Ein Experte

Ganz gleich was auf der Welt geschieht, unsere Medien haben immer schnell einen „Experten“ zur Hand. Wer sind eigentlich diese „Fachleute“?


Zu dem Thema sprechen wir mit unserem Terrorexperten, XY. Haben Sie bestimmt auch schon mal gehört. Interessant ist, dass es sich bei diesen Gesprächspartnern in den seltensten Fällen tatsächlich um Forscher oder auch nur Fachleute handelt, sondern häufig um ganz normale Journalisten. In den Printmedien ist das nicht anders. Einer dieser „Experten“ ist Klaus Kelle.

Ich schätze den Journalisten – übrigens auch keine geschützte Berufsbezeichnung – Klaus Kelle, mit dem ich seit Jahren bei Facebook befreundet bin. Sein Blog, denken-erwünscht.com, gehört zu meiner regelmäßigen Lektüre. Dabei bin ich zwar nicht immer seiner Meinung, aber er äußert seine eigene Meinung, begründet die und bedient sich einer klaren Sprache. Das ist schon mal ein Wert für sich. Lesenswert.

Kelles Selbstbeschreibung lautet:

Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs.

Klaus Kelle publiziert seine Meinung  auch häufiger beim FOCUS, was ich ihm von Herzen gönne. Und auch da sagt er eine Meinung. Aber das ist plötzlich viel mehr als die Meinung von Klaus Kelle, es ist die Meinung eines „Experten“. Okay, kann ja sein, dass er Experte ist, aber kann jemand für nahezu alle Themen „Experte“ sein? Beim FOCUS offenbar ja.

Klaus ist Experte für den Türkeiputsch , für Sicherheit gegen Datenschutz  , für Sterbehilfe  , für Asylrecht  , für Erziehung und Familie  , für Amerika und vieles mehr. Jedenfalls stellt der FOCUS das so dar.

Und da sehe ich ein Problem. Auf meine Frage, für was er denn Experte sei, antwortete Klaus Kelle glaubhaft:

Ich bin Experte für logisches Denken und für Freiheit.

Universalgenie?

Das mag nach seiner Selbsteinschätzung und Ausbildung als Redakteur so sein. Aber warum wird er dann vom FOCUS als Universalexperte für nahezu alles herangezogen? Ist er ein Universalgenie wie Goethe? Hab ich da was verpasst? Oder haben die beim FOCUS zu den einzelnen Themen keine wirklich fachkundigen Autoren.

Also z.B. einen Menschen, der 20 Jahre in der Türkei gelebt und geforscht hat, einen Datenschutzexperten, der sich mit Datenschutztechnik und den Umgehungsmöglichkeiten und Risiken auskennt, jemanden, der auf dem Gebiet der Sterbehilfe z.B. in Belgien oder den Niederlanden geforscht oder gearbeitet hat, einen Asylrechtsspezialisten, einen Erziehungswissenschaftler, einen Amerikanisten?

Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich freue mich, wenn Klaus Kelle sich zu diesen Themen äußert und seine Meinung sagt. Auch dass der FOCUS das breit-flächig verbreitet und hoffentlich angemessen bezahlt.

Siegel ohne Wert

Aber ich halte es nicht für gut und richtig, wenn diese persönliche Meinung eines Journalisten und Bloggers, mit dem Expertensiegel versehen wird. Dadurch bekommt diese ganz persönliche Meinung ein Prädikat, das sie unangemessen aufwertet. Das ist dem Leser gegenüber unredlich, und es entwertet gleichzeitig das Urteil wirklicher Fachleute zu diesen Themenbereichen.

Als Strafverteidiger ist man es gewöhnt, auch gerichtlich bestellten Sachverständigen im Hinblick auf ihre Expertise auf die Finger zu schauen. Da fragt man nach Ausbildung, Veröffentlichungen, praktischer Erfahrung etc. Ich erinnere mich an einen psychologischen Sachverständigen, der meine Frage nach seiner Erfahrung mit Missbrauchsopfern so beantwortete:

Ja, wenn sie mich so brutal fragen. Das ist mein erster Fall.

Schöner Experte.

An den Begriff des Experten werden bestimmte Erwartungen geknüpft, auch wenn diese Bezeichnung völlig ungeschützt ist und jeder sich zum Experten ernennen könnte, für was auch immer.

Warum schreibt der FOCUS statt „unsere Experte“ nicht einfach „unsere Kolumnist“ oder „Kommentator“? Würde dadurch der Artikel weniger gelesen oder weniger ernst genommen? Weniger wert?

Klaus Gegenfrage:

 Für was bist Du denn Experte?

habe ich übrigens so beantwortet:

Rechtsexperte. Ich habe das studiert, mit 2 Examina abgeschlossen und seit 29 Jahren praktiziert. Lasse mich gleichwohl nicht so bezeichnen.

Und dabei soll es auch bleiben. Ich melde mich zwar auch zu jedem Thema, das mich persönlich beschäftigt, aber immer nach dem Motto der Kolumnisten:

Persönlich. Parteiisch. Provokant.

Da weiß gleich jeder wo er dran ist. Und dabei soll es auch bleiben.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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