Doping für die Haare? Ein Rant

Der Alpecin-Slogan ist sicher kein Glanzpunkt der Werbung. Ihn erst zurückzuziehen und dann zu modifizieren ist aber einfach nur lächerlich.


Hachja. Darüber wollte ich mich doch schon in den vergangenen Jahren aufregen. Hab es dann immer vergessen. Ist doch eigentlich eine gute Nachricht in diesen wutbürgerlichen Zeiten. Dass man das noch einfach vergessen kann. Sich aufregen. Aber jetzt. Diesmal hab ich es mir extra notiert: „Aufregen über Haarshampoo.“ Jetzt gibt es kein Zurück.

Es geht natürlich um diesen depperten Slogan. „Doping für die Haare. Und nur für die Haare.“ Denn es ist ja wieder Radsport-Saison. Genauer: Zeit für die Tour de France. Und schaut man die auch nur nebenbei, kommt man daran nicht vorbei: „Doping für die Haare. Und nur für die Haare.“

Zu dumm um Metaphern zu verstehen?

Nein. Es ist nicht das Doping im Slogan, das mich aufregt. Es ist das feige halbe zurücktreten von der eigenen Werbebehauptung im Nachsatz: “Und nur für die Haare“

Als sei es nicht bereits erbärmlich genug gewesen, diesen dem Anschein nach überaus beliebten Werbeslogan 2015 eine Zeit lang komplett zurückzuziehen. Aber ihn dann wieder zur besten Sendezeit zu bringen und mit dieser lächerlichen Relativierung, diesem erhobenen Zeigefinger, den ich unter der Dusche wirklich nicht gebrauchen kann, zu versehen, das ist doch der Gipfel an Erbärmlichkeit. Was für ein Menschenbild steckt dahinter? Da fühle ich mich ganz besonders als Lyriker angegriffen.

Denn Alpecin sagt ja nichts anderes als: „Die Menschen sind zu blöd selbst die einfachsten Metaphern zu verstehen“. Sehen Sie: Ich kann nachvollziehen, wenn Menschen sich durch Werbung auf allen Kanälen, die immer nur ausnehmend schöne Menschen zeigt, eingeschüchtert fühlen. Ich halte es für lächerlich diese Werbung zu verbieten, aber ich kann es nachvollziehen. Ich kann auch nachvollziehen, wenn Unternehmen da neue Wege gehen und mit nicht Modellkörpern werben. Ich denke, eigentlich sollte jeder wissen können, welche Lebensmittel gesünder und welche weniger gesund sind. Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so. Seufz. Deshalb lehne ich das Ampelmodell nicht per se als inakzeptable Gängelung ab, auch wenn eine wirklich wertneutrale Ausgestaltung ein Ding der Unmöglichkeit sein dürfte.

Aber „Doping für die Haare“??? Meine Fresse. Niemand, wirklich niemand wird wegen einem verdammten Haarshampoo anfangen sich EPO oder Anabolika zu spritzen. Oder gar auf die Idee kommen das Zeug zum Frühstück zu trinken. Die Zahl der redbullbedingten Abstürze nach missglückten Flugversuchen dürfte doch auch immer noch null betragen. Und ich kenne niemanden, der sich seinem Auto nur noch mit Bärentöter nähert, aus Sorge wegen des Tigers im Tank. Es ist eine Metapher. Eine einfache Metapher, verdammt noch mal.

Ist der „Nanny-Staat“ schuld?

Bleibt noch zu erwähnen, dass es sich bei dem Zusatz keineswegs um eine dieser ominösen Regulierungsmaßnahmen des verfemten Nanny-Staats handelt. Es stimmt, 2009 hat die (übrigens auch private) WADA, jene Welt Dopingsagentur also, die sich einer solch unglaublichen Effektivität rühmen kann, dass mittlerweile der Großteil aller 100-Meter-Weltrekordler als Doper enttarnt sind, natürlich erst Jahre bis Jahrzehnte nach dem fraglichen Ereignis, den Alpecin-Slogan kritisiert. Kann man drauf hören, kann man drüber lachen. Doch tatsächlich scheint sich Alpecin 2015 aus freien Stücken zur Zurücknahme entschlossen zu haben, und den idiotischen Zusatz „und nur für die Haare“ hat das Unternehmen mal definitiv selbst verbrochen. Ich könnte mich jetzt noch lange darüber auslassen, wie Bevormundung, Nudging & Co keinesfalls linearer Auswuchs einer Überbetonung des Staates sind, sondern im Zusammenspiel gesellschaftlicher und staatlicher Entwicklungen teils unter Zutun, teils mit mächtigen Unternehmen als treibende Kraft (siehe etwa Waalmarts Puritanismus) vorangetrieben werden, und sich durch freiwilligen Konformismus (u.a. ein Steckenpferd des heiligen Hayeks) verfestigen. Aber ich wollte mich heute über Haarshampoo aufregen und belasse es dabei. „Doping für die Haare. Und nur für die Haare“. Haarsträubend. Also echt.

Sören Heim

Sören Heim ist Journalist, Übersetzer und Schriftsteller. Er ist Träger des kosovarischen Preises für moderne Dichtung „Pena e Anton Pashkut“ (Stift des Anton Pashku) und des Sonderpreises „Favorit von Daniel Glattauer“ der art.experience 2014. In HeimSpiel schreibt Sören Heim mit Heimvorteil zu den Schnittpunkten von Kunst, Kultur und Gesellschaftspolitik. Er beleuchtet die unerwartete Bedeutung ästhetischer Fragestellungen für zeitgenössische Debatten, die mit Kunst auf den ersten Blick kaum Berührungspunkte haben. Und wo immer, sei es in der Politik, sei es in der Ökonomie, sei es gar im Sport, er auf geballten Unsinn und Unverstand trifft, wagt der Kolumnist auch das ein oder andere Auswärtsspiel. Bisher erschien die Kolumne HeimSpiel im Online-Debattenmagazin The European. Daneben veröffentlicht Heim in mehreren Literaturzeitschriften vornehmlich Lyrik und dichte Kurzprosa, und bloggt auf der eigenen Homepage aus seinem Zettelkasten. Monographien: Kleinstadtminiaturen: Ein Roman in 24 Bildern. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154181.Cover nur Front Gewogene Worte: Nachdichtungen aus dem Chinesischen. edition maya: 2016 – ISBN: 978-3930758463.cover kathaStrophen. Experimente in Rhythmus und Melodie. Chiliverlag: 2017 -ISBN: 978-3943292541.FrontCover 2_bleu Algenhumor: Gedichte für das dritte Jahrtausend. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154228.algen Audio-Exklusiv: La vie! La jeunesse! – Hörmordkartell 2017

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