Haarscharf kitschig
Unsere neue Kolumnistin Tina Schlegel mit dem Schwerpunkt „Liebesgeflüster“ stellt heute ihren ersten Gastbeitrag vor, in dem ein Wellnesshotel, ein Pianist und ein rotes Kleid die Hauptrollen spielen
Wer verliebt ist, darf kitschig sein, aber es muss Grenzen geben, allein schon zum Schutz all jener, die gerade nicht auf Wolke sieben schweben, finde ich. „Wohl grad nicht verliebt?“, steht freilich im Raum und ja, stimmt, und ich hasse Kitsch. Andererseits bin ich eine Frau und flexibel und ja doch, Kitsch ist sehr relativ.
Wellness – Oase der Einsamkeit
Am Wochenende war ich bei einem Wellness-Kurztrip mit Bergpanorama. Kitsch pur also. Ausgerechnet ich, Konsumverweigerin in einem 5-Sterne-Haus. Geplant als geruhsames Frauenwochenende wurde es ein Mutterkind-Ausflug mit meiner siebenjährigen Tochter. Wer Kinder hat weiß, dass die Vorstellungen von Wellness in diesem Alter doch recht weit auseinanderklaffen. Es ähnelt eher einem Dauerlauf – schnell ins Becken, schwimmen, weil sonst das Wasser wegläuft. Den Satz „schau mal“ habe ich in diesen 24 Stunden gefühlte 1000 Mal gehört. Rund herum Paare, die sich in den Armen liegen und knutschen. Da waren dieser tätowierte Typ, viel Oberarm, kein Hals und keine Haare am Körper. In den Armen eine 20 Jahre jüngere Frau, sehr schlank, aber vollbusig. Ich hatte immer Angst, dass er sie zerdrückt, also die Frau, nicht die Brüste, von denen ich nicht sicher weiß, ob man sie hätte zerquetschen können. Auf der anderen Seite ein Pärchen, die aussahen, als gingen sie noch zur Schule und ich dachte mir noch, Himmel, mit 18 bin ich doch nicht in ein Wellness-Hotel gefahren, da hätte ich mir mit meinem Freund die Nacht um die Ohren geschlagen und im Auto geschlafen, aber na gut. Ich will ja toleranter werden. Ein anderes Pärchen übt noch küssen, das klappt nicht so richtig, mal stören die Haare, mal rutsch der Bikini-Träger (wir sind ja immer noch im Außenbecken des Schwimmbads mit Sonne und Bergsicht). Und ich mittendrin. „Schau mal, Mama, ich kann tauchen.“ Das kann sie seit einem Jahr, meine Tochter, aber klar, ich gucke und staune. Und da bricht mein ganzer Weltverbesserer-Drang in mir hoch. Wie kann ich nur in einem Wellness-Hotel … Wasservergeudung, Dekadenz pur. Was mache ich hier?
Abtauchen
Und dann, gerade als ich erwäge, abzutauchen und mir die ganze Misere einmal von unten anzusehen, kommt ein Paar mit zwei Kindern. Sie jener Typ Mutter, der ununterbrochen auf sein nicht einmal zweijähriges Kleinkind einplappert, furchtbar, Fragen wie „Na, gefällts Dir?“ kann ich nicht mehr hören. Wenn es einem Kind nicht gefällt, dann schreit es, Du Nase, denke ich recht gemein, denn eigentlich sollte sie es wissen, ist es doch ihr zweites Kind und der größere Sohn scheint schon zehn oder so zu sein. Also wohl vergessen. Der Mann/Vater dazu ist zugegeben recht attraktiv. Die tummeln sich also in meiner Nähe im Wasser und nach einer Minute geht es los. Er sagt was, sie sagt, er solle sie nicht anschreien, worauf er entgegnet, er habe nicht geschrien, sondern nur etwas angemerkt (vermutlich, sie solle endlich aufhören auf das Kleinkind einzuquaken) und dann sagt sie einen typischen Frauensatz (also von der Logik her): „Aber in welchem Ton!“ Deiner missfällt mir schon die ganze Zeit, denke ich amüsiert und habe den Gedanken, abzutauchen natürlich längst verworfen. Der Mann wirft mir einen kurzen Blick zu, ich muss grinsen und sehe, dass er auch kurz grinst und mit der Schulter zuckt. Ein schöner Moment. Ich bin gerettet. Vergessen meine Weltverbesserungspläne für heute. Ich lächle dem Tätowierten und seiner Freundin zu, dem jungen Pärchen, die wahrscheinlich BWL im ersten Semester studieren und sich wundervoll erwachsen vorkommen und auch der Frau mit dem Bikini-Träger-Problem. Alle sind mir plötzlich sympathisch, alle haben sie Fehler und werden vermutlich auch so einen Wortwechsel führen in ein paar Jahren und dann werde ich oder eine andere Frau in der Mitte des Beckens da sein und ein Blickwechsel und ein Lächeln werden genügen, um alles halb so schlimm zu finden. Ich schließe sogar Freundschaft mit einem weiteren Pärchen, das dann plötzlich einen Single-Mann aus dem Freundeskreis und aus dem Ärmel schüttelt, den ich unbedingt kennenlernen müsse …
Roter Kitsch
Zu guter Letzt verliebe ich mich an diesem Abend doch noch, recht spontan und ohne Hintergedanken, in den Pianisten nämlich, der so herrlich schöne Jazz-Nummern spielt, Erinnerungen weckt und mir immer wieder zuckersüß zulächelt. Im Kamin brennt das Feuer, ich lehne auf dem Flügel wie nachmittags die Paare am Beckenrand, ein Glas Rotwein in der Hand, die Blicke des Pianisten hängen an meinem roten Kleid … So viel Kitsch. Herrlich. Erlaube ich mir, stört hier ja keinen.
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