Du bist nicht mehr mein Freund, ESC!

Die Schweizer ESC-Gewinnerperson aus 2024 will ihre Trophäe zurückgeben, weil Israel weiterhin im Musikwettbewerb mitspielen darf. Ein Symptom eines zunehmend verdummenden Pseudoaktivismus, findet Cynthia Tschoek.

Nemo gibt ESC zurück
Bild von ChatGPT

Nemo Mettler ist eine nichtbinäre Person, sagt Wikipedia, deshalb mögen manche Formulierungen in meiner Kolumne etwas seltsam klingen, denn ich versuche, das zu respektieren und – da ich kein Fan von Neopronomen bin – Pronomen in Bezug auf Nemo zu umgehen.

Wo wir gerade von „seltsam“ sprechen: Nemos Entscheidung, demonstrativ die vor eineinhalb Jahren gewonnene Trophäe zurückzugeben, weil Israel weiterhin am ESC teilnehmen darf, ist keine Schrulle einer irregeleiteten Einzelperson, sondern das Symptom einer Bewegung, die sich an Skurrilität jeden Tag selbst ein bisschen übertrifft.

Rindviecher für Tönnies

Manche nennen es „Chickens for KFC“, ich nenne es gern auch „Rindviecher für Tönnies“, die Bewegung selbst nennt sich „Queers for Palestine“.

Nemo ist eine queere Person, lebt jene Queerness auf eine sehr schrille und selbstbewusste Weise aus und wurde dafür mit offenen Armen von der Jury und dem Publikum des ESC empfangen und zur Gewinnerperson gekürt. Genau wie 1998 Dana International, eine trans*Frau aus – Trommelwirbel – Israel und die erste transgeschlechtliche Gewinnerin des Wettbewerbs. Und damit Wegbereiterin für Künstler*Innen wie Conchita Wurst oder eben auch Nemo. So weit, so schön, so regenbogenfröhlich die heile Welt des Eurovision.

Dass in Nemos Auftrittsjahr sowie im Jahr darauf die israelischen Künstlerinnen Personenschutz brauchten und systematisch von Mitteilnehmern und den internationalen Jurys gemobbt wurden, blendete man ebenso systematisch aus. Die kleine Vergeltung kam vom Publikum vor den Fernsehern, das die israelischen Künstlerinnen mit seinen Anrufen ganz nach vorn wählte. Durch die mit Punkten für Israel geizenden Jurys hat es am Ende aber nicht für den Gesamtgewinn gereicht.

Wahrscheinlich hat Nemo am Ende sogar nur deswegen überhaupt die Trophäe mit nach Hause in die Schweiz nehmen dürfen.

Aufmerksamkeit auf Kosten eines komplizierten, weltpolitischen Konflikts

Danach wurde es ziemlich ruhig um Nemo, jedenfalls habe ich nichts Substanzielles mehr von der Person gehört. Zeit, wieder ein bisschen Clout zu generieren, dachte sich Nemo dann wohl, und was eignet sich dieser Tage besser dafür, als ein bisschen „Böses Israel, free Palestine“-Gekasper? Damit ist einem die Aufmerksamkeit immer sicher. Herrgott, ich sitze ja sogar gerade hier und schreibe einen Artikel darüber, als würde ich nicht gerade lieber in meinem neuen Massagesessel sitzen und Family Guy gucken.

„Ich gebe die Trophäe zurück“, tippte Nemo vermutlich schnaufend in das mit israelischer Technik ausgestattete Handy, weil Nemo damals nicht die Größe eines Reich-Ranicki besessen hat, den doofen Preis gar nicht erst anzunehmen. Oder überhaupt nicht erst aufzutreten.

Und Irland, Slowenien, Spanien, Island und die Niederlande machen begleitend einen auf „Wenn du deinen Vater zu deiner Hochzeit einlädst, kommen wir nicht. Gruß, Mutti und Jörg“.

Ein seltsamer Zeitpunkt

Warum eigentlich genau jetzt, wo der Israel-Gaza-Krieg im Wesentlichen vorbei ist? Warum nicht 2024 oder 2025, mittendrin im Geschehen?

Ich habe da so einen leisen Verdacht und der lautet: Frustration. Die Freunde Palästinas scheinen regelrecht sauer darüber zu sein, dass das akute Kriegsgeschehen und damit ihr gesamter Lebensinhalt der letzten zwei Jahre erst einmal vorüber sind.

Der Drops ist gelutscht, aber das will man nicht, weil das Ende nicht so kam, wie erhofft (also die Vernichtung Israels). Man hält weiter an den längst widerlegten Narrativen fest und erfindet neue, um das Feuer am Brennen zu halten. Und offenbart dabei, worum es mittlerweile wirklich geht, wenn es denn überhaupt je um etwas anderes ging: Nicht darum, für die palästinensischen Zivilisten zu sein. Sondern darum, gegen Israel zu sein.

Palästina wird nicht „befreit“, wenn Israel nicht beim ESC mitsingen darf oder Nemo den Siegerpokal zurückgibt. Das alles hat absolut keine Auswirkungen auf den Konflikt. Wozu das Ganze dann?

Der Arsch auf Grundeis

Die gesamte Pro-Palästina-Bewegung hat es geschafft, nicht nur Zionisten – also in deren Augen alle, die Israel dessen Existenzrecht nicht absprechen – zu Hassobjekten und der Quasi-Steigerung von Nazis zu erklären, sondern auch alle der ewigen Verdammnis (in Form von sozialen und wirtschaftlichen Vernichtungsversuchen) anheimfallen zu lassen, die auch nur annähernd nett zu diesen „Zios“ sind, oder vielleicht sogar nur versehentlich mal im gleichen Raum wie einer gesessen haben. In der Rage der Frustration über das Kriegsende mit dem Weiterbestehen Israels (unerhört!) hat dieser Antizionismus gerade erst richtig an Fahrt aufgenommen. The show must schließlich go on.

Auch nur in der Nähe eines Zionisten zu stehen, kann dich heute schon mal deine Karriere kosten. Du hast eine Avocado aus Israel gekauft? Du findest wohl Genozid geil!

Vielleicht ging Nemos ohnehin schwindender Karriere deshalb der edle Schweizer Pöter auf Grundeis. Scheiße, ich war doch bei dem ESC mit dieser Ziotante, und ich habe auch noch gewonnen und breit grinsend den Pokal in die Kamera gehalten! Wenn das jemand merkt! Am Ende halten die mich noch für einen von denen!

Fieberhaft, mit aufsteigender Übelkeit vor lauter Panik um die eigene Reputation in der queeren Szene (dort ist es Pflicht, gegen Israel zu sein, weil … antisemitisches Klischee nach Wahl hier einsetzen), hat Nemo wahrscheinlich überlegt, was jetzt zu tun ist, und dann wohl beschlossen, dass es manchmal die beste Idee ist, einfach vorzupreschen und den Gegnern den Wind aus den Segeln zu nehmen:

Guckt alle her, ich gebe das blöde, zioverseuchte Ding zurück! Ich hab nichts mit denen zu tun, ischschwör! Nehmt es weg, bevor es Eier legt! Komm zu meiner Hochzeit, Mutti, ich hab Papa abgesagt!

Puh, gerettet. Bling, bling, die ersten Likes auf Instagram, dessen Chef übrigens Jude ist, genau wie der von Meta, zu dem Instagram mittlerweile gehört. Das ging gerade noch mal gut.

Konsequenter Boykott, bitte

Bleib stark, Nemo! Mach weiter! Die Trophäe ist erst der Anfang. Deinstalliere Instagram. Schmeiß dein Handy mit der Zionistentechnik weg, vielleicht ins Mittelmeer, wie Greta das öfter mal macht. Hau deine Medikamente in den Müll, sie basieren höchstwahrscheinlich auf israelischer Forschung. Und dann flieg auf den Mars, denn die ganze Welt wird ja, laut den Freunden Palästinas, sowieso von den Zios beherrscht. Gah, man entkommt ihnen einfach nicht!

Deinen Pokal kannst du vielleicht Eden Golan geben. Denn sie hätte ihn viel mehr verdient gehabt für ihren echten Mut, sich vor die geifernde, mobbende, buhende Menge zu stellen und wunderschön zu singen.

Vielleicht darfst du dafür ja bald am Jihadivision Song Contest teilnehmen. Obwohl – ich glaube, die mögen keine queeren Leute.
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