Flaschensammeln in Würde?

Ist es würdelos, Pfandflaschen aus Mülleimern zu fischen?


Vor ein paar Jahren kam ein Designstudent aus Köln auf eine tolle Idee, die seither von einfühlsamen Menschen regelmäßig wieder in die Diskussion gebracht wird: Man sollte öffentliche Mülleimer doch mit Flaschenhaltern (so genannten Pfandringen) versehen. Damit kann man, so das Argument, armen Menschen, die darauf angewiesen sind, sich ein paar Euro mit dem Sammeln von Pfandflaschen zu verdienen, ihre Würde zurückgeben. Jawohl, es geht um nicht weniger als die Würde des Menschen, die bekanntlich unantastbar ist.

Wer hat die Würde weggenommen?

Da fragt man sich natürlich sogleich, wie die Würde der Flaschensammler denn abhandengekommen ist, wer sie ihnen weggenommen hat, und wie sie in die Hände des Designstudenten gekommen ist, der sie, gemeinsam mit Stadtverwaltungen und Bürgerinitiativen, nun zurückgeben will.

Aber der Reihe nach. Würde ist ja ein ganz schwieriger Begriff. Irgendwie weiß jeder, dass er eine Würde hat, die er nicht verlieren will. Würde ist aber auch ein Niveau, unter das man nicht sinken will – man sagt dann, dieses und jenes ist unter meiner Würde. Wir können uns etwa einen jungen Designstudenten vorstellen, der zu seinen Kommilitonen sagt: „Das wäre unter meiner Würde“, während er beobachtet, wie ein ärmlich gekleideter Mensch die Bierflasche, die er selbst gerade in den Mülleimer geworfen hat, wieder heraussammelt.

Der Flaschensammler betrachtet seine Tätigkeit vielleicht als seinen Broterwerb. Er ist froh, nicht betteln zu müssen, sondern etwas Sinnvolles zu tun. Vielleicht sagt er sich, dass er dazu beiträgt, die Müllberge kleiner zu machen, wertvolle Verpackungen der Wiederverwendung zuzuführen.

Dass man sich bei dieser Tätigkeit die Hände schmutzig macht, dass man dabei im Abfall wühlt, macht die Sache noch nicht würdelos. Sowas machen viele andere Menschen auch.

Die Würdelosigkeit entsteht im Kopf des Beobachters, der für sich sagt: Das wäre nichts für mich. Durch diese Beurteilung hat er dem Mann am Mülleimer die Würde erst genommen, die er ihm sogleich per Pfandring zurückgeben will.

Damit entwertet er jedoch die Arbeit des Flaschensammlers. Aus dessen sinnvoller Tätigkeit wird die Entgegennahme einer großzügigen Spende. Auch wenn wir nicht so genau wissen, was Würde ist, sind wir doch ziemlich sicher, dass wir mehr Würde darin finden, uns durch sinnvolle Arbeit etwas Geld zu verdienen, als auf bequeme Weise Spenden reicher Passanten entgegenzunehmen.

Mitnahmegeschäft

Dazu kommt: Der Pfandring bringt den Flaschensammler, der bereit ist, die Flasche aus dem Mülleimer herauszusammeln, in Wettbewerb mit all jenen, die nie in einen Mülleimer fassen würden, das „Mitnahmegeschäft“ aber nicht verschmähen. Aus dem Pfandring können sich auch Kinder gut betuchter Bürger das Taschengeld aufbessern.

Die Würde wird Menschen übrigens vor allem dadurch genommen, dass man ihnen das Leben erleichtern will, ohne sie zu fragen, ob ihnen das Recht ist. Die Flaschensammler werden zumeist nicht gefragt, ob sie die gelben Pfandringe überhaupt haben wollen, wenn Kommunalpolitiker und Stadtverwaltungen gut gemeinte Pilotprojekte starten. Außer in Nürnberg – und da war die Antwort eindeutig. Flaschensammler wollen keine Pfandringe.

Lesen Sie auch die letzte Kolumne von Jörg Friedrich über Unschuldsvermutung und Strafe.

Jörg Phil Friedrich

Der Philosoph und IT-Unternehmer Jörg Phil Friedrich schreibt und spricht über die Möglichkeiten und Grenzen des digitalen Denkens. Friedrich ist Diplom-Meteorologe und Master of Arts in Philosophie.

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