Der Wehrpflicht-Artikel
Auch fehlende Pflichten diskriminieren. Zeit, den Dienstpflicht-Artikel im Grundgesetz zu überarbeiten.
Die Diskussion um das Zivilschutzkonzept der Bundesregierung hat wieder in Erinnerung gerufen, dass die Wehrpflicht in Deutschland nur ausgesetzt und nicht abgeschafft ist. In der Tat regelt Artikel 12a des Grundgesetzes die Wehrpflicht in Deutschland so, dass der Staat nicht zwangsläufig Personen zum Wehrdienst heranziehen muss – er ist sozusagen nicht zur Durchsetzung der Wehrpflicht verpflichtet.
Der Artikel 12a ist ohnehin ein recht lustiger Artikel, der eigentlich dringend geändert werden muss – allerdings nicht, um die Wehrpflicht abzuschaffen. Das Wort „Wehrpflicht“ taucht darin streng genommen gar nicht auf, nur einmal, in Satz 3, ist von den „Wehrpflichtigen“ die Rede. Ansonsten spricht der Artikel vom Wehrdienst, aber auch das erst im Satz 2.
Von Dienst ist hingegen viel die Rede in diesem Artikel, und zwar von einem Dienst, zu dem manche Menschen verpflichtet sind. Eigentlich ist er ein Dienstpflicht-Artikel, der regelt, wer wann zum Dienst für die Allgemeinheit verpflichtet werden darf. Da geht es um Wehrdienst, um Kriegsdienst, um Ersatzdienst, um „zivile Dienstleistungen“ und um „öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse“, zu denen manche Menschen verpflichtet werden können. Im Satz 1 wird dieser Dienst (vermutlich ist das die indirekte Definition von Wehrdienst) benannt als „Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband“.
Eigentlich geht es also um viel mehr, als um die Pflicht, das Land gegen Feinde zu verteidigen. Wehrpflicht – das ist die Pflicht, Gefahren für alle abzuwehren.
Wer ist zu diesem Dienst verpflichtet, der ja immerhin auch den Dienst im Zivilschutz, mithin also das, was uns im aktuellen Zivilschutzkonzept interessiert, umfasst?
Männer
Ja, das allererste Wort in diesem Grundgesetz-Artikel lautet Männer. Gut, das haben wir irgendwie schon lange gewusst, denn ausschließlich junge Männer wurden ja tatsächlich zum Wehrdienst verpflichtet, mussten, im Gewissenskonfliktfall, den Kriegsdienst verweigern, um dann Ersatzdienst zu leisten – wobei man sich da schon wieder fragt, warum die nicht einfach ihren „Wehrdienst“ in einem „Zivilschutzverband“ geleistet haben – aber das ist eine andere Geschichte.
Wenn man jedenfalls heute diesen Artikel mit dem Abstand eines guten halben Jahrzehnts von der letzten Dienstverpflichtung junger Männer liest, fragt man sich vor allem: Warum Männer?
Das zeugt natürlich von einem sehr altmodischen, veralteten Geschlechterbild aus der Zeit, in der dieser Artikel ins Grundgesetz kam, das ist jetzt fast 60 Jahre her. Eigentlich müssten Feministinnen heute Sturm laufen gegen diese Ungleichberechtigung.
Frauen
Widerstand hat es tatsächlich schon gegeben gegen diese Benachteiligung der Frauen. Im Absatz 4 des Artikels kommen Frauen nämlich von Anfang an vor: Sie können, wenn es im Verteidigungsfalle nicht genug Männer in für den Sanitätsdienst- und Heildienst gäbe, schon immer zum Pflastern und Spritzen herangezogen werden. Aber das Ergreifen und Benutzen einer Waffe war ihnen bis zum Jahre 2000 grundgesetzlich untersagt. Erst nachdem der Europäische Gerichtshof darin einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz entdeckt hatte, wurde das Verbot gelockert – nun heißt es ausdrücklich, dass niemand die Frauen zum Schießen und Kämpfen verpflichten darf.
Das Recht zur Pflicht
Aber ist nicht auch das Verwehren einer Pflicht eine Art mangelnde Gleichberechtigung? Nicht von Ungefähr steht der Artikel 12a bei den Grundrechten, und nicht bei den Pflichten im Grundgesetz. Man könnte sich fragen, wer hier mehr diskriminiert wird, die Männer, die ihre gewissensbedingte Unfähigkeit zum Kämpfen erst einmal nachweisen müssen, oder die Frauen, denen man implizit unterstellt, dass sie es wohl eh nicht fertigbringen, einen anderen Menschen im Ernstfall und im Einsatz für das Mutterland zu töten.
Auch die Unterstellung, dass man bestimmten Menschen auf Grund ihres Geschlechts eine bestimmte Pflicht auf keinen Fall zumuten darf, diskriminiert. Und warum sollten Frauen nicht wie Männer zum „Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband“ verpflichtet werden können? Trauen wir Ihnen die pflichtgemäße Ausführung eines solchen Dienstes nicht zu?
Deshalb, liebe Feministinnen und Männerrechtler, lasst uns jetzt, wo es ohnehin gerade nicht ernsthaft um Einberufungen zur Wehrpflicht geht, gemeinsam für eine Änderung des Artikels 12a des Grundgesetzes kämpfen. Wir könnten ihn ordentlich kürzen, ihn klar und einfach schreiben, wie es sich für einen Grundrechtsartikel gehört. Und er sollte deutlich zu einem allgemeinen Dienstpflicht-Artikel werden, der regelt, wann wir als Bürger verpflichtet sind, unsere eigenen Ziele hintenan zu stellen und Dienst für die Allgemeinheit zu leisten.
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