Die Elite – Organismus der Macht?

In ihrem heutigen Gastbeitrag geht Isabel Wiest einem Phänomen der Macht nach. Wer ist eigentlich diese ominöse Elite, warum ist sie in aller Munde und wann gehören wir endlich dazu?


Wer dazugehört, wer sie definiert, wer sie hasst

Der Begriff der Elite ist in aller Munde. Die Gelbwesten in Paris, die „Gilets jaunes“ schimpfen ebenso auf sie, wie zahlreiche Linke.  Die bürgerrechtsbewegten Gruppen der späten 60er Jahre betitelten die elitäre Oberschicht noch abschätzig als „Establishment“. Dieser Begriff ist allerdings bei den heutigen Rechtspopulisten weniger en vogue. Auch sie bemühen die Elite gern und in historischer Tradition als Projektionsfläche so mancher Verschwörungstheorie. Nach Rudi Dutschke wollen sie dabei natürlich nicht klingen.

Die sogenannte Elite ist angeblich an fast allem Schuld. Die Vorwürfe sind in etwa diese: Ähnlich wie Marie Antoinette entfernt sie sich mit ihren Privilegien mehr und mehr von der Bevölkerung mit ihren sozial-realen Problemen. In ihren immer stärker abgeschotteten Machtzirkeln zieht sie vermeintlich die geheimen Strippen dieser Welt. In der Phantasie einiger jettet sie hedonistisch unbekümmert und mehrsprachig um den Erdball, kauft sich hier eine Bank im Offshore Paradies oder dort die Wahl eines Präsidenten samt entsprechend genehmer Politik. Und obwohl diese Elite so zahlreich Erwähnung findet, bleibt sie eine seltsam diffuse Masse. Der Begriff selbst erscheint wie eine emotional aufgeladene, aber plakative Worthülse, die der Frustration über das System im Ganzen Ausdruck verleiht und hilflos irgendwen zu benennen versucht, ohne ihn tatsächlich benennen zu können. Ein fuchtelnder Fingerzeig auf „die da oben“.

Rahmenverschiebung: Sind wir schon Elite?

Nachdem die AfD ihr Gesicht von der eurokritischen Professorenpartei hin zur Partei der kleinen Leute gewandelt hat, scheint der Begriff der Elite noch inflationärer verwendet zu werden und insgesamt eine Verschiebung in andere Milieus erfahren zu haben.

Als bürgerliche Elite gilt man nun beinahe schon, wenn man als Schwabe im Prenzelberg mit einem britischen Partner in einer 2 Zimmerwohnung wohnt, studiert hat und einen befristeten Job bei einem Startup hat. Bildung anzustreben, mehrsprachige Partnerschaften, eine weltoffene und tolerante Haltung zu leben, Freunde zu haben, die ähnlich ticken, all das wird mittlerweile herabwürdigend mit einem diffusen Bourgoisie-Begriff und linksgrüner Milieubildung in Verbindung gebracht. In den Kanon stimmen dann auch gern einzelne Medien ein, was schon zu schon zu perfiden Verwicklungen führte.

Wir erinnern uns an folgende Geschichte: 2016 verbriet ein Redakteur des Tagesspiegel das Wording einer Hitlerrede für seinen Artikel, ob versehentlich oder beabsichtigt weiß man nicht. Gaulands Redenschreiber, formulierte den Artikel zwei Jahre später recht ähnlich um und die FAZ druckte das „Ergebnis“ als Gastkommentar ab. Das rief einen anonymen Twitterer auf den Plan, der die Texte Gaulands und Hitlers miteinander verglich und auf deren frappierende Ähnlichkeit hinwies. Der Tagesspiegel stellte den Text empört der Hitlerrede von 1933 gegenüber, und die AfD rechtfertigte sich daraufhin, gar nicht bei Hitler, sondern beim Tagesspiegel-Artikel von 2016 höchstselbst abgeschrieben zu haben. Nun, was alle diese Texte gemeinsam haben, ist vor allem die Passage, in der es um die diffuse Kritik an einer weltgewandten, mehrsprachigen Elite geht, die international lebt und gebildet ist.

Grund genug, sich dieser Sache einmal ganz unaufgeregt anzunähern und zu klären, wie sich diese sogenannte Elite eigentlich wirklich definiert. Bei der Zusammenstellung der Bücher, Artikel und Texte im Rahmen der Recherche zu dem Thema, fiel eines relativ schnell auf – der Begriff der Elite wird in Deutschland derzeit maßgeblich durch eine einzige Person in der Öffentlichkeit bewegt. Nahezu alles, was man findet, dreht sich um den Elitenforscher Michael Hartmann, den emeritierten Soziologen der TU Darmstadt, der seit vielen Jahren empirisch dazu forscht und im vergangenen Jahr ein Buch mit dem Titel „Die Abgehobenen“ veröffentlicht hat. Die Artikel sind also größtenteils entweder von ihm, über ihn, ein Interview mit ihm oder behandeln seine Studien oder sein Buch. Sogar die Aufsätze zum Thema Eliten, auf der Seite der Bundeszentrale für die politische Bildung, stammen weitgehend von ihm. In Anbetracht der doch sehr häufigen Erwähnung des Elitebegriffs ist das überraschend und soll hier mehr als interessantes Detail verstanden sein denn als Kritik.

Wer sind die Influencer der Macht?

Die Deutsche Elite umfasst im Kern etwa 1000 Mächtige. Wenn man sie etwas weiter fasst und noch einige Bürgermeister hinzunimmt, sind es um die 4000 Personen. Sie müssen ihre Position allerdings auch nutzen, um Einfluss zu nehmen. Man gehört also nicht qua höherer Geburt dazu, auch nicht, wenn man einfach nur sehr reich ist, ein bedeutendes Amt bekleidet, oder eine gute Ausbildung genossen hat. Man muss all das auch einsetzen, um laut einer der Definitionen „gesellschaftlich relevante Entscheidungen von öffentlicher Bedeutung zu beeinflussen, in Gang zu setzen oder blockieren zu können.“ Rosen züchten im eigenen Schlossgarten genügt dafür also nicht.

Die Machteliten sind vor allem Träger gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Macht. Man kann sie nach gesellschaftlichen Funktionsbereichen oder Sektoren gliedern. Dann ergeben sich 9 Funktionseliten, auch Teileliten oder sektorale Eliten genannt. Diese sind mit unterschiedlicher tatsächlicher Machtfülle ausgestattet und stammen aus den Bereichen: Politik, Verwaltung, Justiz, Wirtschaft, Gewerkschaften, Massenmedien, Kultur, Wissenschaft und Militär.

Im Jahr 2004 haben 35 Experten aus diesen 4000 Personen die 100 Mächtigsten ausgewählt. Unter der gewählten 100er-Elite waren 41 Politiker, 32 Unternehmer und 17 Medienvertreter. Das zeigt die neue Qualität der Medienpräsenz und der Medienabhängigkeit als Faktoren gesellschaftlichen Einflusses. Die politische Elite ist dabei sozial am durchlässigsten, hier hat man auch als „Arbeiterkind“ noch eine veritable 50:50 Chance. Die der Wirtschaftselite ist am geschlossensten.

Doch wie ist es um Herkunft und Bildung unserer Elite bestellt? Gilt immer noch, dass sich die Elite sozial aus dem Bürgertum rekrutiert? So zumindest beschrieb es Ralf Dahrendorf vor vier Jahrzehnten in seinem Buch „Die neue deutsche Oberschicht“. Nach wie vor bestimmt die Herkunft auch die Bildungsbeteiligung und bietet dafür oft das Privileg. Die Ausnahme bildet wie gesagt nur die Politik, die sozial am durchlässigsten ist. Drei von vier Elitevertretern haben allerdings bis heute ein Studium genossen, einer von vieren hat promoviert. Besonders erstaunlich ist allerdings, dass nur zehn von Hundert im Ausland studiert haben, nur 5% an einer Eliteuniversität und nur jeder fünfte CEO überhaupt ein paar Monate im Ausland gearbeitet hat. 70% der CEOs haben ausschließlich in Deutschland gewirkt, viele davon über Jahre hinweg in ihrem Bereich. Die global jettenden Mächtigen, die sich überall die Klinke in die Hand geben, scheinen also eine Erfindung zu sein. Die Elite ist tatsächlich unsere eigene. Und sie verdient immer besser. Die Vorstandsmitglieder DAX-notierter Konzerne mittlerweile bis zum 70-fachen ihrer Beschäftigten, in den 90ern war es noch das 14-fache.

Man könnte noch Seiten mit allen möglichen Betrachtungen zur Elite füllen. Wer sich intensiver mir dem Thema auseinander setzen möchte, dem seien die großen empirischen Elitestudien zur Bonner Republik aus Mannheim und die Potsdamer von 1995 ans Herz gelegt. Vielleicht gibt es ja auch bald mal wieder eine aktuelle. Das wäre wünschenswert, denn schließlich ist der Begriff in aller Munde und unsere Elite vielleicht gar nicht so schlecht, wie manch einer sie darstellen möchte.

Isabel Wiest

Isabel Wiest ist Wirtschafts- und Verwaltungsjuristin. Um das nötige Drama hinzuzufügen, schrieb sie als Ghostwriterin böse Witze für eine bekannte Late Night Show. Derzeit ist sie Abgeordnete in einem Hamburger Bezirk und kämpft wo es nur geht für politische Erleuchtung.

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