Bedeutungslose Debatte
Was gehört nun wirklich zu Deutschland? Kolumnist Hasso Mansfeld schaut genauer nach und hinterfragt, warum die Debatte ausgerechnet immer dann so hitzig wird, wenn es um den Islam geht.
Das Sauerkraut gehört zu Deutschland. Die Currywurst gehört zu Deutschland. Der Döner gehört zu Deutschland. All das Aussagen, über die sich Streit kaum lohnen würde. Aussagen, die wohl die meisten Leser auch erst mal als faktisches Statement, nicht als eine Lobesbekundung oder Fürsprache auffassen würden.
Und wie diverse Speisen gehören auch der Klimawandel und die Leugnung des Klimawandels, der Nationalsozialismus und der Antifaschismus, Monarchie, Diktatur und, seit Neuerem, auch Demokratie zu Deutschland. Keine Widerworte?
Seit Wulff dreht sich die Diskussion im Kreis
Nur wenn man den Islam in diese Liste aufnimmt, wird die Debatte plötzlich hitzig.
Und das aus nachvollziehbaren, wenn vielleicht auch nicht ganz durchschauten Gründen. Denn als der damalige Bundespräsident Christian Wulff verkündete, dass mittlerweile der Islam zu Deutschland gehöre, war das ja gerade nicht im Sinne einer Auflistung von Dingen gemeint, die seit einer längeren oder kürzeren Zeitspanne im Gebiet der Bundesrepublik existieren und daher selbstverständlich als zu Deutschland gehörig zu betrachten sind. Sondern als qualitatives Statement, frei nach Wowereit: „Der Islam gehört zu Deutschland. Und das ist auch gut so.“
Seit Wulff dreht die Diskussion sich im Kreise und der ein oder andere scharfsinnige Vordenker der vielzitierten „westlichen Werte“ rotiert wahrscheinlich im Grabe. Weder die Pro- noch die Contrafraktion zum Thema „Deutschland und der Islam“ beherzigen, dass es, ehe man urteilt, erst einmal gelten sollte, die verwendeten Begriffe genau zu prüfen, und sich zu fragen, inwiefern sie zu einer lösungsorientierten Diskussion überhaupt beitragen.
Nein: Während unter anderem mit Sigmar Gabriel sowie, tatsächlich lange vor den Anschlägen auf „Charlie Hebdo“ auch bereits Bundeskanzlerin Angela Merkel, führende Politiker die wohlfeile Äußerung nachplapperten, mehrten sich als Reaktion darauf ebenso zahlreich und mit tendenziell noch mehr Pathos die Gegenstimmen, die nun verkündeten: „Nein! Der Islam gehört nicht zu Deutschland.“
Und all dem die Krone auf setzte zuletzt wiederum Merkel, die meinte, mit einem sophistischen Taschenspielertrick nun alle Fraktionen zufriedenstellen zu können: Es gehöre nämlich zwar der Islam zu Deutschland, keinesfalls aber der Islamismus.
Rosinenpickerei und kollektivistische Migrationspolitik
Diese Volte ist feige, weil sie nichts anderes als eine opportunistische Rosinenpickerei darstellt. Weiter ist da schon der Islamforscher Bassam Tibi, der der „FAZ“ zufolge schlüssig darlegt, warum, wenn der Islam zu Deutschland gehöre, selbstverständlich auch der Islamismus zu Deutschland gehören muss: „Sie leben hier. Wir müssen uns mit ihnen auseinandersetzen.“
Recht hat er. Man sollte meinen, dass die langjährige Verdrängung deutscher Verantwortlichkeit für die Verbrechen des Nationalsozialismus heutige Generationen gelehrt hätte, dass Probleme sich nicht durch Totschweigen lösen lassen. So wenig es legitim ist, zwar der deutschen Romantik, dem Wartburgfest und dem Lyriker Stefan George zu huldigen, aber den Nationalsozialismus aus der deutschen Geschichte auszuklammern, so wenig können wir den Islam rhetorisch umarmen, und dabei den Islamismus als nicht dazugehörig aus deutschen Landen verschieben. Der Islamismus ist hier. Er ist verachtungswürdig. Er muss hier bekämpft werden.
Doch zielführenden Debatten weicht der Eiertanz, der um die Frage des zu oder nicht zu Deutschland gehörigen Islams regelmäßig veranstaltet wird, mit beeindruckender Beweglichkeit aus. Denn hier wird regelmäßig ein gar nicht zufriedenstellend beantwortbarer Nebenaspekt zum Kern der Debatte erklärt, was letztlich nur dadurch gelingen kann, dass dem Prädikat „zu Deutschland gehörig“ per se eine positive Konnotation beigelegt wird. „Der Islam gehört zu Deutschland“ heißt dann: „Ich finde den Islam im Großen und Ganzen o.k.“ „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ drückt spiegelbildlich eine Ablehnung des Islam an sich aus.
Gütesiegel „Gehört zu Deutschland“
Die obigen, aus der jüngeren deutschen Geschichte herausgegriffenen Beispiele sollten mehr als deutlich gemacht haben, dass es ein derartiges generelles Gütesiegel „Deutschland“ weder für den Islam noch für irgendein anderes zu Deutschland gehöriges Phänomen geben kann.
Mehr als das aber: Die Debatte über die Zugehörigkeit wird auf diese Weise von Anfang an als kollektivistische geführt. Hier steht das Kollektiv der Islam/die Muslime, dort das Kollektiv Deutschland, und irgendwie soll nun Ersteres in Zweitem mehr oder minder sauber aufgehen. Migranten als Individuen, die sowieso schon fälschlicherweise viel zu oft durch leichtfertige Zuschreibungen zu Muslimen gemacht werden, kommen nicht vor. Ebenso wenig all die Menschen mit einem deutschen Pass, die den implizit in der rauf und runter gebeteten Phrase enthaltenen euphorischen Deutschlandbezug nicht teilen.
Nein, liebe Islamfreunde und Islamgegner: „Gehört zu Deutschland“ ist keine qualitative Aussage, kann keine qualitative Aussage sein und ist höchstens als rein faktisches Statement in irgendeiner Weise sinnhaltig. Dann aber lohnt es sich nicht, sich darüber die Köpfe heißzureden.
Dumme Formel, aus politischer Faulheit geboren
Warum aber tut man es dennoch? Es sollte doch nicht allzu schwer sein, zu durchschauen, wie hohl die Rede vom Islam und seiner Zugehörigkeit ist: Es handelt sich um eine dumme Formel, geboren aus politischer Faulheit. Ich möchte weder Christian Wulff noch Sigmar Gabriel noch Angela Merkel noch Kritikern wie Stanislaw Tillich, der zuletzt betonte, Muslime seien zwar in Deutschland willkommen, aber keinesfalls gehöre der Islam zu Sachsen, böswillige Absichten unterstellen.
Mir scheint, die Sache ist deutlich einfacher gelagert: Es ist unglaublich bequem, in Phrasen zu reden. Auf lange Sicht kann das fatale Ergebnisse zeitigen, weil eine differenzierte Debatte über die Haltung eines demokratischen Rechtsstaats zur derzeit in ihren Extremen von allen Religionen eindeutig am aggressivsten auftretenden nicht geführt wird. Denn was Politiker, die sagen: „Der Islam gehört zu Deutschland“, eigentlich meinen, ist ja wahrscheinlich eher etwas in diese Richtung:
„Auch wenn man die Bedrohung durch islamistischen Terrorismus nicht hoch genug veranschlagen kann, so ist es doch wenig zielführend, zu generalisieren, im Zuge von gerechtfertigter Religionskritik auch überwunden geglaubte fremdenfeindliche Ressentiments wieder aufkommen zu lassen, und überhaupt war Angst schon immer ein schlechter Ratgeber.“
Und jene, die vehement auf der Nichtzugehörigkeit beharren, wollen vielleicht viel eher sagen: „Gut und schön. Aber islamistische und orthodox muslimische Gruppen sind bestrebt, gewisse Einflüsse auf der Straße und in den Institutionen der Republik zu erlangen. Bestrebungen, die übrigens auch längst nicht allen unter die Muslime subsumierten Migranten schmecken.
Ganz zu schweigen von Flüchtlingen aus der islamischen Welt, die hier vor islamistischem Terror Schutz suchen. Darüber muss gesprochen werden, es müssen klare Grenzen gesetzt werden.“ Vielleicht möchten beide Seiten auch etwas ganz anderes sagen. Dann sagt es doch! Aber versteckt eure politische Faulheit nicht hinter einer hohlen Phrase.
Migrationspolitik der Verdrängung
Denn das Kreisen um Lippenbekenntnisse muss beendet werden, egal welche Haltung zu Migration, Islam oder gar Islamismus man an den Tag legt. Die deutsche Migrationspolitik war meist eine der Verdrängung. Erst vertraute man darauf, dass Millionen Gastarbeiter nicht kommen würden, um zu bleiben, steckte sie in Gastarbeitersiedlungen und begünstigte das Entstehen abgesonderter Migrantenviertel.
„Deutschland ist kein Einwanderungsland“ blieb lange kontrafaktisch die ausgegebene Losung. Dann begann man, erst zögernd, bald umso eifriger, sich der Thematik zu stellen, indem man statt an Menschen mit Migrationshintergrund als Individuen mit Zielen und Bedürfnissen an kulturell oder ethnisch festgeschriebene Kollektive herantrat. So wurden aus türkischen Migranten mit kemalistischem, liberalem oder auch marxistischem Hintergrund – „die Muslime“. Und als sei das nicht genug, bestimmt heute ein Kollektivsubjekt namens „der Islam“ fast alle Debatten zum Thema Migration.
Schluss damit. Der Islam gehört zu Deutschland. Der Islamismus gehört zu Deutschland. Beides ist Fakt, beides ist bedeutungslos. Beides sind keine qualitativen Aussagen.
Fangen wir endlich an, über die wichtigen Dinge zu reden.
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