Siemens und die Geschlechterapartheid

Wenn’s ums Geschäft geht, nimmt man es mit der Ethik nicht so genau. Siemens etwa baut U-Bahn Züge für Riad. Bei dem Großauftrag geht es um 1,5 Milliarden Euro – Grund genug, das System der saudischen Geschlechterapartheid mitzutragen.


Was im Oktober 2013 erstmals groß verkündet wurde, geht auf die Zielgerade: Der Siemenskonzern plant und baut als Teil eines großen Konsortiums eine fahrerlose U-Bahn in Riad. Mit 175 km Streckenlänge und sechs Linien soll das größte Metro-Projekt der Welt errichtet werden. Für Siemens selbst umfasst der Auftrag die Herstellung der Züge (insgesamt 74 Stück vom Typ Inspiro), sowie Elektrifizierung, Signal und Kommunikationstechnik, wie schon vor über zwei Jahren zu lesen war. Für Siemens geht es bei diesem Großauftrag um immerhin 1,5 Milliarden Euro.

Die Präsentation

Vergangenen Dienstag wurde das neu entwickelte Fahrzeug in Wien erstmals mit viel Tamtam der Öffentlichkeit präsentiert. In Wien, weil die Züge in der in Österreich angesiedelten „Sparte Nahverkehr“ des Konzerns gefertigt werden. Technisch ist an den neuen Zügen vermutlich nichts auszusetzen und auch das Design ist durchaus ansprechend. Dennoch fragt man sich, ob den Herren und Damen von Siemens eigentlich klar ist, was sie da präsentiert haben?

Es lohnt sich, die veröffentlichte Bilderstrecke anzusehen und die Bildunterschriften zu lesen: Siemens baut nicht einfach U-Bahn Züge, sondern wirbt geradezu damit, eine „Drei-Klassen-Metro für Riad“ zu bauen. „Gender-Secregation-Subway“ wäre treffender gewesen.

Geschlechterapartheid

In der Präsentation wird fast mit Stolz auf eine Besonderheit des neuen Zuges verwiesen, bei der sich durchaus die Frage stellt, ob es werbetechnisch sinnvoll ist, sie außerhalb Saudi Arabiens in den Vordergrund zu stellen: Die Züge verfügen über drei Klassen, wodurch die Fahrgäste nach Geschlecht und sozialer Stellung getrennt werden können. Die komfortabel wirkende und mit goldfarbenen Sitzplätzen ausgestattete Erste Klasse ist Männern vorbehalten. In Ausnahmefällen sei es aber gestattet, dass „hochgestellte Frauen“ ebenfalls in der First Class fahren. Die schon mehr nach einem normalen U-Bahn Wagen aussehende Zweite Klasse nennt sich „Family Class“. Hier dürfen Frauen in Begleitung ihres Ehemannes oder eines anderen männlichen Familienmitglieds fahren – alleine dürfen sie sich prinzipiell nicht in der Öffentlichkeit bewegen, weshalb reine Frauenwägen nicht benötigt werden.

Ganz hinten befindet sich die Dritte Klasse, die sich „Single“ oder „Worker Class“ nennt. Auffälligstes Merkmal gegenüber den anderen beiden Klassen: Hier sind so gut wie keine Sitzgelegenheiten vorhanden, in der Dritten Klassen steht Mann, wenn er sich die teuren Plätze in der First Class nicht leisten kann. Und dann wäre da noch die Sache mit den Türen: Befindet sich zwischen den ersten beiden Klassen eine zu öffnende Glasschiebetür, so ist die Tür zwischen zweiter und dritter Klasse undurchsichtig und versperrt, bestünde doch andernfalls die Gefahr, dass Männer aus der letzten Klasse versuchen könnten, Blicke auf die Frauen in der Familienklasse zu werfen – so der Hersteller, der jedoch versicherte, dass sich die Türen im Notfall selbstverständlich öffnen ließen. Man kann nur hoffen, dass die Verantwortlichen in Saudi Arabien dasselbe Verständnis von „Notfall“ und „selbstverständlich“ haben.

Wer immer die Bildunterschriften für die österreichische Tageszeitung Die Presse angefertigt hat, fand es offensichtlich besonders witzig, darauf hinzuweisen, dass sich die Frage nicht stelle, ob Frauen die U-Bahn Züge lenken dürften, da die Züge ohnehin ohne Fahrer auskämen. Selten so gelacht.

Siemens freut sich

Auf dem zehnten Bild der Bilderstrecke sieht man eine Menge lachender Gesichter. Die Leiterin der Siemens-Sparte Nahverkehr Sandra Gott-Karlbauer drückt gemeinsam mit drei ebenfalls strahlenden Herren auf einen großen Knopf. Alle freuen sich. Die Welt ist um eine Errungenschaft reicher.

Siemens beteiligt sich freudestrahlend daran, das saudische System der Geschlechtapartheid um eine weitere Facette zu bereichern. Dass das vielleicht doch nicht ganz so gut ankommen könnte scheint einem PR-Verantwortlichen bei Siemens aber immerhin aufgegangen zu sein. In der konzerneigenen Pressemittteilung vom 23. Februar wird zwar ausführlich darauf hingewiesen, dass die Projektteams in Wien und Saudi Arabien „viel Herzblut in die Entwicklung und Fertigstellung des ersten Exemplars gesteckt [haben], das vor allem auf die extremen Klimabedingungen vor Ort ausgelegt sein muss“, was eine extra große Klimaanlage erforderte. Das nach Geschlechtern separierte Drei-Klassen-System hat man lieber nicht erwähnt.
Business as usual.

Heiko Heinisch

Nach Abschluss des Geschichtsstudiums arbeitete Heiko Heinisch u.a. am Ludwig-Boltzmann-Institut für historische Sozialwissenschaft. Nach längerer freiberuflicher Tätigkeit arbeitet er seit Mai 2016 als Projektleiter am Institut für Islamische Studien der Universität Wien. Nach längerer Beschäftigung mit den Themen Antisemitismus und nationalsozialistische Judenverfolgung wuchs sein Interesse an der Ideengeschichte, mit Schwerpunkt auf der Geschichte der Ideen von individueller Freiheit, Menschenrechten und Demokratie. Er hält Vorträge und veröffentlichte Bücher zu christlicher Judenfeindschaft, nationalsozialistischer Außenpolitik und Judenvernichtung und widmet sich seit einigen Jahren den Problemen, vor die Europa durch die Einwanderung konservativer Bevölkerungsschichten aus mehrheitlich islamischen Ländern gestellt wird. Daraus entstand das gemeinsam mit Nina Scholz verfasste Buch „Europa, Menschenrechte und Islam – ein Kulturkampf?“ im Wiener Passagen Verlag (2012). Er ist Mitglied des Expert_Forum Deradikalisierung, Prävention & Demokratiekultur der Stadt Wien. Im März 2019 ist das gemeinsam mit Nina Scholz verfasste Buch „Alles für Allah. Wie der politische Islam unsere Gesellschaft verändert“ im Molden Verlag erschienen.

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