„Eher bedrückend“ – Angela Merkel und der Nobelpreis

Merkel wird gerade ein Stein vom Herzen gefallen sein. Als sie erfuhr, dass sie den Nobelpreis nicht erhält, wird sie gedacht haben: Welch ein Glück.


Vermutlich hat es noch keine Nobelpreiskandidatin und schon gar keinen Anwärter auf diesen Preis gegeben, der mit Erleichterung darauf reagiert hat, dass ihr oder ihm der Preis nicht verliehen wurde. Angela Merkel allerdings dürfte vor wenigen Minuten ein Stein vom Herzen gefallen sein – wenn sie überhaupt zwischen den vielen Telefonaten und Terminen wahrgenommen hat, dass dieser Anruf aus Norwegen ihr heute erspart geblieben ist.

Merkel hat es im Interview mit Anne Will vorgestern deutlich gesagt: Der Gedanke an den Friedensnobelpreis ist für sie „eher bedrückend“. Das kann man gut verstehen. Weder innenpolitisch noch in der harten Diskussion mit den europäischen Nachbarn um die Fragen der Unterbringung und Versorgung von Asylsuchenden in Europa hätte ihr der Preis geholfen. Das Nobelpreiskomitee hat in den vergangenen Jahren jede moralische Autorität verspielt. Aber die Verleihung des Preises an Merkel hätte so viel Kraft und Aufmerksamkeit auf sich gezogen, dass die Lösung der tatsächlichen Probleme, vor denen die deutsche Kanzlerin und ihre Regierung stehen, gelitten hätte.

Merkel will sich konzentrieren, und dabei hätte der Preis nur gestört. Das Interview mit Anne Will, ebenso wie ihre Rede gestern in Wuppertal haben gezeigt: Alles, was keinen Beitrag zur Lösung der Probleme leistet, wird ausgeblendet. Sind es 800.000 Tausend Flüchtlinge oder 1,5 Millionen? Unwichtig, wichtig allein, es sind sehr sehr viele. Und alle sind einzelne Schicksale.

Merkels Politikstil wird und sollte Schule machen. Keine großen Worte, gerade keine Visionen, wie ihr hier und da vorgeworfen wird, sondern das Problem in lösbare Aufgaben zerlegen und diese angehen. Und dann schauen, was hilft, wie sich die Lage verändert. Merkel scheint Karl Poppers Entwurf einer Politik der schrittweisen Veränderung der Welt (Die offene Gesellschaft und ihre Feinde) besser verstanden zu haben als die Sozialdemokraten, für die das Buch eigentlich geschrieben war.

Dafür braucht Merkel keinen Nobelpreis. Zu gönnen ist er ihr trotzdem, vielleicht in zwanzig Jahren, wenn ihre Art, Politik zu machen, sich durchgesetzt haben wird.

Jörg Phil Friedrich

Der Philosoph und IT-Unternehmer Jörg Phil Friedrich schreibt und spricht über die Möglichkeiten und Grenzen des digitalen Denkens. Friedrich ist Diplom-Meteorologe und Master of Arts in Philosophie.

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