hat.
Aber nach dem, was nun in der Causa Dieter Wedel zu Tage kommt, drängt es mich, etwas zu sagen.
Ich bin nicht #metoo
Ja, es stimmt, ich kann mich in die Situation der Schauspielerinnen nicht hineinversetzen, die von Wedel bedrängt, gequält und vermutlich vergewaltigt wurden. Punkt. Das muss ich einfach einsehen. Mir würde so etwas nicht passieren, und selbst wenn es auch Fälle gibt, in denen Männer Opfer sexueller Gewalt wurden, ist ja völlig klar: als Mann kann man immer irgendwo anders hingehen, die Wahrscheinlichkeit, woanders auch auf einen Produzenten oder Regisseur zu treffen, der mich sexuell bedrängt, ist gering. Das liegt allein schon daran, dass die meisten Produzenten und Regisseure Männer sind und die meisten Menschen eben heterosexuell.
Also muss ich als Mann erst einmal akzeptieren, dass ich mit jeder Kritik an Stellungnahmen von Frauen zum Thema sexuelle Gewalt, sexuelle Belästigung und ähnlichem sehr zurückhaltend sein muss. Meine Vorstellungen, wie man damit umgehen könnte oder sollte, wie man was zu interpretieren hat, wie was ankommen müsste, wie man in welcher Situation reagieren sollte – all diese klugen analytischen Überlegungen gründen sich eben auf meine Erfahrungen. Und das sind eben Erfahrungen eines Mannes. Was für eine konkrete Frau als Handlungsmöglichkeit wirklich denkbar ist in einem Moment, in dem sie durch einen Mann bedrängt und sexuell genötigt wird, kann ich, bei aller analytischen Kompetenz und emotionalen Einfühlung, eben niemals wirklich beurteilen.
Dies im Sinn möchte ich ein paar Thesen zur aktuellen Diskussion beitragen.
Sind „große Männer nun mal irgendwie pervers“?
Es gibt keine moralischen Sonderrechte für „kreative Geister“. Wir müssen uns grundsätzlich von dem Gedanken lösen, dass große kreative Leistungen in Kunst, Literatur und auch Philosophie womöglich nur von Menschen vollbracht werden können, die irgendwie im Umgang mit anderen Menschen nicht mit den moralischen Maßstäben vereinbar sind, die wir im Alltag für selbstverständlich halten. Die Akzeptanz einer solchen Vorstellung ist selbst nicht akzeptabel. Sicherlich ist es gut, die eigenen Moralvorstellungen kritisch zu prüfen, wenn wir von Menschen lesen, die Großes vollbracht haben, aber unserer Alltagsmoral nicht entsprechen. Das kann ein guter Grund sein, die eigenen Vorurteile über das, was man tun darf und das, was man lassen soll, zu überdenken. Aber die Verletzung der Würde anderer Menschen ist niemals akzeptabel. Ich kann kein Werk bewundern von einem Menschen, der seine Macht ausgenutzt hat, um andere Menschen zu quälen.
Paradigmatische Extremfälle
Wir sollten das, was da in der Filmindustrie passiert ist und vermutlich noch immer irgendwo passiert, als paradigmatische Extremfälle sehen. Es gibt sicherlich Besonderheiten, die dazu führen, dass die Lage für Frauen dort besonders prekär ist. Diese Besonderheiten sollten auch benannt werden, damit an ihnen deutlich wird, welche Mechanismen und Machtstrukturen wirklich zerstört werden müssen. Dabei geht es nicht darum, das Problem nur in dieser speziellen Branche zu sehen und so zu tun, als ob es woanders gar nicht existiert. Aber es wäre wichtig, zu verstehen, welche besonderen Bedingungen den Vergewaltiger schützen und begünstigen, und welche anderen Bedingungen, die anderenorts längst etabliert sind, das verhindern. Welche Strukturen unterscheiden die Filmindustrie von anderen Bereichen? Und wo gibt es ähnliche Strukturen, über die aber nicht so intensiv gesprochen wird, weil die Frauen dort keine Medienpräsenz haben?
Andererseits ist es auch wichtig, über Strukturen zu sprechen, in denen Frauen sich sicher fühlen, ohne dass das Zusammenleben asexuell ist. Die Differenzen zwischen den Mechanismen unseres Zusammenlebens in unterschiedlichen sozialen Sphären müssen erkundet werden – dazu braucht es nicht nur Berichte über die Schattenseiten, sondern auch über die Situationen, in denen Frauen ohne Angst vor Nötigung leben. Die ganze Gesellschaft als Rape-Kultur zu verunglimpfen, bringt uns nicht weiter.
Deshalb scheint es mir auch wichtig, sich in der Diskussion auf Fälle zu konzentrieren, in denen es wirklich um Zwang, um Verletzung der Würde, um Ausnutzen von Macht, um Nötigung und Vergewaltigung geht. Jeden anzüglichen Blick und jede „Anmache“ mit in die Diskussion zu ziehen, verhindert eher die Bekämpfung der wirklichen Probleme. Geschaffen würde dadurch eine aseptische, sterile, asexuelle Oberfläche in der Gesellschaft, unter der sich vermutlich Machtstrukturen, implizite Nötigungen und Zwang weiterhin fast ungehindert ausbreiten können.
Auch auf Catherine Deneuve hören
Schließlich: Es sind in den letzten Wochen auch Stimmen von Frauen zu hören gewesen, die sich nicht einschüchtern lassen haben, die sich erfolgreich gewehrt haben gegen Belästigungen und Nötigungen, oder die solche Erfahrungen nicht gemacht haben, auch wenn sie in der Filmbranche erfolgreich waren. Mir scheint es wichtig, dass diese Frauen zu Wort kommen, dass wir auch auf ihre Geschichten hören. Es geht nicht darum, die Opfer gegen die Mutigen auszuspielen. Aber wir müssen auch darüber reden, wie sich Frauen erfolgreich zur Wehr setzen und schon immer erfolgreich gewehrt haben. Das zeigt auch Wege auf, wie Machtstrukturen ausgehebelt werden können.
Letztlich hätte ein Mann wie Wedel (gesetzt, die Vorwürfe gegen ihn entsprechen der Wahrheit, was ich inzwischen als sicher ansehe) keine Chance, wenn die Frauen, die er nötigt, für sich Auswege sehen und beschreiten können. Dazu ist vieles notwendig. Auch, dass man über die guten Erfahrungen spricht, die andere Frauen in ihrem Leben gemacht haben.
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