Wahlalter senken?
Es wird mal wieder über das Wahlalter diskutiert. Dieses mal in NRW. SPD, Grüne und Piraten möchten das Wahlalter für Landtagswahlen auf 16 Jahre senken. In anderen Bundesändern gibt’s das schon. CDU und FDP haben Vorbehalte. Ein Grund sich mal etwas genauer mit dem Wahlalter zu beschäftigen.
Das Thema Wahlalter ist ein alter Hut. In den 60er Jahren musste man noch 21 Jahre alt sein, um wählen zu dürfen. Den jüngeren traute man nicht zu, verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen. Okay, die durften bzw. mussten zur Bundeswehr und hätten sich als Wehrpflichtige auch für die Bundesrepublik erschießen lassen dürfen, aber mitentscheiden, ob denn gekämpft werden muss, sollten sie nicht. Das kann man für ziemlich unfair halten.
Es gehörte zum großen „Mehr Demokratie wagen“-Programm Willy Brandts, das Wahlalter auf 18 Jahre zu senken – und so kam es dann ab 1970. Das waren damals noch Jugendliche. Denn das Volljährigkeitsalter wurde dann erst 1974 von 21 auf 18 gesenkt. Bei der Bundestagswahl muss man immer noch 18 sein. In manchen Bundesländern darf bei Kommunal- und Landtagswahlen schon ab 16 gewählt werden.
Es scheint also schon mal nichts Grundsätzliches dagegen zu sprechen, Nichtvolljährigen das Wahlrecht zu geben. Aber an was macht man das Wahlalter fest? Ist das Wahlrecht an bestimmte Eigenschaften des Wählers gebunden? Ist wirklich eine bestimmte Reife erforderlich? Müssen Wahlberechtigte über Einsichtigkeit und Verantwortungsbewusstsein verfügen?
Wenn man sich dem Thema mal von der anderen Seite der Alterspyramide nähert, sieht man, dass das einmal erlangte Wahlrecht einem Bürger auch dann erhalten bleibt, wenn ein ganz erheblicher, altersbedingter Abbau auch geistiger Fähigkeiten längst stattgefunden hat. Solange jemand nicht unter vollständiger Betreuung steht, bleibt ihm das Wahlrecht erhalten. Alexander Wallasch hatte die über 60-jährigen ja schon mal zum Wahlverzicht aufgerufen. Aber das geht ja nun auch nicht.
Ich erinnere mich an einen recht alten Verwandten, der sich in den 70er Jahren einmal ganz fürchterlich aufregte, weil er auf einem Wahlplakat gelesen hatte, seine bisherige Lieblingspartei wolle die „Kleinrentner abschaffen“. So jedenfalls seine eigenwillige Interpretation. Der fürchtete ernsthaft um sein Leben, weil er sowohl Rentner als auch klein war. Immerhin konnte mein Vater ihm diese Sorge nehmen. Natürlich durfte der wählen. Warum auch nicht? Wählen setzt weder Intelligenz noch Vernunft voraus. Platt gesagt, jeder Doof darf wählen. Das Wahlsystem geht davon aus, dass die Dummheit gleichmäßig über die Wählerschar verteilt ist und keine Partei besonders davon profitiert. Das mag man auch anders sehen.
Ich bewege mich berufsbedingt häufiger in Alten- und Pflegeheimen und kann auch da mit Wahlberechtigten sprechen, die – ohne bereits unter vollständiger Betreuung zu stehen – schon lange in einem Zwischenreich leben. Ob die ihre Wahl einsichtiger und verantwortungsbewusster treffen, als interessierte Jugendliche?
Einsicht und Verantwortungsbewusstsein können schon mal nicht die Hauptkriterien für das Wahlrecht sein, sonst müsste man ja eine Art Wählerschein, analog dem Führerschein verlangen. Oder einen kurzen Test vor dem Gang in die Wahlkabine. Wie alt sind Sie? Wo befinden wir uns hier? Was machen Sie hier? Nennen Sie mindestens eine antretende Partei. Jede Wette, da fielen schon einige raus? Bei der Briefwahl würde es etwas schwierig für diesen Test. Wer das Kreuzchen gemacht hat, könnte auch den Test machen – und das muss nicht zwingend der tüddelige Opa sein. Auch nicht im Heim.
Das Argument, dass Jugendliche aufgrund ihres geringen Alters (noch) nicht in der Lage seien, die komplexen Zusammenhänge der politischen Arbeit zu verstehen, zieht nicht. Ein Blick in die sozialen Netzwerke oder ein Abend in einer Kneipe reichen, um festzustellen, dass das Verständnis für komplexe Zusammenhänge in und außerhalb der politischen Arbeit, ganz unabhängig vom Alter eher schwach ausgeprägt ist. Diese Erkenntnis verwundert ja auch nicht wirklich, denn wenn Jugendliche, die gerade noch in der Schule sind, das politische System nicht verstehen, woher sollten sie es denn später besser verstehen? Kennen Sie jemanden, der sich nach der Schule großartig um seine politische Bildung gekümmert hat, wenn er nicht gerade eine Parteikarriere angestrebt hat? Außerdem ist das Verständnis irgendwelcher Zusammenhänge nicht Voraussetzung es Wahlrechts, sonst würde dieses Verständnis ja in irgendeiner Form überprüft. Ginge es um das Verständnis komplexer Zusammenhänge – von Verschwörungstheorien mal abgesehen – dann würden nicht unbedingt die Parteien gewählt, die auf komplexe Probleme einfache Antworten blöken.
Ich unterrichte seit vielen Jahren Rechtskunde. Da sind die 16-jährigen meine Zielgruppe. Die haben zu Beginn des Rechtskundekurses zwar kaum Kenntnisse von unserem Rechtssystem, aber sie sind immer interessiert und diskussionsfreudig. Die stellen die richtigen Fragen, gar nicht selten welche, die ich nicht aus dem Stegreif beantworten kann.Bei denen ich erst selbst mal nachdenken muss und eventuell eine Antwort erst nach einer Woche oder auch gar nicht liefern kann. Sie kennen das, diese fiesen „Warum“-Fragen. Und – halten Sie sich fest – die Schüler kommen ganz freiwillig in diese Arbeitsgemeinschaft, die auch noch am Nachmittag stattfindet.
Manche , die ein Wahlrecht für Jugendliche ablehnen, begründen das auch damit, dass Jugendliche vermehrt zu Extrempositionen neigen würden. Das könne ein Vorteil für Parteien mit extremen Positionen sein und womöglich zu einer Radikalisierung des politischen Systems führen. Auch das ein seltsames Argument. Bei der Wahl 1930 gab es keine wählenden Jugendlichen, alles nur einsichtige, verantwortungsbewusste und demokratische Bürger, nicht wahr. Über 18 Jährige sind nicht verführbar? Das ich nicht lache. Ich wüsste nicht, aus welchem Grund Jugendliche dieselben Fehler machen sollten, wie ihre Vorgänger.
Dann gibt es noch das Argument, dass Jugendliche sich ja gar nicht für Politik interessieren würden und deshalb vermutlich gar keinen Gebrauch von ihrem Wahlrecht machen würden. Na und? Das mag auf einzelne zutreffen. Nichtwähler gibt es auch in allen Altersstufen. Die Partei der Nichtwähler war auch bei den aktuellen Wahlen wieder die stärkste Partei. Es mag jedoch auch sein, dass die Jugendlichen sich bisher nicht sonderlich für Politik interessieren, weil sie eh politisch nichts zu melden haben und mit ansehen müssen, dass Generationen für und über sie entscheiden, die hinlänglich bewiesen haben, dass sie sich auf Kosten der Jugendlichen und sogar noch deren Kinder, einen ordentlichen Schluck aus der Wohlstandspulle genommen haben. Die nie ein Problem damit hatten, eine gnadenlose Schuldenpolitik zu unterstützen. Mag schon sein, dass die Jungen da ihr Interesse an Politik schnell verlieren. Ist doch auch grausam, wenn man sieht, dass Papa und Mama, Opa und Oma und sogar Uroma und Uropa, über die eigene Zukunft entscheiden und dann auch noch kackfrech behaupten, sie wüssten, was für einen gut ist. Sie wollten doch nur das Beste. Na klar, das meinen vielleicht noch die, die wirklich Nachwuchs haben. Aber auch die liegen ja oft daneben. Warum sollten die kinderlosen Alten an jemand anders denken, als sich selbst?
Warum also nicht das Wahlalter drastisch senken. Für das aktive wie das passive Wahlrecht. Warum nur auf 16 und nur für Landtagswahlen? Warum nicht auf 14 und für alle Wahlen?
Da müssten sich die Parteien plötzlich tatsächlich um die Interessen der Jugend – die sie unisono immer zur Zukunft unseres Landes erklären – kümmern. Da reicht es nicht, ein paar bunte Plakate aufzuhängen. Warum-Fragen beherrschen Jugendliche in Perfektion. Die können einen zwiebeln, die können einem Feuer unterm Hintern machen. Die platzen vor Idealismus und lassen sich nicht mit zynischen Sprüchen abwimmeln. Da könnten aber auch auf einmal ganz interessante Kandidaten auftauchen. Was hätte z.B. dagegen gesprochen, eine minderjährige Nobelpreisträgerin wie Malala Yousafzai auch in ein Parlament zu wählen? Oder hätte etwas gegen ein Mädchen wie Anne Frank in einem Parlament gesprochen?
Würde dann nicht auch das Interesse der Jugendlichen an Politik in dem Maße steigen, wie man ihnen auch echten Einfluss zubilligt? Kann es nicht sein, dass wahlberechtigte Jugendliche sich in einem viel stärkeren Maße mit der Demokratie beschäftigen und dann auch damit identifizieren. Und zwar von der Kommune über Land und Bund bis zu Europa. Ist es nicht die Zukunft der Jugendlichen, um die es bei Wahlen geht? Wie viele der Ü90-Wähler schaffen es überhaupt noch bis zur nächsten Wahl? Mit dem Führerschein auf Probe ab 17 hat man bisher nur gute Erfahrungen gemacht. Da gab es zunächst auch jede Menge Bedenken. Am Ende waren alle zufrieden.
Geben wir den Jungen etwas mehr demokratische Teilhabe durch das Recht zu wählen, all zu viel ist es eh nicht. Wagen wir noch einmal etwas mehr Demokratie.
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