Egal, was meine Wähler denken
Bundesaußenministerin Baerbock steht wegen eines Halbsatzes in einem Shitstorm. Wieso eigentlich? Eine Kolumne von Heinrich Schmitz
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Hui, das ging ja flink. Ganz rechts und ganz links und noch ein paar dazwischen wittern Morgenluft und die Chance, die Regierung zu dezimieren, wenn nicht gar die Koalition zu sprengen. Der Hashtag #BaerbockRücktritt brummt gerade durch das Netz, kräftig verteilt von all denen, die mindestens die Regierung, am liebsten aber das ganze System sprengen würden.
Und ja, in Zeiten, in denen in der Bevölkerung die Nerven blank liegen und die Angst vor der Zukunft in nahezu jedem Gespräch thematisiert wird, war es ein dummer Nebensatz der Außenministerin. Denn es ist heutzutage klar, dass sich die Propagandisten der neuen Querfront mit Wonne auf jedes Häppchen stürzen, das sie für ihre Zwecke ge- oder besser missbrauchen können.
Das Zitat
Zunächst einmal zu dem Zitat. Wer sich das komplette Statement einmal anhören oder sehen möchte, kann das an verschiedenen Stellen im Netz machen, z.B. hier die entscheidende Passage:
oder auch hier, die gesamte Veranstaltung:
Ja, Baerbock hat tatsächlich gesagt:
wir stehen so lange an eurer Seite, wie ihr uns braucht, dann will ich auch liefern, egal, was meine deutschen Wähler denken“
Aber, damit sagt sie ja nichts Falsches, sondern nur, dass ein Versprechen, dass eine deutsche Außenministerin abgibt, auch über den Tag hinaus Gültigkeit hat. Das ist also etwas anderes, als zum Beispiel beim russischen Außenminister Lawrow, der auf die Frage,
Bedeutet das Recht auf Souveränität etwa für Georgien und die Ukraine auch, dass Russland nichts gegen deren Beitritt zur EU und zur Nato hätte?
antwortete:
Das ist deren Wahl. Wir achten das Recht jedes Staates – unsere Nachbarn eingeschlossen –, sich seine Partner selbst zu wählen, selbst zu entscheiden, welcher Organisation sie beitreten wollen. Wir gehen davon aus, dass sie für sich überlegen, wie sie ihre Politik und Wirtschaft entwickeln und auf welche Partner und Verbündete sie setzen.
Dass das eine Lüge war, weiß nun jeder. Nun hat der gute Mann ja nicht das Problem auf irgendwelche Wähler achtgeben oder sich vor einem Shitstorm fürchten zu müssen. Der kann ungestraft vor sich hin lügen, dass sich die Balken biegen und seine Unterstützer, auch hier in Deutschland, halten sein Gesabbel für die Wahrheit oder für legitim. Und wer in Russland tatsächlich die Wahrheit sagt – und sei es nur das Wort „Krieg“ ausspricht –, der landet schnell hinter Gittern oder fällt wie von Zauberhand aus einem Krankenhausfenster.
Wer sich einmal ansehen möchte, wie das passend geschnittene Video seinen Weg durch die Szene der Demokratieverächter angetreten hat, kann dies anhand der hervorragenden Zusammenstellung der Volksverpetzer tun.
Dass eine seriöse Zeitung wie die WELT auf dieses miese Spielchen hereinfällt bzw. es mitmacht und damit den Hetzern und Putinpropagandisten auch noch einen seriös erscheinenden Link für ihre schneeballartige Propaganda liefert, ist mehr als bedauerlich. Mag ja sein, dass der WELT die Außenministerien nicht behagt; aber sie mit so einem Foul aus dem Spiel nehmen zu wollen, ist schäbig.
Wähler
Frau Baerbock weist zu Recht darauf hin, dass es in Deutschland alle vier Jahre demokratische Wahlen gibt und die Wähler dann darüber urteilen können , was sie von ihrer Arbeit und der Solidarität mit der Ukraine halten. Das und nur das ist richtig. Wähler entscheiden darüber, wer ins Parlament kommt, aber nicht über das, was Minister in ihrem Bereich entscheiden.
Wer meint, ein Abgeordneter oder eine Ministerin dürfe nur das tun, was ihre Wähler wollen, der hat das Konzept der repräsentativen Demokratie nicht begriffen. Wir haben weder ein imperatives Mandat, bei dem der Wähler seinem Abgeordneten vorschreiben kann, wie der zu handeln oder abzustimmen hat, noch haben wir eine Demoskopiekratie, bei der sich die Minister wie Blätter im Wind nach den jeweiligen Meinungsumfragen richten müssen.
Populisten
Es ist leicht für Populisten, den potentiellen Wählern nach dem Mund zu reden. Und es ist auch ihr gutes Recht, auf diese Tour zu versuchen gewählt zu werden. Was aber nicht geschehen darf, ist, dass sie versuchen die ganze Demokratie zu desavouieren und zum Umsturz aufzurufen. Das geschieht derzeit alle naselang in den asozialen Medien. Dass da auch russische Trollfabriken munter mitmischen, ist mittlerweile nachgewiesen. Kann man ihnen ja auch nicht verdenken, dass sie die Möglichkeiten nutzen, die eine freie Gesellschaft bietet, solange es sie noch gibt. Merken diese bezahlten Volldeppen eigentlich nicht, dass beim Erfolg ihrer Aktionen, keine freien Medien mehr existieren werden?
Nach dem sogenannten Ressortprinzip leitet jede/r Minister/in den Aufgabenbereich des Ministeriums in eigener Verantwortung. So kann auch der Bundeskanzler nicht einfach in die Befugnisse seiner Minister/innen „hineinregieren“. Zugleich muss jede Ministerin und jeder Minister allerdings darauf achten, Entscheidungen innerhalb des vom Kanzler vorgegebenen politischen Rahmens zu treffen. Das ist bei der Unterstützung der Ukraine ganz offenkundig geschehen. Ich kenne keine Stimme aus der Regierung, die der Ukraine eine weitere Unterstützung versagen wollte.
Unmut
Aber natürlich gibt es in Teilen der Bevölkerung erheblichen Unmut, weil infolge der verhängten Sanktionen die Lebenshaltungskosten ins Unermessliche zu steigen scheinen. Wenn ich mir meinen neuen Vorauszahlungsbescheid für Gas ansehe, kann ich mir neue Investitionen oder solche Sachen wie Urlaub gleich schon mal abschminken. Und da werde ich nicht der Einzige sein.
Und ja, es gibt auch Menschen, die schon immer von einer Vereinigung mit Russland träumen, damit man dann den USA die Stirn bieten könnte. Und die glauben auch, dass Putin sie dann weiter mit billigem Gas bei Laune halten würde. Ich denke nicht, dass er das tun würde. Nein, ich denke, der will das alte Sowjetimperium reinstallieren, koste es, was es wolle. Die Ukraine zu opfern, indem man ihr in der Hoffnung auf billiges Gas die Hilfe bei der Landesverteidigung entzieht, würde gar nichts helfen, ganz abgesehen davon, dass es reichlich schäbig wäre, demjenigen, der überfallen wurde, nicht zur Seite zu stehen. Andere Länder mit Grenzen zu Russland befürchten nicht ohne Grund, das nächste Opfer zu sein.
Und ja, es wäre natürlich schön, wenn wir die 100 Milliarden, die wir zur Wiederbelebung unserer recht maroden Bundeswehr alternativ zur Abfederung der Energiekrise oder für soziale Projekte zur Verfügung hätten, aber das wäre dann doch etwas kurzsichtig. Denn wenn wir in die Ukraine blicken, sehen wir, wie wichtig es ist, im Angriffsfall über eine funktionierende Abwehr zu verfügen.
Blauäugig
Frau Baerbock war vielleicht etwas blauäugig, ihren Feinden und den Feinden der Demokratie mit so einem Halbsatz eine Steilvorlage zu liefern. Aber gerade, dass sie sich nicht in diplomatischem Geschwafel verliert, sondern sagt, was sie denkt, tut mal gut. Einem Genscher wäre so ein Nebensatz nicht herausgerutscht, das stimmt. Aber dass das alte Gesetz, wonach ein Außenminister immer nur um den heißen Brei herumreden muss und vor jedem Arschloch noch einen Bückling machen muss, so viel besser war, glaube ich nicht. Die macht das schon ganz richtig.