Feste ohne Gäste
Kann man gut die Feiertage allein verbringen oder sollte man sich trauen, nach anderen zu suchen, die auch allein sind? Julia Grinberg sinniert über Erfahrungen, die Alleinstehende zu Weihnachten und Silvester machen können.

Die Feiertage werden bei uns wie folgt gehandhabt: in einem Jahr Weihnachten bei mir, Silvester beim Vater, im nächsten Jahr wechseln wir und so weiter. Im vorigen Jahr blieb ich also an Weihnachten allein. Es war überhaupt nicht schlimm, im Gegenteil, es war sogar weniger zu tun. Ich hatte nicht einmal einen Tannenbaum aufgestellt.
(Am Rande bemerkt: Ich mache mir nichts aus Weihnachten, da ich erstens zugezogen, zweitens nicht religiös bin, drittens eine Idiosynkrasie gegenüber dem Kitschgetue habe, viertens spare ich mir den Wettlauf durch die Kaufhäuser und Lebensmittelmärkte. Außerdem bevorzugen meine Kinder inzwischen Geldgeschenke.)
Dann wurde es Zeit, dass sich alle zu Hause trafen: Großfamilien, Kleinfamilien, mit und ohne Groß- oder sogar Urgroßeltern, Schwagern und Schwägerinnen, Neffen und Nichten, Cousins und Cousinen. Sie aßen ihre Würstchen mit Kartoffelsalat oder Gänsebraten, vielleicht schnibbelten sie gerade allerlei Zutaten für Raclette oder rührten möglicherweise schon geschmolzenen Käse mit Kirschwasser im Caquelon.
Weihnachten allein ist schön – aber etwas fehlt
Ich ging in die Weinberge: An Häusern und Geschäften mit weihnachtlicher Beleuchtung und dekorierten Fassaden entlang, vorbei an den Menschen, die auf den letzten Drücker zu ihrigen eilten. Ich schlenderte entspannt. Es war zu warm für die Jahreszeit, feuchte Luft roch eher nach Frühling. Zu Hause wartete auf mich eine feine Flasche Wein, vorbestelltes Essen und Fernsehprogramme nach Wahl. Es ging mir gut. Aber es fehlte etwas.
Aus reiner Neugier meldete ich mich bei einer App an, die alleinstehenden Menschen ermöglicht, ihre Freizeit gemeinsam zu verbringen, nach Interessen und Neigungen ordentlich vorsortiert. So verbrachte ich damals Weihnachten in einem bunten, illustren Kreis von ungefähr fünfzehn Menschen, die unterschiedlicher kaum sein könnten, sowie zwei Hunden: einem Fellriesen und einem winzigen Fersenbeißer mit Glupschaugen. Es hatte irgendwas. Aus vielen Einsamkeiten entstand vorläufige Solidarität – die Vorstufe zur Nächstenliebe.
Dieses Jahr ist es Silvester, das ich ohne Kinder verbringe. Alle meine Freunde haben Familien. Ich weiß, dass ich bei ihnen willkommen bin, aber ich möchte nicht nur mit Paaren feiern. Meine Recherche nach Feiern für Singles ergab fragwürdige Instagram-Kacheln mit „effizientem XXL-Speeddating“ und „speziellen Angeboten für Solo-Reisende“ von bekannten Reisebüros. Kurz vor der Buchung stellten sich diese jedoch als ganz normale, nur viel teurere Angebote heraus. Hin und wieder fand ich Silvesterfeiern für Alleinstehende von unbekannten Anbietern, aber nichts hat mich angesprochen.
Wir sind siebzehn Millionen Menschen hierzulande, also jede/r Fünfte, wir leben allein, wir finden uns gut zurecht, sind aber größtenteils nicht abgeneigt, wieder eine Partnerschaft einzugehen. Gastronomen und Hoteliers, ich schenke euch eine Geschäftsidee: Haltet einen Tisch für uns frei, nennt ihn „Chit-chat-table“, oder „Maybe Buena Socialclub“, oder „Wünsch-dir-was“, oder „Wunschlos glücklich“, oder, oder, oder. Gebt den Menschen, die beim Essen vielleicht ins Gespräch kommen könnten, eine Chance und lasst sie nicht allein oder mit Paaren, Familien oder eingeschworenen Gemeinschaften sitzen. Es ist mal okay, aber auf Dauer unbefriedigend, glaubt mir.
Alleinstehende – vereinigt euch!
Alleinstehende aller Länder, vereinigt euch. Verliert nicht Mut und Lebenslust. Seid nicht zu träge. Ich weiß, zu Hause ist auch schön. Sich irgendwohin zu schleppen, kostet Überwindung. Auf andere zuzukommen, ist manchmal enttäuschungsträchtig. Aber wollen wir Wohlstandverwahrlosung vorantreiben? Menschen sind doch soziale Tiere. Sie müssen jemanden lieben.
Ich habe das Buch „Oben Erde, unten Himmel“ von Milena Michiko Flašar gelesen. Ich empfehle es uneingeschränkt, auch für zarte Gemüter. Das Buch passt zum Thema wie die Faust aufs Auge (BÄM!), wenngleich nicht unmittelbar, sondern als eine zwangsläufige Konsequenz. Die Beziehung der Protagonistin endet so abrupt wie übel. Sie verliert auch noch ihren Job und steht nun desillusioniert, hoffnungslos und vogelfrei da. Sie nimmt irgendeinen Job an, denn ihr ist jetzt ohnehin alles egal, und versteht erst an ihrem neuen Arbeitsplatz, was ihre Aufgabe ist: Sie wird nun die Wohnungen reinigen, in denen vor langer Zeit einsame Menschen gestorben sind. Ich hätte nie erwartet, dass man so liebevoll und lebensbejahend über Tod und Einsamkeit erzählen kann.
Gut, gut, es ist unwahrscheinlich, dass die Mehrheit der Alleinstehenden zu stinkenden Pfützen wird. Viele haben Kinder, und/oder Freunde, viele sind nicht so radikal in ihrem Alleinsein wie die Kodokushi. Einige überlegen sich Wohngemeinschaften zu bilden. Aber soweit denke ich erstmal nicht. Ich beobachte andere und fühle selbst: Es wird gesehnt. Wonach – habe ich mit bekannten und befreundeten Alleinstehenden gesprochen und in mich reingehorcht.
Es wird sich nach Austausch, Zuhören und Mitteilen gesehnt. Miteinander zu sprechen scheint ein Luxus zu sein. Das ist sehr schade und irgendwie auch verheerend. Ich vermisse auch die vertrauensvollen, tiefgehenden Gespräche, sie sind der Kitt jeder Verbindung. Menschen (nicht nur alleinstehende) sehnen sich nach Anerkennung und Zuspruch, nach körperlicher Nähe und Wärme, nach Trost, nach Gefühlen. Meine umfangreiche Sucherfahrung hat jedoch ergeben, dass dies ausgeblendet wird. Stattdessen wird überprüft, ob bodenständigere Kriterien erfüllt werden. Das ist nachvollziehbar, aber in diesem Fall sollte es keine Priorität sein – im Gegensatz zur Wahl einer Einbauküche. Da müsste man wirklich abchecken, ob die Fronten lackiert oder matt sein sollen, ob die Schubladen geschmeidig einrasten und ob man sie sich leisten kann. Oder doch?
Was mir noch oft auffiel: so wie sich Menschen nach Gefühlen sehnen, so haben sie Angst davor. Wirklich, wie der Teufel vor dem Weihrauch. Und die Rede ist noch nicht Mal von Liebe, auch Freude wird zögernd zugelassen, weder sich vorbehaltlos erlaubt, noch den Anderen. Warum damit geizen?
Womit auch gegeizt wird, ist der Zuspruch. Das verstehe ich am wenigsten. Es ist doch so einfach, jemandem zu sagen: „Oh, das gefällt mir“ oder „Das hast du gut gemacht“, dafür muss man nicht einmal eng miteinander sein. Ein Tier freut sich über ein nettes Wort oder eine nette Geste, und ein Mensch – umso mehr. Und es kostet nichts, glaubt mir, es ist absolut kostenlos, ich habe es mehrmals ausprobiert.
Traut euch!
Was Alleinstehenden nicht fehlen darf, auf gar keinen Fall fehlen darf – ist der Mut zum Scheitern (hier kann ich die Zielgruppe beliebig ausweiten). Scheitern, einstecken, überwinden und weitermachen – das ist ein wichtiges Können, egal worum es geht. Wir haben viel zu viele Märchen mit Happy End gehört, aber viel zu wenige mit richtig akzeptierten Niederlagen. Wenn das Verhältnis hierzu 50:50 wäre, läge die Frustrationstoleranz in unerreichbaren Bereichen. Außerdem kann man Niederlagen einfach umbenennen. Wie wäre es mit „Zeit zum Nachdenken“, „Dreh- und Wendepunkt“, „In-Ruhe-lassen-Phase“?
Eigentlich wollte ich darüber berichten, wie verbringen Alleinstehende die Feiertage, und bin ziemlich abgeschweift. Ich hätte wertvolle Tipps geben können, wenn ich welche parat gehabt hätte – habe ich aber nicht. Ich weiß nur, dass die Erwartungen von außen und von innen den Alleinstehenden oft auf die Nerven gehen und sich die Lage während der Feiertage zuspitzt. Ich wünsche mir und euch „himmlische Ruhe“ und faszinierende Begegnungen, ein wenig Chuzpe und ein bisschen mehr Glück, ein buntes Leben, das wir selbst er- und auffüllen.
Hey Mensch! Tue mir bitte einen Gefallen und trau dich was. Versprochen?
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