Keine Flieger in BERlin

Es gab eine Zeit, da wurden hierzulande arrogante Witze über das angeblich schlecht organisierte Griechenland gemacht. In Athen wurde der neue Flughafen jedoch nahezu pünktlich eröffnet. Der Start des BER wird sich dagegen wohl mindestens ins Jahr 2021 verschieben. Auch sonst mehren sich die Anzeichen, dass Deutschland nicht mehr das perfekt organisierte Musterland ist.


Am 16. Februar 2001 erschien im Berliner Tagesspiegel ein Artikel mit der Überschrift „Nur Geduld: Flughafen in Athen öffnet mit Verspätung“. Es ging darum, dass der neue Athener Flughafen einen Monat später als geplant seine Tore öffnen würde. Also statt am 1. März am Monatsende. Damals war das in Berlin noch eine Nachricht wert.

Zwar war der Text sachlich gehalten, Böswillige konnten aber schon ein Stück Überheblichkeit heraushören. Vor allem weil dem, was beim deutschen Bauträgerkonsortium alles geklappt hat, die vermeintlichen Versäumnisse der griechischen Behörden beim Ausbau von Straßen und Nahverkehr gegenübergestellt wurden. Ein Religionsgründer aus dem Vorderen Orient hätte wohl gesagt: „Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“ Gerade als Berliner dürfte man inzwischen, 16 Jahre später und um einige Erfahrungen reicher, geneigt sein, besser vor der eigenen Tür zu kehren. Dabei gilt die deutsche Hauptstadt nicht erst seit dem Desaster um den Flughafen Berlin-Brandenburg, kurz BER, nicht gerade als Musterbeispiel für preisgünstiges und vorbildliches öffentliches Bauen. Man denke etwa an die unfallträchtige Philharmonie oder das Internationale Congress Centrum (ICC).

Berliner Mängelliste im Zeit-Magazin

Nun las ich vor kurzem auf der Internetseite des Zeit-Magazins, also nicht gerade einer Hochburg des effekthaschenden Boulevards, folgende Berliner Mängelliste: „Der Müll und die Schulden türmen sich, die Verwaltung funktioniert nicht und schiebt ihr Scheitern auf „Softwareprobleme“, Berliner Polizisten besaufen sich beim G20-Gipfel, und der Hauptstadtflughafen wird vielleicht nie eröffnet werden.“ Ausdrücklich betone ich, dass dies nicht meine Wortwahl ist, sondern ein wörtliches Zitat aus dem Zeit-Magazin.

Wörtlich kann man auch Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth wiedergeben. Im Dezember 2015, also auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, schrieb die Grünen-Politikerin einen Brief an den Berliner Bürgermeister Michael Müller. Darin heißt es: „Ich muss Ihnen sagen, dass ich dort [in den bayerischen Aufnahmestellen] nicht einmal zu Hauptstoßzeiten auch nur im Entferntesten vergleichbare Zustände gesehen habe, wie ich sie gestern im LaGeSo [dem in Berlin zuständigen Landesamt für Gesundheit und Soziales] leider erleben musste.“ Roth weiter: „Ich empfinde das wie eine koordinierte Verantwortungslosigkeit, Demütigung und Entwürdigung, was hier in Berlin stattfindet“.

Man muss kein Berliner sein, um sich mit Griechen-Bashing zurückzuhalten. Gut, die Tsipras-Regierung habe ich auch ein paar mal während ihrer vogelwilden Anfangszeit mit dem Großsprecher Yanis Varoufakis kritisiert. Da ging es aber um konkrete Personen und deren politisches Handeln, nie um die Verächtlichmachung eines Volkes oder einiger, ihm klischeehaft zugeschriebener Eigenschaften. Pauschale Verallgemeinerungen lehne aber nicht nur mit Blick auf das angeblich so schlecht organisierte Griechenland ab. Das ist nicht nur schlechter Stil, es deckt sich oft auch nicht mit den tatsächlichen Gegebenheiten.

Perfekt organisiertes Deutschland ist Mythos

So mag es in Hellas objektiv an manchem gemangelt haben. Über den Zustand der öffentlichen Finanzen und von Teilen der Verwaltung muss man nicht diskutieren. Aber das war auch schon vor Beginn der Finanzkrise so und es war vor allem kein Geheimnis. Als dann das öffentliche Bashing einsetzte, war ich vor allem von der vermeintlichen Überraschung in Brüssel und Berlin überrascht. Wer Augen hat, zu sehen…

Andere Dinge funktionieren aber – und haben immer funktioniert. Der inzwischen nicht mehr ganz so neue Athener Flughafen wurde nicht nur – zumindest für Berliner Verhältnisse – pünktlich fertig, er funktioniert meinen Erfahrungen nach auch einigermaßen gut. Die U-Bahn der griechischen Hauptstadt ist moderner und sauberer als ihr Pendant in der Berlin. Und zu öffentlichem W-LAN hat man nicht nur in Athen, sondern auch in vielen Provinzstädten gefühlt immer noch häufiger und problemloser Zugang als hierzulande. Viele Griechen, die ich kenne, haben sich deshalb zu Recht durch manche Witze und einige Schlagzeilen hiesiger Boulevard-Zeitungen verletzt gefühlt.

Dabei ist weder den Hellen noch vielen anderen Nationen bewusst, dass nicht nur in Berlin das eine oder andere schief läuft, sondern dass auch das Bild vom ach so perfekten und gut organisierten Deutschland wohl ein Klischee ist, das immer weniger der Realität entspricht. Hier plädiere ich eindeutig für mehr Demut hierzulande. Dass etwa der Vorzeigezug der Deutschen Bahn, der ICE, ab und an Probleme hat, wenn es zu heiß ist oder zu kalt – oder wenn ein besserer Herbststurm weht, erscheint nicht auf dem Radar der griechischen Öffentlichkeit. Zur Kenntnis genommen hat man indes nicht nur in der Ägäis das unrühmliche Ende des einstigen deutschen Vorzeigeprojektes Transrapid, der sich sein Gnadenbrot mittlerweile als besserer Flughafenzubringer in Schanghai verdient. Und vielerorts wird aufmerksam beobachtet, ob die quasi über Nacht verkündete deutsche Energiewende ein Erfolgsmodell wird oder ob sie als spektakulärer Flop endet.

BER-Eröffnung erst 2021?

Mit einem Witz konnte ich einige Bekannte in Athen schon jetzt zum Staunen bringen: „Hebt ein Flugzeug vom neuen Berliner Airport ab.“ Als ich Details darüber berichtete, wollten es mir manche aber nicht glauben. Und ganz ehrlich, ich hätte so eine Story auch angezweifelt, wenn sie mir,  sagen wir mal – um hiesige Klischees zu bedienen – von einem Sizilianer oder einem Ukrainer über ein Flughafenprojekt in Palermo oder Dnjepropetrowsk erzählt worden wäre. Dankenswerterweise hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung, auch ein seriöses Blatt, in der vergangenen Woche ausgeführt, was beim BER seit dem Baubeginn im Jahr 2005 so alles in den Brandenburger Sand gesetzt wurde. Sechs Mal musste die Eröffnung wegen Planungsfehlern, Baumängeln und Missmanagement verschoben werden. Übrigens waren es am vergangenen Donnerstag genau 2000 Tage, die seit der ursprünglich geplanten Einweihung des Flughafens  im Jahr 2012 vergangen sind.

Beim Flughafenbau zu Berlin ist aber nicht nur viel Zeit ins Land gegangen, das Ganze hat auch außerordentlich viel Geld – Steuergeld – gekostet. Von etwa 5.4 Milliarden Euro sprechen die Medien. Und es könnte bald noch teurer werden. Wenn der Airport dann irgendwann, vielleicht am Sankt Nimmerleinstag, tatsächlich fertig werden sollte, könnte er nach Meinung einiger Luftfahrtexperten längst zu klein sein. Also denken manche bereits daran, einen noch nicht funktionstüchtigen Airport zu erweitern. Die Option, den in die Jahre gekommenen, aber gut funktionierenden Flughafen Tegel langfristig offenzuhalten, lehnt der Berliner Senat – trotz einer gegenteiligen Mehrheit bei einem Volksentscheid – allerdings ab.

Am besten Nostradamus fragen

Bei der Fata Morgana BER sollen nun erneut Schwierigkeiten bei den technischen Systemen, vor allem beim Brandschutz, bemerkt worden sein. Wie es in Medienberichten heißt, könnte sich der zuletzt für 2019 anvisierte Start des Airport deswegen möglicherweise nochmals bis 2021 verzögern. Am 15. Dezember, so heißt es, soll nun ein neuer Eröffnungstermin bekannt gegeben werden. Die seriöseste Einschätzung hierzu, so mein Eindruck, hätte wohl der französische Seher Nostradamus geben können. Der ist allerdings schon seit über 450 Jahren tot.

Sicher deshalb ist nur, dass Deutschland bis zur Eröffnung des BER längst wieder eine gewählte Bundesregierung haben wird. (Griechen, Skandinavier und auch Belgier würden mit einer Situation, in der es zwei Monate nach einer Parlamentswahl noch keine funktionsfähige Regierungskoalition gibt, ohnehin viel entspannter umgehen. Die hierzulande in manchen Medien deswegen zu vernehmende Krisenrhetorik dürften sie mit einem Lächeln zu Kenntnis nehmen.)

Der einstige Trio-Frontmann Stephan Remmler hatte 1986 mit dem Song „Keine Sterne in Athen“ einen Hit, der auch im Karneval viral lief. Ich weiß nicht, ob auch im orthodoxen Griechenland die tollen Tage in ausgiebiger Form begangen werden. Falls ja, hier ein Tipp an die dortigen Stimmungsbands: Legt doch mal ein Lied: „Keine Flieger in BERlin“ auf!

Andreas Kern

Der Diplom-Volkswirt und Journalist arbeitet seit mehreren Jahren in verschiedenen Funktionen im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Kern war unter anderem persönlicher Referent eines Ministers, Büroleiter des Präsidenten des Landtages von Sachsen-Anhalt sowie stellvertretender Pressesprecher des Landtages. Er hat nach einer journalistischen Ausbildung bei einer Tageszeitung im Rhein-Main-Gebiet als Wirtschaftsredakteur gearbeitet . Aufgrund familiärer Beziehungen hat er Politik und Gesellschaft Lateinamerikas besonders im Blick. Kern reist gerne auf eigene Faust durch Südamerika, Großbritannien und Südosteuropa.

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