Wahl 2017 – Gabriel hat’s in der Hand
Unser Gastautor, Hellmut Lotz, analysiert den aktuellen Deutschlandtrend zur Wahl 2017.
So auffällig der fulminante Aufstieg der AfD ist, es handelt sich nur um ein Symptom. Andere Symptome, die zum selben Erscheinungsbild gehören, sind das Siechtum der SPD, der Abstieg der Union, der mangelnde Erfolg der Grünen und der Linken, die allgemeine Instabilität des Parteiensystems und die Überalterung der Parteimitglieder. Bevor ich eine Diagnose wage, zunächst zu den Daten.
Die Daten
Im jüngsten Deutschlandtrend, veröffentlicht am 5. Januar 2017, erhielt die AfD 15% der Stimmen. Das waren 2% mehr als im Vormonat und 6% mehr als im Vorjahr. Das heißt, dass die AfD ihren Stimmanteil binnen eines Jahres um zwei Drittel gesteigert hat. Was immer man von der AfD politisch hält, es handelt sich um eine erfolgreiche Partei mit einer kompetenten Kampagne.
Die SPD hat im Dezember noch einmal 2% verloren und befindet sich auf traurigen 20%. Ein Jahr zuvor waren es immerhin noch 24%. Seit 1998 hat die SPD die Hälfte ihres Stimmanteils verloren. Die Verluste der Union sind weniger dramatisch als die der SPD, aber ebenfalls katastrophal. 2% Gewinne im Vormonat stehen 2% Verluste im Verlauf des Vorjahres gegenüber. Wichtiger, seit 1983 hat die Union ein Viertel ihres Stimmanteils verloren, eine Tatsache, die nur deshalb in den Hintergrund rückt, weil der Zustand der SPD unvergleichlich schlimmer ist.
Ein Scheinriese
Wenn man den bundespolitischen Erfolgen der Union, die Niederlagen bei Landtagsund Kommunalwahlen gegenüber stellt, dann wird deutlich, wie instabil die Lage dieser Partei ist. Wie bei Jim Knopf, wenn man dem Riesen näher kommt und man ihn sich genau anschaut, dann wird er immer kleiner. Auch das Gleichnis des Riesen auf tönernen Füssen trifft zu. Anspruch auf den Status einer Volkspartei kann die SPD jedenfalls nicht mehr vernünftig rechtfertigen und angesichts der Niederlagen in allen Landtagswahlen mit der Ausnahme des Saarlandes, die Union auch nicht mehr. Der marode Zustand der ehemaligen Volksparteien scheint der AfD-Führung bewusst zu sein und ist der Dreh- und Angelpunkt ihrer Kampagnenplanung.
Im Gegensatz zur AfD profitieren die Grünen und die Linken von der Schwäche der ehemaligen Volksparteien nur wenig. Obwohl die ehemaligen Volksparteien und die FDP seit 1983 32% Stimmanteil eingebüßt haben, hat sich der Stimmanteil der Grünen um lediglich 4,9% erhöht. Hinzu kommen 9% an die Linke. Die Hälfte der Stimmanteilverluste der ehemaligen Volksparteien nutzt der AfD mit 15%.
Der Peter-Effekt?
Die Grünen haben in Deutschland in der ersten Dezemberhälfte bereits 1% verloren. Seit Weihnachten haben sie ein weiteres Prozent verloren. Es ist möglich, dass der letztere Verlust der Grünen auf die Äußerung Simone Peters zurück zu führen ist. Das wissen wir nicht. Zur Zeit liegen die Grünen im Deutschlandtrend bei 9%. 15% wären ein Traumergebnis für Bündnis 90/Die Grünen. Sie könnten sich also den Hass von 85% der Bevölkerung leisten und ihr Ergebnis trotzdem um zwei Drittel steigern. Eine energische Kampagne, die auf die Nische in der Wählerschaft zielt, der Bürgerrechte am wichtigsten sind, hätte vielleicht das Potential für einen grünen Wahlerfolg bei der Bundestagswahl. Hätten die Mandatsträger der NRW-Grünen Simone Peter nicht fertig gemacht, hätte ihre Äußerung auch zu einem positiven Ergebnis führen können. Schließlich setzte sich zu diesem Zeitpunkt keine andere Partei für Bürger- und Menschenrechte ein, die FDP nicht und die Linke erst recht nicht. Wie dem auch sei, der Zwist und der Streit der Grünen wird der Partei geschadet haben.
Nicht kampagnenfähig
Nach der Anfangszeit der Partei hat sich bei den Grünen ein Muster bei Meinungsumfragen und Wahlergebnissen herausgebildet. Sie erzielen stark Umfrageergebnisse zwischen Wahlen, die dann sinken, je näher es auf die Wahlen zugeht. Aufgrund der Datenlage müssen wir konstatieren, dass die Grünen nicht kampagnenfähig sind. Teilweise liegen sowohl die Stärken als auch die Schwächen am Verhalten der Medien und der anderen Parteien, teilweise an den Grünen selber.
Bis vor kurzem sympathisierten annähernd 70% deutscher Journalisten mit den Grünen. Zum Einen bedienten die Grünen die Zukunftsthemen der Menschheit, die sich gut in den Medien erzählen lassen, zum Anderen kommen Journalisten aus einem Milieu, dass den Grünen wohlgesonnen ist: Akademiker geisteswissenschaftlicher Fächer. Aber die Redaktionsleitung wird in der Regel von Leuten kontrolliert, die dort von der Union, der SPD und der FDP platziert wurden. Vielleicht durften Journalistinnen und Journalisten ihre Sympathien zwischen den Wahlen freier ausleben als zu den Wahlen, wenn die Chefredakteure und Intendanten sich erkenntlich zeigen wollen. Darüber hinaus stellen Grüne selten Bürgermeisterinnen oder Bürgermeister und profitieren deshalb weniger von Medienauftritten ihrer Mandatsträger.
Eins auf Tausend
Das Problem hat auch die FDP, die allerdings massiv von den Medienpersönlichkeiten der Wirtschaftsverbände und der Banken unterstützt wird.
Darüber hinaus setzt die geringe Anzahl ihrer Mitglieder dem Wahlkampf der Grünen natürlich Grenzen: ein Mitglied auf tausend Wählerinnen und Wähler.
Während es der AfD gelungen ist, müssen sich die Grünen fragen, warum sie nicht in der Lage sind, Klassenunterschiede und das Stadt-Landgefälle zu überbrücken. In Bezug auf Alter ist die Datenlage weniger offensichtlich, aber auch dort scheint die AfD besser verschiedene Gruppen zu vereinen und zu integrieren als die Grünen. Warum es den Grünen nach 33 Jahren nicht gelingt, Klassen- und Altersunterschiede oder das Stadt-Landgefälle so gut zu überwinden, wie die AfD in wenigen Jahren, ist eine wichtige Frage, die wir im Licht der Daten gründlich analysieren sollten.
Keine Botschaft
Traditionell haben sich die Grünen den Zukunftsthemen der Menschheit gestellt. Im Moment tun sie das nicht. Ich kann keine Botschaft erkennen, die dieser Tradition entsprechen würde. Was ist die Botschaft der Grünen für die Landtagswahlen im Saarland, in Nordrhein-Westfalen oder bei der Bundestagswahl? Wir sind ein wenig cooler als die ehemaligen Volksparteien?
In Anbetracht der Schwäche der Union und der SPD hat das 2016 sogar funktioniert, aber sobald es in den Wahlkampf geht, werden die anderen Parteien mit ihren überlegenen Ressourcen die Grünen vielleicht wieder überwältigen und ihnen die Stimmgewinne wieder entwenden. Selbst wenn nicht, gegen eine Partei mit einer aggressiven und klaren Botschaft, wie die AfD mit einer gebildeten und selbstbewussten Führung, die vorsichtig kalkuliert und plant und energisch umsetzt, kann man mit einem Imagewahlkampf nicht bestehen. Zwar werden die Grünen kaum Stimmen an die AfD abgeben, aber der schwache Wahlkampf der Grünen wird die Anhängerinnen und Anhänger der Rechtsautoritären ermutigen.
Bemühungen ein Tabu gegen Rechts herzustellen werden mit einem Imagewahlkampf scheitern.
Thema Menschenwürde
Dazu müssten die Grünen die Menschenwürde zum Thema machen. Nach der Agendapolitik wäre das schwierig und mit dem jetzigen grünen Personal ist das nicht denkbar.
Links klemmt’s
Zur Linken beschränke ich mich auf die Beobachtung, dass diese Partei drei Führungspersönlichkeiten besitzt, die zwar jede Talkshow, aber keine Stimmen gewinnen. Sahra Wagenknecht, Gregor Gysi und Oskar Lafontaine machen also eine Menge richtig, aber es funktioniert trotzdem nicht. Das ist ein faszinierendes Paradox, das genauer Analyse bedarf. Es berechtigt zu der Annahme, dass die Linke ihr Potential ebenso wenig realisiert wie zur Zeit Bündnis 90/Die Grünen.
Die Umfrageergebnisse der AfD steigen immer dann, wenn sie eine Sau durchs Dorf jagen kann: die Bankenrettung während der sogenannten Eurokrise, die Muslimphobie Pegidas, die Flüchtlingskrise und die wiederholte Silvesterkrise. Diese Möglichkeit besteht für die AfD zum einen an ihrer Methode der Provokation und Aggression, zum anderen daran, dass die Parteienbindung abgenommen hat. Deshalb können Moden und Tagesgeschehen zu erheblichen Ausschlägen in der öffentlichen Meinung und im Wahlverhalten führen.
Instabiles Wählerverhalten
Die AfD ist nicht die erste Partei, die von der Instabilität des Wählerverhaltens profitiert. In der Vergangenheit waren Wahlergebnisse in der Bundesrepublik so stabil, dass sie erst 1998 einen Regierungswechsel herbeiführten. Zwischen 1948 und 1994 wurden Regierungen
ausschließlich durch neue Koalitionen und nie wegen Wahlergebnissen gewechselt. Mittlerweile ist das Wählerverhalten so instabil, dass die FDP 2009 das beste Ergebnis ihrer Geschichte erzielte, nur um bei der nächsten Bundestagwahl 2013 mit ihrem schlechtesten
Ergebnis aus dem Bundestag auszuscheiden. In derselben Legislaturperiode erlebten wir den Aufstieg und den Zusammenbruch der Piratenpartei, der es immerhin gelang, in vier Landtage einzuziehen.
Bis vor wenigen Jahren hatte der amerikanische politische Soziologe und Demoskop Ron Inglehart von der University of Michigan eine hinreichende Erklärung, um die zunehmende Instabilität im Wahlverhalten der Bevölkerungen zu erklären. Inglehart erklärte, dass die Menschen in Angloamerika und Westeuropa materiell so gut gestellt wären, dass wirtschaftliche Sicherheit eine geringere Rolle spielen würde und dass über materielle Bedürfnisse hinaus kulturelle, soziale und intellektuelle Bedürfnisse verfolgt würden. Dies habe zu einem Wertewandel geführt, den Inglehart als Postmaterialismus bezeichnet.
Angesichts der Tatsache, dass breite Schichten der Bevölkerung in den OECD Ländern, auch in Deutschland, wieder unter Armut leiden, gehe ich davon aus, dass diese Entwicklung zwar noch nachhallt, aber nicht länger unser Bewusstsein prägen kann. Im Gegenteil, ich kann keine Partei sehen, die in Deutschland die Interessen der Menschen kompetent vertreten würde, die von Arbeit leben muss. Vom Hilfsarbeiter bis zur Fachärztin wird der Löwenanteil der Wählerschaft wahrscheinlich nicht mehr parlamentarisch vertreten, jedenfalls nicht wirksam.
Die SPD ist am Zug
Wer immer die AfD klein kriegen will, muss für höhere Löhne und Renten kämpfen. Das wäre nicht nur die Aufgabe der SPD, sondern auch der Union. Aber solange es die SPD nicht macht, braucht es auch die Union nicht zu tun. Auch die Grünen müssen sich überlegen, welche Menschen sie vertreten wollen. Ihre traditionellen Stärken bieten viele Gelegenheiten, angefangen bei den Kindern und Kindeskinder der Einwanderer bis zu den Jungwählerinnen und Jungwählern, die auf eine Partei warten, die sich endlich mutig und stark um das Artensterben und den Klimawandel kümmert. Wenn die SPD und die Union die Interessen ihrer Wählerschaft zuverlässig vertreten würden, dann würde die Wählerbindung gestärkt. Es wäre dann auch möglich, den Menschen zu sagen, dass sie sich nicht von ihren Ängsten vor Fremden leiten lassen sollen, sondern von ihren Interessen, die sie gemeinsam in ihrer Partei verfolgen und verwirklichen können. Der Erfolg der AfD beruht letztendlich auf Opportunismus: ihre Führung nutzt die Gelegenheiten, welche die ehemaligen Volksparteien geschaffen haben als sie ihre Wählerschaft im Stich ließen. Das könnte Sigmar Gabriel ändern, wenn er wollte. Und die Union müsste der SPD früher oder später folgen. Wenn die SPD Führung sich weiterhin weigert, ihre Wählerschaft zu vertreten, dann wird sich ihr Abstieg fortsetzen. Davon wird in erster Linie die AfD profitieren.
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