Eine neue Ost-West-Allianz? Moskau auf der Suche nach Verbündeten

Wladimir Putin schlägt dem Westen eine Erneuerung der Antiterrorallianz von 2001 vor. Ist eine Parallele zwischen den beiden Konstellationen berechtigt?


Russlands außenpolitische Isolation

Für die im März 2014 erfolgte Angliederung der Krim an die Russische Föderation, die von vielen Russen als glorreicher Sieg ihres „sich von den Knien erhebenden Landes“ gefeiert wurde, musste Russland einen sehr hohen Preis bezahlen. Es geriet in eine weitgehende internationale Isolierung – eine recht untypische Situation für das territorial größte Land der Erde, das seit seinem Eintritt ins europäische „Konzert der Mächte“ zu Beginn des 18. Jahrhunderts so gut wie immer Verbündete besaß, die  seine außenpolitischen Vorhaben unterstützten.

Nach dem Krim-Coup Putins begannen sich indes sogar einige der bis dahin engsten Verbündeten von Moskau abzuwenden. Beispielhaft hierfür ist die Haltung Kasachstans, das gemeinsam mit Russland zu den Grundpfeilern der Eurasischen Union zählt, die Putin als eine Art Gegenmodell zur Europäischen Union betrachtet. Da in Kasachstan, ähnlich wie in der Ukraine, eine große Zahl ethnischer Russen lebt, ruft die Ukraine-Politik der Kreml-Führung beträchtliche Sorgen in Astana hervor. Dies um so mehr, als sich seit der Annexion der Krim wiederholt nationalistisch gesinnte russische Politiker zu Wort melden, die den kasachischen Staat als ein künstliches Gebilde bezeichnen oder auch russophobe Tendenzen in Kasachstan beklagen.

Die kasachische Führung fühlt sich durch derartige Äußerungen verständlicherweise irritiert. Der kasachische Präsident Nasarbajew bezeichnete im September 2014 in einem Fernsehinterview die kasachische Unabhängigkeit als Kleinod, das die Kasachen niemals aufgeben würden. Nach den Berichten einiger Medien drohte er sogar mit dem Austritt Kasachstans aus jeder Organisation, die seine Unabhängigkeit gefährden sollte. Der eventuelle Austritt Kasachstans aus der Eurasischen Union würde diesem Bündnis jede Grundlage entziehen.

Das Ausmaß der internationalen Isolation Moskaus spiegelte sich während der Abstimmung in der UNO-Vollversammlung zur Frage der territorialen Integrität der Ukraine, die kurz nach der Annexion der Krim stattfand, besonders deutlich wider. Nur 10 Staaten haben sich mit Moskau solidarisiert (darunter nur zwei ehemalige Sowjetrepubliken – Weißrussland und Armenien). 100 Staaten waren dagegen, 58 enthielten sich der Stimme.

Hinwendung nach Osten

Der am 27. Februar 2015 ermordete russische Oppositionspolitiker Boris Nemzow sagte einige Wochen nach der Krim-Annexion Folgendes in diesem Zusammenhang: „Putin hat (durch die Annexion der Krim) einen taktischen Erfolg erzielt … Strategisch hat er aber alles verloren“. Die Folgen dieses strategischen Fehlers würden gravierend sein, setzte Nemzow seine Ausführungen fort. Auf Russland kämen nun der Verlust der Märkte in Europa und in Amerika, wirtschaftliche Erschütterungen und eine zunehmende Rückständigkeit zu. Die im Kreml gehegte Hoffnung, China werde den Verlust der westlichen Märkte kompensieren, hielt Nemzow für eine völlige Illusion. China werde seine Monopolstellung dazu ausnutzen, um die Preise für die russischen Energielieferungen massiv nach unten zu drücken. Abgesehen davon stelle eine allzu starke Abhängigkeit von China eine große Gefahr für die territoriale Integrität Russlands dar. Die umfassenden territorialen Ansprüche Pekings in Bezug auf Sibirien und den russischen Fernen Osten seien bekannt.

Die Prognose Nemzows sollte sich innerhalb kürzester Zeit weitgehend erfüllen. In ihrer Ausgabe vom 22. September 2015 schreibt die regierungskritische „Nowaja gaseta“ Folgendes hierzu: Russland drohe die Umwandlung in eine Art Rohstoffkolonie Chinas, ähnlich wie dies mit manchen  afrikanischen Ländern bereits geschehen sei. Die Zeitung weist auch darauf hin, dass die Pipeline „Kraft Sibiriens“, die demnächst Gas nach China liefern soll und die Putin seinerzeit als „das größte Bauwerk der Welt“ bezeichnet hatte, völlig unrentabel sei. Nach Meinung der Experten werde Russland mit diesem Projekt in den nächsten 30 Jahren so gut wie keine Gewinne erzielen.

Die russische Führung ist sich nun wohl darüber im Klaren, wie illusionär ihre Hoffnung war, die Hinwendung nach Osten werde die wirtschaftlichen Verluste kompensieren können, die infolge der westlichen Sanktionen entstanden sind. Die russische Wirtschaft schrumpft seit der Verhängung der westlichen Sanktionen, aber auch infolge der niedrigen Erdölpreise unentwegt. Sogar die regierungsnahe Zeitung „Argumenty nedeli“ meint, das russische Nationaleinkommen werde in diesem Jahr um 4% sinken.

Kein Wunder, dass die Putin-Riege nun nach Lösungen sucht, um aus der Sackgasse herauszukommen, in die sie sich selbst durch ihre abenteuerliche Ukraine-Politik hineinmanövrierte.

Ursprünglich war man im Kreml davon überzeugt, dass die einheitliche Haltung der Europäer und der Amerikaner bei der Bewertung der gegenwärtigen russischen Ukraine-Politik nicht von Dauer sein werde, und zwar wegen der in Europa weit verbreiteten antiamerikanischen Ressentiments. Zugleich setzte man in Moskau auch auf die starke prorussische Lobby im politischen und im wirtschaftlichen Establishment zahlreicher europäischer Länder. Allzu viele Erfolge konnten die „Putin-Versteher“ innerhalb der EU allerdings nicht erzielen. Die Sanktionen blieben in Kraft. Diese für Moskau völlig unerwartete Geschlossenheit des Westens führte sicherlich dazu, dass das ehrgeizige „Neurussland“-Projekt, das während des sogenannten „russischen Frühlings“ im Frühjahr 2014 entstanden war und das die Abspaltung umfassender Territorien im Süden und im Osten der Ukraine zum Inhalt hatte, ad acta gelegt wurde – zumindest vorübergehend. Diese Ausgangssituation muss man beachten, wenn man die jüngsten Signale, die Moskau in Richtung Westen sendet, einzuordnen versucht.

Eine neue Antiterrorallianz?

In seiner Rede vor der UNO-Vollversammlung vom 28. September 2015 rief Wladimir Putin die internationale Gemeinschaft dazu auf, eine breite Antiterrorallianz zu bilden, und zwar nach dem Vorbild der Antihitlerkoalition. Diese Allianz werde trotz ihrer Heterogenität, ähnlich wie diejenige von 1941, nur durch das einzige gemeinsame Ziel geeint – den entschlossenen Kampf gegen die Kräfte, die „das Böse und den Menschenhass säen“.

Diese von Putin vorgeschlagene Strategie der Terrorbekämpfung weckt Erinnerungen an den Kurs, den die Kreml-Führung genau vor 14 Jahren – also nach den Terrorakten vom 11. September 2001 eingeschlagen hatte. Damals solidarisierte sich Putin beinahe uneingeschränkt mit den USA.

Die sogenannte „nationalpatriotische Opposition“ im Lande reagierte empört auf Putins amerikafreundlichen Kurs. Der in diesem Lager verbreitete hysterische Antiamerikanismus wurde durch die Tragödie vom 11. September keineswegs eingedämmt. Im Gegenteil: Die Angriffe gegen den „Sieger des Kalten Krieges“ wurden noch gehässiger. Trotz dieser antiamerikanischen Kampagne der „Nationalpatrioten“ setzte die Kreml-Führung ihre Linie konsequent fort. Der schnelle Sieg der USA und ihrer Verbündeten über das afghanische Taliban-Regime Ende 2001 war wesentlich auch auf die logistische Unterstützung Moskaus zurückzuführen.

2001 vs. 2015 – Parallelen und Unterschiede

Erleben wir jetzt eine Neuauflage der Antiterrorallianz vom Jahre 2001? Wohl kaum. „Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen“, das hat bereits Heraklit gewusst.

Der erste grundlegende Unterschied zwischen gestern und heute betrifft den Charakter des Putinschen Systems. Zwar begann Putin bereits unmittelbar nach seinem Machtantritt im Jahre 2000  mit der Demontage der zivil- und rechtsstaatlichen Strukturen, die in der Gorbatschow- und in der Jelzin-Periode entstanden waren. Dessen ungeachtet befand sich die von ihm errichtete „gelenkte Demokratie“ zur Zeit der Entstehung der Antiterrorallianz von 2001 lediglich in ihren Anfängen. Trotz der skandalumwitterten Übernahme des regierungskritischen Fernsehsenders NTW durch den Staatskonzern „Gazprom“ im Frühjahr 2001 herrschte im damaligen Russland noch eine weitgehende Pressefreiheit. Auch das russische Parlament verfügte damals noch über eine aktive demokratische Opposition.

Erst die „farbigen Revolutionen“ im postsowjetischen Raum, insbesondere aber die „Orangene Revolution“ in der Ukraine (Ende 2004) sollten zu grundlegenden Veränderungen sowohl auf dem Gebiet der russischen Innenpolitik als auch im Bereich der Ost-West-Beziehungen führen. Die Tatsache, dass die ukrainische Zivilgesellschaft imstande war, auf die Wahlmanipulationen mit Massenprotesten zu reagieren und Neuwahlen zu erzwingen, rief im Kreml erhebliche Ängste hervor. Vergleichbare Entwicklungen wie in der Ukraine wären auch in Russland denkbar. So begann in den staatlich kontrollierten russischen Medien eine Kampagne, die die „farbigen Revolutionen“ diskreditieren sollte. Sie wurden als von außen gesteuerte Versuche bewertet, Russlands Einfluss im sogenannten „nahen Ausland“ zu unterminieren. In Russland selbst wurde die Demontage der zivilgesellschaftlichen und rechtsstaatlichen Strukturen erheblich intensiviert. Immer schärfer kritisierten auch die russischen Politiker nun die Alleingänge der USA. Anstelle der von den USA geprägten Weltordnung plädierte Moskau für eine multipolare Welt. Besonders drastisch äußerte sich Putin zu diesem Thema in seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz vom Februar 2007. Er warf dort den USA vor, dass sie sich wie der alleinige Beherrscher der Welt gebärdeten. Washington mische sich in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten ein, ohne die Prinzipien des Völkerrechts zu achten.

Diese Putinsche Beschwörung des Völkerrechts wirkt, angesichts der heutigen Ukraine-Politik der Moskauer Führung besonders bizarr.

Aber nicht nur in Russland, auch im Westen fanden nach 2001 fundamentale Veränderungen statt. 2001 waren die Erinnerungen an die Jahre 1989-91, als kommunistische Regime wie Kartenhäuser zusammenbrachen, im Westen noch sehr präsent. Der westliche Triumphalismus, der sich im Diktum Francis Fukuyamas vom „Ende der Geschichte“ besonders deutlich spiegelte, war auch unmittelbar nach den apokalyptischen Terrorakten vom 11. September durchaus lebendig. Die USA galten damals als die einzige noch verbliebene Supermacht mit globalen Ambitionen. Die Antiterrorkoalition von 2001 wurde eindeutig von Washington angeführt.

Heute indes befindet sich die Führungsmacht der westlichen Welt in einer ganz anderen Verfassung. Der Triumphalismus der früheren Jahre, der zu manchen Fehlentscheidungen mit gravierenden Folgen führte (vor allem im Irak) ist dahin. Aber auch die Rückzugsstrategie, die die Obama-Administration nun seit einigen Jahren praktiziert, ist wenig durchdacht. Der amerikanische Sicherheitsexperte Seth Jones sagt in einem „Zeit“-Interview Folgendes hierzu: „Wir ziehen die falschen Lehren aus unseren Fehlern in Afghanistan und im Irak. Falsch war es, massiv Bodentruppen einzusetzen, … statt die dortigen Regierungen und die Zivilgesellschaft zu stärken. Aber auch der totale Rückzug, wie er zwischen 2012 und 2014 geschah, hat die Dschihadisten gestärkt“.

Die Initiative in der sich nun anbahnenden Antiterrorallianz wurde jetzt, anders als im Jahre 2001, eindeutig von Putin übernommen. Er strebt auch danach, ihre Agenda zu bestimmen. An vorrangiger Stelle in dieser Agenda steht nicht die Befreiung Syriens vom islamistischen Terror, sondern die Rettung seines Diktators, der zu den letzten Verbündeten Moskaus zählt. Werden die westlichen Regierungen, die zurzeit krampfhaft nach Lösungen suchen, um den Flüchtlingsstrom aus dem Nahen Osten zu begrenzen, diese ihnen von Putin verabreichte bittere Pille schlucken? Diese Frage ist noch offen.

Und wie wird der Syrien-Coup Putins in Russland bewertet? Höchst unterschiedlich. Michail Gorbatschow hält Putins Vorgehen für gut durchdacht. Es sei absolut erforderlich den „Islamischen Staat“ einzudämmen, da er die gesamte Welt gefährde.

Die kremlkritische Politologin Lilija Schewzowa hingegen hält Putins Vorgehen in Syrien für ein unverantwortliches Abenteuer, ähnlich wie dessen Ukraine-Politik. Die Glaubwürdigkeit Russlands auf der internationalen Bühne werde dadurch zusätzlich untergraben.

Die Zukunft wird zeigen, welche der beiden Analysen zutreffender war.

Leonid Luks

Der Prof. em. für Mittel- und Osteuropäische Zeitgeschichte an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt wurde 1947 in Sverdlovsk (heute Ekaterinburg) geboren. Er studierte in Jerusalem und München. Von 1989 bis 1995 war er stellvertretender Leiter der Osteuropa-Redaktion der Deutschen Welle und zugleich Privatdozent und apl. Professor an der Universität Köln. Bis 2012 war er Inhaber des Lehrstuhls für Mittel- und Osteuropäische Zeitgeschichte an der KU Eichstätt-Ingolstadt. Er ist Geschäftsführender Herausgeber der Zeitschrift Forum für osteuropäische Ideen- und Zeitgeschichte.

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