Im Todesrausch der Geschwindigkeit
Als das Landgericht Berlin an Rosenmontag die beiden Angeklagten, die den Tod eines Menschen durch ein innerstädtische Autorennen verursacht hatten, wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilte, stieß das auf geteilte Reaktionen. Während die Einen die Härte der Entscheidung begrüßten, fanden die Anderen genau diese Härte unangemessen. Eine Erläuterung.
Viele Leser baten mich um eine Stellungnahme zu der Berliner Entscheidung und die werde ich auch abgeben, wenn ich die schriftliche Urteilsbegründung gelesen habe. Bis dahin kann ich – genau wie alle anderen Kommentatoren – nur spekulieren, ob das Urteil richtig ist. Aber vorher kann ich versuchen, ein paar der mit dieser Entscheidung verbundene rechtliche Begriffe und Probleme zu erläutern und damit vielleicht zum Verständnis beizutragen.
Mord und Totschlag
Der Mord ist eine qualifizierte Variante des Totschlags. So sieht das jedenfalls die herrschende Lehre, während die Rechtsprechung immer noch meint, es seinen zwei ganz unterschiedliche Tatbestände. Es gibt insgesamt 9 Mordmerkmale, die einen Totschlag zu einem Mord werden lassen. Allesamt Merkmale, die nach Vorgabe des Gesetzgebers die Tötung des Opfers als besonders strafwürdig erscheinen lassen, so scheußlich und bestrafenswert, dass nur eine einzige Strafe im Gesetz für einen Mord vorgesehen ist, die lebenslange Freiheitsstrafe.
Tötung eines Menschen
Der Fahrer des anderen Fahrzeugs wurde beim Zusammenstoß mit einer Aufprallgeschwindigkeit von 160 km/h getötet. Der objektive Tatbestand des Totschlags ist damit erfüllt. Das alleine reicht aber für eine Strafbarkeit wegen eines Tötungsdeliktes nicht aus. Hinzukommen muss auch noch der subjektive Tatbestand, insbesondere der Vorsatz.
Vorsatz ist Wissen und Wollen. Der Täter muss also wissen, dass er durch sein Verhalten einen Menschen tötet und er muss genau das auch wollen. Beim direkten Vorsatz ist das einfach festzustellen. Da fährt z.B. ein Terrorist mit einem LKW in eine Menschenmenge oder ein Ehemann überfährt ganz bewusst seine Frau, um diese zu töten.
Von diesem direkten Tötungsvorsatz wird man im Fall der Raser nicht ausgehen können und auch das Landgericht hat in seiner mündlichen Urteilsbegründung mitgeteilt, dass es das nicht unterstellt.
Wie kann das Landgericht dann aber zu einem vorsätzlichen Verhalten kommen?
Nun, das hängt mit einer speziellen Variante des Vorsatzes zusammen, dem bedingt vorsätzlichen Handeln, dem sogenannten Eventualvorsatz (dolus eventualis).
Dolus eventualis
Da hangeln wir uns nun mal an einer Entscheidung des BGH entlang. Alle nachfolgenden Zitate stammen aus der Entscheidung BGH, 27.09.2016 – 5 StR 84/16.
Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet.“
Die beiden Raser müssten also erkannt haben, dass sie möglicherweise den Tod eines Menschen verursachen, wenn sie mit weit überhöhter Geschwindigkeit und unter Missachtung aller Verkehrsregeln und Ampeln durch die Innenstadt rasen.
Das weiß doch jeder, werden Sie vielleicht sagen. Aber ganz so einfach ist das nicht. Die Menschen sind unterschiedlich und das, was sie tatsächlich im Moment der Tat erkannt haben, ist nicht so einfach festzustellen. Glücklicherweise hat das menschliche Gehirn ja noch keine Datenschnittstelle um auszulesen, was es zu einem bestimmten Zeitpunkt gedacht hat. Also muss das Gericht sich das vom Verdächtigen tatsächlich Erkannte aus dessen Aussage und den äußeren Umständen erschließen, man könnte auch sagen zusammenreimen.
Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen und – weil er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt – einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt.“
Ja, das leuchtet ein. Wenn jemand mit einem Messer auf den Oberkörper eines anderen einsticht oder dessen Kopf mit Tritten traktiert, dann darf man annehmen, dass er erkannt hat, dass er damit wichtige Organe verletzen und damit den Tod des anderen herbeiführen kann. Macht er trotz dieser Erkenntnis weiter, dann kalkuliert er den Erfolg ein.
Nun ist das Rasen mit einem Auto vermutlich nicht weniger gefährlich als das Stechen mit einem Messer, es mag aber durchaus sein, dass der Tatverdächtige seine Raserei gar nicht erst als „Gewalthandlung“ erkennt, weil sein späteres Opfer ja noch gar nicht kennt, wenn er mit der Raserei beginnt und seine Gewalthandlung gegen das Opfer nicht unmittelbar gegen dieses gerichtet ist.
Kann sein
Er will doch nur spielen und auf seiner Spielekonsole bei „Need for Speed“ sieht man die Toten ja auch nicht. Es scheint durchaus möglich, dass dem Tatverdächtigen im orgasmusgleichen Rausch der Geschwindigkeit und des Rennfiebers das Bewusstsein dafür fehlen kann, dass außer ihm und seinem Renngegner noch andere Verkehrsteilnehmer auf den Straßen sein könnten bzw. dass es zwar zu einer Kollision kommen könnte, diese aber aufgrund der heutigen Sicherheitstechnik maximal zu einer Verletzung führen könnte. Man wundert sich ja immer wieder, aus welchen Autowracks noch lebende Menschen geborgen werden können.
Es kann auch sein, dass der Tatverdächtige zwar die objektive Gefährlichkeit seiner Raserei grundsätzlich sieht, er aufgrund seiner Überzeugung, er sei ein so genialer Autofahrer, der sein Fahrzeug in jeder Situation beherrscht, ernsthaft meint, es werde, ja es könne gar keine Toten geben. Womöglich beruht diese Überzeugung auch auf einer Vielzahl früherer Rasereien, bei denen nichts passiert ist.
Eine solche irrige Wahnvorstellung mag auch dadurch begünstigt werden, dass der Gesetzgeber das „Rennen“ lediglich als Ordnungswidrigkeit einstuft und gemäß Bußgeld-Katalog-Nr. 248 dafür lediglich ein lächerliches Bußgeld von 400.–€ und einen Monat Fahrverbot vorsieht. Für das Überqueren eines Bahnübergangs bei geschlossener Schranke, bekommt man immerhin 700.–€ Geldbuße und 3 Monate Fahrverbot auferlegt. Da könnte man glatt auf die Idee kommen, dass der Gesetzgeber die Raserei selbst für nicht so wahnsinnig gefährlich oder gar tödlich hält.
Eine hohe und zudem anschaulich konkrete Lebensgefährlichkeit von Gewalthandlungen stellt mithin auf beiden Vorsatzebenen das wesentliche auf bedingten Tötungsvorsatz hinweisende Beweisanzeichen dar. Im Einzelfall können das Wissens- oder das Willenselement des Eventualvorsatzes fehlen, wenn etwa dem Täter, obwohl er alle Umstände kennt, die sein Vorgehen zu einer das Leben gefährdenden Behandlung machen, das Risiko der Tötung infolge einer psychischen Beeinträchtigung etwa bei Affekt oder alkoholischer Beeinflussung nicht bewusst ist (Fehlen des Wissenselements) oder wenn er trotz erkannter objektiver Gefährlichkeit der Tat ernsthaft und nicht nur vage auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolges vertraut (Fehlen des Willenselements).“
Bedingter Vorsatz oder bewusste Fahrlässigkeit?
Der Eventualvorsatz ist nicht leicht von der bewussten Fahrlässigkeit zu unterscheiden. In beiden Fällen hält der Täter den Erfolgseintritt für möglich. Beim Wissenselement tun die beiden sich nichts-. Der Haupunterschied liegt vielmehr innerhalb des Willenselements. Beim Eventualvorsatz nimmt der Täter den für möglich gehaltenen Erfolgseintritt hin und findet sich damit ab, bei der bewussten Fahrlässigkeit hingegen vertraut der Täter darauf, dass der Erfolg nicht eintritt. Diesen Unterschied sicher festzustellen bereitet erhebliche praktische Probleme und die entsprechende Urteilsbegründung grenzt an die Quadratur des Kreises.
Was das Landgericht in Berlin dazu nun im einzelnen konkret festgestellt hat, kann ich nicht beurteilen, da die schriftliche Urteilsbegründung noch nicht vorliegt. Es ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass das Landgericht in diesem Punkt eine tragfähige Begründung für einen bedingten Vorsatz findet und der BGH es bei er Verurteilung belässt. Es kann aber auch sein, dass die Revision genau an diesem Punkt Erfolg hat. Was den Eventualvorsatz angeht ist der BGH immer wieder eine Wundertüte.
Beide Elemente der inneren Tatseite müssen tatsachenfundiert getrennt voneinander geprüft werden. Die Prüfung, ob bedingter Vorsatz vorliegt, erfordert bei Tötungsdelikten insbesondere dann, wenn das Tatgericht allein oder im Wesentlichen aus äußeren Umständen auf die innere Einstellung eines Angeklagten zur Tat schließen muss, eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, wobei schon eine Gleichgültigkeit gegenüber dem zwar nicht erstrebten, wohl aber hingenommenen Tod des Opfers die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes rechtfertigt (vgl. BGH, Urteil vom 19. April 2016 – 5 StR 498/15, NStZ-RR 2016, 204 mwN).“
Der Bundesgerichtshof hat in den letzten Jahren mit seiner Rechtsprechung zum Eventualvorsatz für reichlich Verwirrung gesorgt, die in diesem Punkt dazu führt, dass eine Prognose selbst bei Kenntnis der Urteilsgründe etwas von Kaffeesatzleserei hätte. Über die „Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände“ lässt sich nahezu jedes erstinstanzliche Urteil aushebeln, wenn der BGH es denn will. Es wäre hilfreich, wenn dieser Fall den BGH veranlassen würde, seine Kriterien für diese Gesamtschau einmal nachvollziehbar klarzustellen.
Bei den Berliner Angeklagten hat das Landgericht neben dem bedingten Vorsatz auch das Mordmerkmal der gemeingefährlichen Mittel angenommen und mit diesen Mitteln die von den Angeklagten verwendeten Fahrzeuge gemeint.
Gemeingefährliches Mittel
Das Mordmerkmal der Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln ist erfüllt, wenn der Täter ein Mittel zur Tötung einsetzt, das in der konkreten Tatsituation eine Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben gefährden kann, weil er die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat […]. Dabei ist nicht allein auf die abstrakte Gefährlichkeit eines Mittels abzustellen, sondern auf seine Eignung und Wirkung in der konkreten Situation unter Berücksichtigung der persönlichen Fähigkeiten und Absichten des Täters.“ BGH 4 StR 168/05 – Urteil vom 16. August 2005
Dagegen wird man objektiv wenig einwenden können. Die Raser beherrschten den Umfang der Gefährdung nicht, sie können ihn gar nicht beherrschen, da sie nicht auf einer Rennstrecke fahren, sondern im Alltagsverkehr mit diversen Störquellen in Form anderer Verkehrsteilnehmer. Ihre letztlich unkontrollierte und für Dritte unberechenbare Fahrt durch die Innenstadt schuf auch eine Gefahr für eine unbestimmte Anzahl von Personen. Sie hatten nicht in der Hand, wie viele Menschen als Repräsentanten der Allgemeinheit in den von ihnen an der „Rennstrecke“ geschaffenen Gefahrenbereich geraten und durch ihr Verhalten gefährdet werden konnten. Und damit ist man, wenn der bedingte Vorsatz vorliegt, logisch zwingend beim Mord.
Lebenslange Freiheitsstrafe
Was dieses Urteil zunächst einmal so einzigartig macht, ist, dass erstmalig ein Gericht nicht davon ausgegangen ist, bei derartigen Taten handele es sich grundsätzlich nicht um vorsätzliche, sondern immer nur um fahrlässige Tötung. Das lief bisher immer so, warum auch immer. Bisher gab es für ähnliche Fälle – oft genug auch noch Unfälle genannt – nur Geld- oder Bewährungsstrafen. Das Höchste der Gefühle waren schon einmal 3 Jahre, die dann nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden konnten.
Angesichts eines toten Menschen, der dem egomanischen Handeln eines PS-Fetischisten zum Opfer fiel, erschien das häufig als viel zu mild. Damit wir uns nicht falsch verstehen, es geht nicht um die Fälle eines bloßen Fahrfehlers, wie er jedem einmal passieren und der ebenfalls einen Toten zur Folge haben kann, sondern um dieses elende, rücksichtslose Rasen. Sei es als Rennen oder sei es auch durch einen einzelnen Fahrer, der sich für den Größten hält. Auch die fahrlässige Tötung gäbe mit einem Strafrahmen bis 5 Jahre durchaus mehr her, als bisher genutzt wurde.
Es kann nur eine geben?
Und da wären wir beim nächsten Problem des Berliner Urteils. Das Strafmaß. Der § 211 StGB (Mord) differenziert nicht. Er kennt nur eine Strafe, die lebenslange Freiheitsstrafe. Und das fühlt sich hier irgendwie falsch an.
So sehr ich diese Raser verabscheue, es ist schon etwas anderes, ob jemand ganz bewusst einen Menschen zerstückelt oder gar eine Gruppe von Menschen mit einem LKW überfährt oder mit einer Bombe in die Luft jagt, oder ob jemand den Tod eines Menschen zwar in Kauf nimmt, diesen aber keineswegs beabsichtigt oder gar geplant hat.
Natürlich ist das Berliner Urteil nicht der erste Fall, bei dem die Verurteilung wegen Mordes und die daraufhin zu verhängende lebenslange Freiheitsstrafe unverhältnismäßig hart erscheint. Der BGH hat da äußerst kreativ, aber dogmatisch kaum, ach was, gar nicht sauber zu begründen, die sogenannte Rechtsfolgenlösung erfunden. Danach lässt der BGH bei außergewöhnlichen Umständen, trotz Vorliegens von Mordmerkmalen, auch Strafen von 3 bis 15 Jahren zu. Das ist zwar gegen den Gesetzeswortlaut, aber irgendwie im Ergebnis richtig.
Besser wäre es allerdings, wenn der Gesetzgeber das Dilemma lösen würde und endlich die bereits lange geforderte Reform des Mordparagraphen durchziehen würde. Warum soll es in einem Strafrecht, das nach der persönlichen Schuld differenziert, bei einem einzigen Delikt nur eine einzige Strafe geben? Was spräche dagegen, erst einmal Mord und Totschlag in einen Paragraphen zu packen und damit möglich zu machen, dass die Strafmilderungen beim minder schweren Fall des Totschlags auch bei einer Verurteilung wegen Mordes greifen könnten? Aber auf die mehrfach angekündigte Reform werden wir lange warten können. Eigentlich sollte das schon vor der Bundestagswahl erledigt werden. Ich hatte mich auch bereits mehrfach zu der geplanten Reform geäußert und die Ziele erläutert. War wohl nix.
Lächerliches Bußgeld für Rennen
Unabhängig von den Totrasern, für die man auch einen eigenen Tatbestand im Bereich der Verkehrsstraftaten schaffen könnte, muss die Politik sich überhaupt noch einmal Gedanken um das Rasen auf deutschen Straßen machen. Dass ein unfallfreies Rennen in der geschlossenen Ortschaft oder auch auf der Landstraße oder Autobahn lediglich eine Ordnungswidrigkeit ist, ist angesichts der Gefährlichkeit ein schlechter Witz. Das muss eine richtige Straftat werden, die mit Geld- und Freiheitsstrafe geahndet werden kann. Die Fahrerlaubnis muss solchen Verkehrsteilnehmern entzogen und darf erst dann wieder erteilt werden, wenn sie ein entsprechendes psychologisches Seminar absolviert haben und ein verkehrspsychologisches Gutachten vorlegen, dass ihnen bescheinigt, keine Gefahr mehr darzustellen. Vielleicht erreicht man damit, dass dieser Wahnsinn einmal ein Ende nimmt.
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