Durch das Dunkel ins Licht? Das Krisenalbum in der zeitgenössischen Musik

In seiner neuen Hörmal-Kolumne beschäftigt sich Ulf Kubanke u.A. mit Nick Cave, Herbert Grönemeyer und Alben, die aus persönlichen Krisen und Tragödien entstehen. Doch keine Angst: Die Kolumne ist kein Downer und wartet zum Ende sogar mit einem echten Geheimtipp auf.


Es gibt Platten, die nehmen Hörer wie Autor gleichermaßen mit. Wohlgemerkt: Ich spreche nicht von “mitreißen”. Das tun sie ohnehin. Nein, sie fordern und verlangen dem Konsumenten, dem Kritiker und überhaupt jedem emotional so viel ab, dass jeglicher Versuch routinierter Einordnung ins Schema Popkultur von vorn heran gescheitert scheint.

Ich spreche von Alben, die existentielle Krisen, Tragödien, Schicksalsschläge oder den Tod des Künstlers in schonungsloser Offenheit dokumentieren und verarbeiten. Dachte man bereits, David Bowies „Blackstar“ sei hier untopbar – und das ist es wohl auch auf ewig – zieht Nick Caves „Skeletron Tree“ hier in punkto Intensität gleich. Als Caves Sohn 2015 tödlich verunglückte, befand er sich inmitten des Entstehungsprozesses. Nach monatelanger Unterbrechung entschied man sich für eine Fortsetzung der Arbeit. Nun steht die Platte in den Läden und verkörpert auch für das Publikum eine größere Überforderung als womöglich erwartet.

Nun liegt dies nicht etwa an mangelnder Qualität. Im Gegenteil: Musik und Texte liefern den gewohnt edlen Standard des Hauses Cave. Das bedeutet: Es ist verdammt gut gemacht und bietet so viel komplexe Details, dass man der Platte nicht binnen weniger Tage Herr zu werden vermag.

Und dennoch!

Die größte Stärke – ihre Intensität – ist leider auch – nun, nicht etwa ihre größte Schwäche, wohl aber ihr Fluch. Denn es ist die Zweckgebundenheit als Requiem und als Doku des Schmerzes, die hier knallhart zu Buche schlägt. Als Unterhaltung funktioniert es nicht. Dafür ist die Qual zu real, zu stark, zu unentrinnbar. Vieles, was bislang im Katalog mit wohligem Schauer genossen werden konnte, gerät nun mit in diesem Strudel deprimierender Realität. „The Firstborn Is Dead“, „The Good Son“, „The Weeping Song“ oder sein launiges, von Bob Dylan geborgtes „Death Is Not The End“ wirken auf einmal wie makabre Boten späteren Unheils. Das mag sich hoffentlich wieder ändern. Doch zumindest momentan imitiert das Leben hier so sehr die Kunst. Ein unbelastetes, offenes Hören ist zumindest mir derzeit kaum möglich.

Zwar ist es noch immer möglich, die künstlerische Leistung von „Skelteton Tree“ würdigend wahr zu nehmen. Ganz besonders Warren Ellis, seit Jahren Caves Intimus und künstlerischer Reibungspunkt, erweist sich als ebenso kreativer wie fürsorglich ordnender Turm in dieser Schlacht mit der Trauer. Indes: Es gibt auch noch den Empfängerhorizont. Und der ist eben in Timing wie Offenheit ein rein individueller.

Denn dieses Album öffnet Türen zu jenen finstren Korridoren zwischen Herz, Bauch und Hirn, zu denen man die Schlüssel vielleich nicht weggeworfen hat; wohl aber sicher verwahrt und abgeschottet. Jeder Lauschende wird von Null auf Hundert so stark mit dem größten denkbaren Alptraum konfrontiert. Man befindet sich unweigerlich auf einmal selbst inmitten dieses Bassins erlittener Verluste und erlebten Horrors. Natürlich kann man dies der Kunst keine Sekunde vorwerfen. Denn es ist nicht nur legitiim, sondern ebenso eine Aufgabe der Kunst, das Publikum zu berühren. Ob man dies vor dem heimischen Player jedoch als willkommene Katharsis wahrnimmt oder als traumatisierten Downer, der im falschen Augenblick massenhaft inneres, unverarbeites Gefühlsporzellan schreddert, ist stets fifty-fifty. Dem einen eventuell eine große Hilfe; für andere noch der letzte Kick gen Abgrund. Insofern überlege man sehr genau, ob man sich und wann man sich diese Lieder zu Gemüte führt.

Somit kann man diese Platte nur sehr vorsichtig empfehlen und nur sehr umsichtig konsumieren. Denn allein der aus jeder Note, jedem Ton hervorblutende Schmerz unvorstellbaren Ausmaßes wird für all jene kaum ertragbar sein, die den großen Australier seit langer Zeit mögen. Um hier jedem einzelnen Leser die Entscheidung zu überlassen, verlinke ich bewusst keinen Track von „Skeleton Tree“. Stattdessen wähle ich für die nun folgende Verlinkung zwei Lieder aus, die zum besten gehören, was die 80er/90er songwriterisch wie atmosphärisch weltweit hervorbrachten.

Nick Cave – “Red Right Hand”

Caves Hommage an John Miltons “Paradise Lost”. Der Groove ist dermaßen unwiderstehlich. Kein Wunder, dass der Song auf zahlreichen Soundtracks immer wieder Verwendung findet.  Auch die Coverversionen von Kollegen wie Arctic Monkeys oder Giant Sand können sich sehen lassen. “On a gathering storm comes a tall handsome man, in a dusty black coat with a red right hand.

Nick Cave – “Stranger Than Kindness”

Ausgerechnet die staubige, an Ayer’s Rock erinnernde Wüstengitarre ist deutsch. Blixa Bargeld (Einstürzende Neubauten) war viele Jahre lang kongenialer Partner und Saitenhexer der Bad Seeds. Deutlich hört man, wie sehr diese beiden Individualisten einander musikalisch ergänzen. Das Lied selbst atmet eine endzeitliche Erotik mit dunklem Down Under-Western-Touch. Leidenschaft trifft Desillusion. Cave  klingt wie ein uralter Revolvermann, der seit Äonen die Einöde durchstreift. Sehr Roland Deschain! “I’m a stranger…..I’m a stranger….to kindness.”

 

So schwer es nach diesen Burnern fällt; kommen wir dennoch zurück zum Ausgangsthema. Es lohnt sich. Denn nicht jedes Krisenalbum ist so tragisch zweckgebunden. Es gibt Gegenbeispiele, die sich ein positives Eigenleben erobern.

Herbert Grönemeyer – “Mensch”

Besonders im deutschsprachigen Raum denkt man hier sicherlich zuerst an Herbert Grönemeyers “Mensch”. Nach dem innerhalb weniger Tage erfolgten Tod seiner Frau und seines Bruders zog er sich jahrelang zurück. Ein Grund, sich wieder dem Songwriting zu zu wenden, war für ihn die Befürchtung, schlussendlich auch die Musik zu verlieren. Die Platte selbst ist sein mit Abstand bestes Album im Katalog. Dem Grundton nach sind diese Lieder weniger offensiv. Die Trauerverarbeitung wird lediglich angedeutet. Sie bleibt als tiefroter, dabei zurückhaltender Faden präsent. Auf diese Weise lässt Gröni den Noten und Zeilen viel eigenen Spielraum. So hebt sich die Gebundenheit an die tragische Ursache restlos auf. Das Titelstück ist diesbezüglich ein echtes Meisterwerk des Pop. Man kann es in stiller Nachdenklichkeit ebenso genießen, wie auch als Partyklopper für alle Hörerschichten. Hier kommt “Mensch”.

Gibt es auch Krisenplatten mit Happy End?

Klar!

Eine meiner ewigen Lieblingsscheiben ist das grandiose “Letters To A Dream” der australischen alternative Songwriterikone Louis Tillett.

Louis Tillett – “Letter To a Dream”

Tillett ist ein ebenso sensitiver wie kraftvoller Songwriter. Bis zum Rand gefüllt mit Blues und Neoklassik. Alle Emotion, aller Kampf gegen die innere Dunkelheit ist authentisch. Mit den folgenden zwei Stücken und der gesamten CD schrieb er 1992 gegen suizidalen Drang samt Hardcore-Depression an und obsiegte. Der Mann schrieb, spielte und sang buchstäblich um sein Leben. Kunst kann eben doch Leben retten! “We’re setting sail to ride the night in a ship of dreams…dream on!”

Der zweite Track ist passenderweise eine Vertonung Dylan Thomas‘ kämpferischen “Do Not Go Gentle Into That Good Night”. Tillett überlässt die Vocals der charismatischen Mary Ellen Stringer, die das gesamte Lied lässig erobert. Und was auch böte sich als Schlussatz dieser Kolumne besser an als

“Rage, rage against the dying of the light!”

 

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Ulf Kubanke

Ehemaliger Anwalt; nun Publizist, Gesprächspartner und Biograph; u.a. für Deutschlands größtes Online-Musikmagazin laut.de.

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