Die Hure in der Kirche oder „Fukk off, Rassismus!“

Ulf Kubankes Hörmal-Kolumne balanciert zwischen uralter Musik und topaktuellen Veröffentlichungen. Diesmal setzt er der unbändigen Energie des Swing ein Denkmal, ehrt die gute alte Tante ‚Carnegie Hall‘ und erläutert warum ein subversives Benny Goodman-Konzert die popkulturelle Geburtsstunde des Kampfes gegen Rassentrennung war.


Benny Goodman trägt mit seinem legendären Carnegie Hall Concert im Januar 1938 entscheidend dazu bei, den Jazz bzw. den Swing vom Schmuddelkind zur hoffähigen Kunstform zu wandeln. Die ehrwürdige Carnegie Hall war damals ein Tempel der ernsten Musik und ein Hort der Hochkultur. Sehr Upper Class und ein wenig Snob. Swing hingegen war der damalige Garage-Rock/Punk/Hip-Hop; subversiv und gefährlich. Voll Unterschicht, voll Straße, voll Milieu! „Wir fühlten uns wie eine Hure in der Kirche.“ hieß es damals. Goodmans Piratenbande entert das heilige Gemäuer, erobert das Publikum und befreit die Halle von Muff des Dünkels wie Canterville vom Gespenst.

Goodman pfiff auf Apartheitsdenken

Der Vergleich ist keine Übertreibung und musikhistorisch wie politisch gleichermaßen bedeutsam. Goodman, selbst aus einer bitterarmen jüdischen Familie stammend, inszeniert hier eines der ersten musikalischen Crossover-Projekte der Menscheitsgeschichte. In den 30ies war es unerhört und mehr als gewagt, weiße und schwarze Musiker in ein und derselben Band bzw. bei ein und demselben Gig auftreten zu lassen. Goodman pfiff darauf und zeigte Rassentrennung und Apartheitsdenken (nicht nur mit der eigenen gemischten Goodman-Besetzung) den gestrecktern Mittelfinger. Ihm ging es nur um die Kunst. So läd er kurzerhand Count Basie samt späteren Ikonen wie Lester Young und einige Stützen des Duke Ellington-Orchesters zum Jam.

Ellington wollte nicht Sidekick sein

Der eiswürfelcoole Ellington bleibt dem Geschehen fern, da er – dem eigenen Empfinden nach – wenig Lust verspürt, für Goodman eine Art besserer Sidekick zu sein. Alle anderen kommen und fegen durch den Saal als ob es kein „morgern“ gäbe. Die intuitive Harmonie und Präzision des Zusammenspiels samt des emotonalen Ausdrucks dieses Ensembles sind mehr als erstaunlich.

So erobert Goodman mit seinem bunten Gemischtwarenladenam am 16. 1. 1938 im Nu‘ die Herzen des weißen Mittelschichtspublikums. Der Coup gelingt auf ganzer Linie. „Sing, Sing, Sing“ ist mein absoluter Liebling der Show. Goodman nahm es bereits 2 Jahre zuvor (u.A. mit dem grandiosen Ziggy Elman) auf. Der Song – ursprünglich von Louis Prima komponiert und teils sogar als Country-Nummer verdudelt – gewinnt erst in Goodmans Händen und dessen radikal neuem Arrangement seinen ultimativen Charakter und erstrahlt als energetisch polierter Fixstern. Nach dieser kolossalen 12min-Liveversion entwickelt der Track sich zum weltbekannten Monsterhit, absoluten Standard und ewiger Visitenkarte des Swing. Was für ein Burner!

Ulf Kubanke

Ehemaliger Anwalt; nun Publizist, Gesprächspartner und Biograph; u.a. für Deutschlands größtes Online-Musikmagazin laut.de.

More Posts

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert